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Warum die 4-Tage-Woche für alle in Deutschland eine Utopie ist

Warum die 4-Tage-Woche für alle in Deutschland eine Utopie ist

Warum die 4-Tage-Woche in Deutschland eine Utopie ist

Simone Schnase/shz.de
Flensburg
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Studien und Beispiele belegen: Eine 4-Tage-Woche macht Arbeitnehmer glücklicher und gesünder. Dennoch wird der Traum von einem drei Tage Wochenende für viele ein Traum bleiben. Flächendeckend ist die Idee nicht umsetzbar.

Rund um den „Tag der Arbeit“ am ersten Mai flammte sie wieder auf: die Debatte um Sinn oder Unsinn einer 4-Tage-Woche in Deutschland. Verantwortlich dafür war die IG Metall, die ankündigte, mit der Forderung einer Einführung der 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich für die Stahlindustrie in die nächste Tarifrunde gehen zu wollen.

Seitdem träumt so mancher Arbeitnehmer von einer Zukunft mit einem dreitägigen Wochenende. Und tatsächlich gibt es eine Menge Beispiele und Studien, die zeigen, dass es genauso produktiv ist und die Mitarbeiter überdies glücklicher und gesünder macht, nur vier statt fünf Tage in der Woche zu arbeiten.

Die 4-Tage-Woche wird in zahlreichen Ländern getestet - mit Erfolg

Zum Beispiel in Großbritannien: Dort haben 61 Unternehmen ein halbes Jahr lang die 4-Tage-Woche getestet. In dieser Zeit konnten sie 1,4 Prozent mehr Umsatz generieren und es gab unter den Mitarbeitern 65 Prozent weniger Krankheitstage und deutlich weniger Kündigungen. 56 dieser Unternehmen wollen nun erst einmal bei diesem Modell bleiben.

Auch Firmen außerhalb Großbritanniens nahmen an dem Experiment teil, insgesamt 91 Betriebe mit 3500 Mitarbeitern. Von ihnen wollen 91 Prozent die 4-Tage-Woche beibehalten. Ähnliche wissenschaftlich begleitete Versuche gibt es zur Zeit auch in Island, Belgien, Australien und Deutschland.

Aber auch auf eigene Faust führen immer mehr Unternehmen die 4-Tage-Woche ein und zwar, um angesichts des Fachkräftemangels gegenüber anderen Betrieben punkten zu können. Die Malermeisterin Jessica Hansen aus Osterby hat dies im vergangenen Jahr getan – mit Erfolg: Sie hat endlich genügend Angestellte und überdies stehen auch noch zahlreiche Bewerber auf ihrer Warteliste.

Malermeisterin Jessica Hansen hat vor allem die Arbeitsbedingungen verbessert

Allerdings zeigt ihr Beispiel, dass sie vor allem die Arbeitsbedingungen verbessert hat. In einem NDR-Beitrag über ihren Betrieb wird nämlich deutlich, dass sie keineswegs eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich eingeführt hat: „Wer für Hansen arbeitet, kann sich aussuchen, wie viele Tage er oder sie arbeitet - bezahlt werden die geleisteten Stunden inklusive Anfahrt zur Baustelle“, heißt es da.

Sollte es nicht eigentlich selbstverständlich sein, geleistete Stunden und Dienstfahrten bezahlt zu bekommen? Nein, offenbar ist dies im Handwerk nicht selbstverständlich. Und so sagt Hansen auch selbst, dass ihr Beruf ein Imageproblem habe. Hier geht es also weniger um die 4-Tage-Woche als vielmehr um die Einführung von Arbeitsbedingungen, die andernorts schon lange selbstverständlich sind. Böten alle Handwerksbetriebe das Recht auch auf Teilzeitstellen sowie Dinge wie faire Entlohnung, bezahlte Überstunden, flexibler einsetzbare Arbeitszeiten und flachere Hierarchien, wäre möglicherweise bereits ein guter Teil des Fachkräfteproblems gelöst – ganz ohne die Wunderwaffe 4-Tage-Woche.

Die Idee ist utopisch - außer 40 Stunden würden auf vier Tage verteilt

Die nämlich flächendeckend einzuführen, ist utopisch – es sei denn, die bestehende Wochenarbeitszeit würde nun komplett auf vier Tage verteilt. Damit würde eine 40-Stunden-Woche künftig bedeuten, zehn Stunden täglich arbeiten zu müssen. Ist das etwa attraktiv? Nein, ist es nicht und all die positiven Effekte, die die Studien in Großbritannien und anderswo ergeben haben, wären hier wohl eher nicht zu erwarten.

Einzig die Unternehmen würden davon profitieren, denn die Folge eines solchen Modells wäre ganz sicher eine freiwillige massive Arbeitsverdichtung: Wohl jeder Arbeitnehmer würde dann alles daran geben, an einen 10-Stunden-Tag nicht auch noch Überstunden ranzuhängen. Das Arbeitszeitgesetz in Deutschland ließe ein solches Modell glücklicherweise aber ohnehin gar nicht zu. Und Lohnverzicht zugunsten einer Vier-Tage-Woche? Wer jetzt schon nur den Mindestlohn verdient, wird sich bedanken!

In der Stahlindustrie muss die Arbeitszeit nur um 3 Stunden reduziert werden

Egal, ob es ihnen finanziell möglich wäre oder nicht: Kein Unternehmen, bei dem noch immer 40 Stunden gearbeitet werden muss, wäre bereit, den gleichen Lohn für acht Wochenstunden weniger Arbeit zu zahlen. Ausschließlich Branchen mit vielen Gewerkschaftsmitgliedern, die dank langjähriger und harter Tarifverhandlungen bereits jetzt schon viel kürzere Arbeitszeiten haben, könnten das stemmen – und genau dazu zählt die Stahlbranche, für die die IG Metall im November die 4-Tage-Woche erkämpfen will.

Dort müsste für die Umsetzung die Arbeitszeit von nur 35 auf 32 Stunden reduziert werden. Hinzu kommt: In diesem konkreten Fall ist eine 4-Tage-Woche auch eine Möglichkeit, die im Zuge des grünen Umbaus der Stahlindustrie zu erwartenden Arbeitsplatzverluste zu verhindern. Die Gewerkschaft kann also mit sehr guten Voraussetzungen und Argumenten in die Verhandlungen gehen.

In vielen Branchen müssen erst die Arbeitsbedingungen verbessert werden

Für den größten Teil der Arbeitnehmer in Deutschland müssen aber erst einmal die Voraussetzungen für eine bessere „Work-Life-Balance“ geschaffen werden: Bessere Arbeitsbedingungen, damit – so wie im Pflegebereich – die Menschen nicht gezwungenermaßen ihre Stellen reduzieren oder gleich ganz aufgeben, weil sie den Job psychisch und körperlich nicht mehr schaffen können. Bessere Kinderbetreuung und flexiblere Arbeitszeiten für eine wirkliche Vereinbarkeit von Beruf und Kindern. Und das Recht auf Teilzeit für all jene, die mit gutem Grund und freiwillig nur vier Tage in der Woche arbeiten wollen.

Angesichts des wachsenden Fachkräftemangels werden es zwar bestimmt (und gezwungenermaßen!) auch immer mehr Firmen so tun wie Malermeisterin Hansen aus Osterby, aber drei Tage Wochenende für alle ist und bleibt eine schöne Utopie.

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Kommentar

Hannah Dobiaschowski
Hannah Dobiaschowski Projekte / Marketing
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