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Urlaub in SH: Darum kommt die Werbung fast ohne Sonne aus

Urlaub in SH: Darum kommt die Werbung fast ohne Sonne aus

Urlaub in SH: Darum kommt die Werbung fast ohne Sonne aus

Frank Jung/shz.de
Kiel
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Küstenweisheit: Man muss der Reduziertheit der Nordseelandschaft einfach eine Stärke abgewinnen. Foto: Tash

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Das Tourismusmarketing in Schleswig-Holstein wagt die Abkehr vom schönen Schein und gewichtet Glaubwürdigkeit besonders hoch. Ein Beispiel dafür ist die Kampagne „Küstenweisheiten“. Erstmals werben dabei regionale Organisationen von Nordse...

Erkennbar weht Wind durch die Szenerie. Er lässt eine Frisur auch mal nicht gut sitzen. Keiner der Menschen auf den Bildern ist ohne Schal. Der Himmel zeigt sich auf den meisten Motiven zumindest teilweise bewölkt; makelloses Blau kommt nur in Ausnahmen vor.

Wenn heute für das Urlaubsland Schleswig-Holstein geworben wird, sieht es auf den ersten Blick kalt aus - und damit nicht unbedingt so, wie viele es bei Reklame annehmen würden: Kein Hochglanz, kein Baden im Meer unter sengender Sonne, kein künstliches Zahnpasta-Lächeln. Authentisch zu sein ist der neue Trend im Tourismusmarketing des Nordens. „Echt nordiSH“ lautet der Claim der Tourismusagentur Schleswig-Holstein (Tash), angelehnt an den „Echten Norden“, der seit Mitte der 2010er-Jahre als offizieller Slogan des Landes fungiert.

Obwohl es beim Locken von Gästen darum geht, etwas zu verkaufen, läuft es aus Sicht von Bettina Bunge nicht ohne Ehrlichkeit. „Wir dürfen nichts versprechen, was wir nicht halten können“, sagt die Geschäftsführerin der Tash.

Damit will sie nicht verneinen, dass es im Norden nicht durchaus auch mal sonnig sein kann. Nur die Illusion einer Sonnen-Garantie - die möchte die oberste Image-Hüterin von Schleswig-Holsteins Urlaubs-Branche nicht an den Rest der Welt senden. Zumal „Sonne unter ganz vielen Urlaubszielen auf der Welt sowieso austauschbar ist“, wie Bunge anmerkt. „Wir versuchen eine Bildsprache zu finden, die das nicht ist.“

Von der Übersättigung des Konsumenten

Dass sich die anders als früher nicht auf den schönen Schein reduzieren lässt - das erklärt die Vermarkterin mit „einem gesellschaftlichen Wandel, kritischer mit vielen Dingen umzugehen“. Bunge beobachtet eine Übersättigung der Konsumenten mit Verheißungen auf allen Kanälen. „Die Leute wollen deshalb nicht mehr für blöd verkauft werden“, lautet ihre Lehre. Schon gar nicht, wenn es um Urlaub geht, ein Geschäft, das viel von der Sehnsucht lebt. Da wiegt Enttäuschung besonders schwer.

Für den Hochsommer wirbt das Landesmarketing wenig, weil die Orte an Nord- und Ostsee da eh so gut wie ausgebucht sind. „Küstenweisheiten“ heißt die aktuelle Marketing-Kampagne, die Erholungssuchende im Winterhalbjahr für Schleswig-Holstein interessieren soll.

Das einst vornehmlich auf die Sommerfrische ausgelegte Bundesland als Ziel für Ganzjahrestourismus zu etablieren ist nicht zuletzt auch der politische Auftrag. Dafür lässt sich das Land den Marketing-Etat der Tash jährlich um die 2,475 Millionen Euro kosten.

Lebensweisheiten in der maritimen Variante

Die Textbotschaften der „Küstenweisheiten“ bestehen aus nordisch-maritimen Varianten von Lebensweisheiten: „Dein Heimathafen ist da, wo das Herz ist“ heißt es da etwa. Oder „Wer nur noch die Wellen hört, hört das Wesentliche.“ Oder „Hier ist das Land so geradeaus wie die Leute“. Damit die Adressaten erfahren, dass man auch lachen kann, wenn die Sonne mal nicht lacht. Letzterer Spruch ist auf die Reduziertheit der Marschregionen an der Nordsee gemünzt.

Diese Urlaubertypen stehen im Visier

Die Idee: Transportieren, was Schleswig-Holstein ausmacht - ohne einfach bei Stereotypen stehen zu bleiben. Anstatt etwa den Fischbudenverkäufer im Küsten-Ambiente zu inszenieren, setzt das Landesmarketing verschiedene Urlauber-Typen in Schleswig-Holstein-Kulissen: Verliebte, das Ehepaar in reiferen Jahren, beste Freundinnen, Singles in mittleren Jahren, zwei jüngere Typen, deren Anordnung offen lässt, ob es beste Kumpel oder Partner sind. Alle Stichwort Ganzjahrestourismus - unterschwellig unabhängig von Schulferienterminen. Bewusst wird auf Figuren mit Modelmaßen verzichtet. „Authentizität heißt auch, Menschen zu treffen, die nicht bis ins letzte Detail perfekt sind“, betont Bunge. Unterm Strich kommt es ihr vor allem auf Motive an, „die etwas Dynamisches versprechen“.

Diese Partner machen mit

Noch nie hat der Norden mit vereinten Kräften einen so hohen Werbedruck auf den Markt einwirken lassen: Nicht nur die Tash selbst produziert für die „Küstenweisheiten“ Social Media-Aktivitäten, Online-Advertorials, digitale Werbebanner und Gratis-Postkarten. Auch die Regionalorganisationen Ostsee Holstein-Tourismus und Nordsee Tourismus-Service haben sich mit ihren Budgets eingeklinkt. Damit fahren sie erstmals überhaupt eine gemeinsame Urlaubskampagne. 13 Orte von beiden Küsten sind ebenfalls mit im Boot.

„So stellen wir Synergien her, stärken unsere Dachmarke und bieten trotzdem jedem Partner die Möglichkeit, als Absender erkennbar zu bleiben“, erklärt Bunge. Die Motive sind aufeinander abgestimmt, aber jede beteiligte Destination darf sich selbst erwähnen, von Sylt bis Grömitz.

Der Vergleich mit einer kommunikativen Autobahn

Bunge vergleicht die konzertierte Aktion mit einer „Autobahn, die sich möglichst weit in die touristische Welt in Deutschland erstreckt“. Was weitere lokale Marketingorganisationen in Land zu an weiteren Aktivitäten planen, etwa für bestimmte Zielgruppen oder Jahreszeiten oder Urlaubsthemen - das sind dann die Verästelungen.“

Ausgespielt werden die „Küstenweisheiten“ vornehmlich in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen als den stärksten Herkunftsländer von Schleswig-Holstein-Urlaubern.

Weshalb die Relevanz von Authentizität zulegen kann

„Künftig wird Glaubwürdigkeit für das Tourismusmarketing noch wichtiger“, ist Bunge überzeugt. Sie macht das fest am Trend zu Nachhaltigkeit auch beim Verreisen: „Zunehmend möchten die Gäste sagen können, dass die Umweltbelastung durch ihr Verhalten geringer ist.“ Es ist ein Kerngedanke auch der neuen, im letzten Jahr aufgelegten Landestourismusstrategie.

Doch was steckt wirklich hinter den Nachhaltigkeits-Versprechen einzelner Ferienanbieter und einzelner Urlaubsleistungen? Bunge glaubt: Bei der Riesen-Aufgabe, das transparenter zu machen, werden Schleswig-Holsteins Ferienvermarkter von ihren ersten Erfahrungen mit Authentizität profitieren können.

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Kommentar

Hannah Dobiaschowski
Hannah Dobiaschowski Projekte / Marketing
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