Protestcamp und Punks auf Sylt

Unendliche Geschichte? Chaostage auf Sylt wollen nicht enden

Unendliche Geschichte? Chaostage auf Sylt wollen nicht enden

Chaostage auf Sylt wollen nicht enden

Nils Leifeld/shz.de
Sylt
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Ein Flyer liegt vor dem Protestcamp der Punks auf Sylt. Foto: Pischel/shz.de

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Seit rund sieben Wochen zelten Punks im Stadtpark auf Sylt. Zwischenzeitlich lebten bis zu 50 Menschen in dem Protestcamp, inzwischen ist das Lager deutlich ausgedünnter. Verschwunden ist es aber noch nicht – obwohl es seit 1. September illegal...

Die Tage des Protestcamps der Punks auf Sylt sind gezählt. Wenn das Oberverwaltungsgericht in der kommenden Woche den Einschätzungen des Verwaltungsgerichts und des Kreises Nordfriesland folgt, rückt ein Auflösen des Camps in greifbare Nähe: entweder freiwillig oder mit Unterstützung der Polizei. Seit Ende Juli campen Demonstranten im Stadtpark vor dem Rathaus in Westerland auf Sylt. „Für bezahlbaren Lebensraum für alle und gegen soziale Ungerechtigkeiten am Beispiel der Gentrifizierung und Abschottung der Reichen“. Doch die Genehmigung für das Camp ist Ende August ausgelaufen. Seit 1. September ist das Camp illegal und könnte daher geräumt werden. Geschehen ist das bislang noch nicht, doch dazu später.

Ende Juli startet das Zeltlager im Stadtpark

Angefangen hat alles Ende Juli. Immer mehr Punks, Aktivisten und Demonstranten schlagen ihre Zelte im Stadtpark auf. Einige Punks wurden zuvor aus der Innenstadt vertrieben, wie sie sagen. Andere Bewohner sind nach ihrer Anreise auf die Insel gezielt in den Park gezogen. „Wir werden nicht gehen. Es kann nicht sein, dass man für eine Insel Geld verlangt, das wäre wie der Heidepark in Soltau“, sagt Flippy aus Freiburg im Breisgau. Er ist der Sprecher der Camp-Bewohner und zielt damit auf die Kurtaxe ab, die von Inselgästen verlangt wird. Kurze Zeit später wird bei der Gemeinde Sylt offiziell eine Versammlung angemeldet: als Protestcamp für bezahlbaren Lebensraum und gegen Gentrifizierung und steigende Mieten. Der Kreis Nordfriesland genehmigt das Camp bis einschließlich 31. August.

Bereits nach kurzer Zeit im Park ziehen die Punks eine große Aufmerksamkeit auf sich. Das hat auch mit den prominenten Gästen zu tun, die sich zu launigen Diskussionsrunden im Camp einfinden. Am 3. August kommt Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, acht Tage später der ehemalige Linken-Vorsitzende Gregor Gysi. Beide Politiker waren eigentlich für den Kampener Literatursommer nach Sylt gekommen, aber wollten sich ein Treffen mit Sylts berühmt-berüchtigten neuen Bewohner nicht entgehen lassen.

Schäuble und Gysi kommen zum Plausch ins Camp

Allerdings geraten die Protestcamp-Punks nicht nur durch populäre Politiker-Gesprächsrunden in den medialen Fokus: Immer wieder schlagen sie gehörig über die Stränge und sorgen für jede Menge Negativ-Schlagzeilen. Ruhestörungen und Wildpinkeln sind nur die kleinsten Probleme. Bereits Ende Juli muss die Feuerwehr einen Brand im Camp löschen. Mitte August sprüht sich ein 28-jähriger Punk mit Desinfektionsmitteln ein und zündet sich an. Schwer verletzt wird er per Hubschrauber in ein Krankenhaus nach Hamburg ausgeflogen. Und die Negativ-Nachrichten aus dem Camp reißen nicht ab.

Ende August werfen Punks bei einem nächtlichen Polizeieinsatz im Camp Flaschen auf die Beamten. Ein Polizist wird von einer Flasche am Kopf getroffen und verletzt. Er muss zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht werden.

Wildpinkeln, Lärm, Selbstentzündungen, Flaschenwürfe

Kurz vor Auslaufen der Genehmigung für ihr Camp beantragen die Punks eine Verlängerung beim Kreis Nordfriesland. Die bundesweit mit Spannung erwartete Entscheidung der Versammlungsbehörde aus Husum fällt am 30. August. Der Kreis Nordfriesland spricht sich gegen eine Verlängerung aus und löst das Camp auf. „Wir mussten sorgsam abwägen zwischen dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und den Grundrechten der Anwohner, der Einwohner und der Urlaubsgäste, die durch das Protestcamp beeinträchtigt wurden“, erläutert Kai Mintrop, Leiter des Fachdiensts Recht und Sicherheit.

Als Beispiele nennt Mintrop fortgesetzte Störungen der Nachtruhe, weil die Teilnehmer des Camps nachts grölen, singen, schreien und streiten. Entsprechende Rückmeldungen habe die Verwaltung nicht nur vom Sylter Ordnungsamt, sondern auch von zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern erhalten, die sich telefonisch oder per E-Mail bei der Versammlungsbehörde beschwert hätten. Viele klagten zudem darüber, dass eine große Anzahl der Punks ihre Notdurft nicht in den von der Gemeinde aufgestellten Toiletten, sondern in einer Telefonzelle, im Gebüsch sowie einer Garageneinfahrt verrichteten. Letztlich fordert der Kreis die Punks auf, das Camp im Laufe des 1. Septembers aufzulösen und den Park zu verlassen. Doch dazu kommt es nicht.

Kreis Nordfriesland lehnt Verlängerung ab

Die Punks wenden sich ans Verwaltungsgericht in Schleswig, um gegen die Entscheidung des Kreises Nordfriesland vorzugehen. Doch auch dort haben sie mit ihrem Ansinnen keinen Erfolg. Am 7. September lehnt das Gericht den Eilantrag der Demonstranten ab. „Das Gericht teilt die Bewertung der Versammlungsbehörde, dass im Zusammenhang mit den unzureichenden sanitären Verhältnissen im Camp und wegen der unmittelbaren Gefahr einer rücksichtslosen Lärmbelastung für die Anlieger inzwischen eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit eingetreten ist“, heißt es in der Begründung.

In den Abendstunden des 7. Septembers macht die Nachricht die Runde, dass die Punks ihr Camp binnen drei Tagen freiwillig und friedlich räumen wollen. Einen entsprechenden Beitrag setzt Bürgermeister Häckel auf Facebook ab. Die Punks hätten nach einem Gespräch zugesagt, das Lager im Stadtpark bis spätestens Samstag räumen zu wollen, schreibt Häckel. Doch auch der Samstag verstreicht, das Camp wird nicht aufgelöst und die im Lager verbliebenen Punks bleiben. Sie wollen nun vors Oberverwaltungsgericht ziehen. Bürgermeister Häckel schäumt vor Wut. „Diese den Rechtsstaat vorführende never-ending-story muss endlich beendet werden“, schreibt er auf Facebook.

Punks ziehen vors Oberverwaltungsgericht

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) will wohl am Montag über den Antrag der Punks entscheiden. Solange wird nicht geräumt. Darauf verständigen sich Kreis und Gericht. Sollte das OVG sich dem Verwaltungsgericht und Kreis anschließen, wird die Luft aber wirklich dünn für die Punks. „Ich kann nur hoffen, dass das OVG die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestätigt und die Räumung endlich losgehen kann. Mein Vollstreckungshilfeersuchen liegt der Polizei vor und wird von mir bekräftigt, sobald die OVG-Entscheidung vorliegt“, schreibt Häckel auf Facebook. Und die Punks?

Für die kommt es schon jetzt knüppeldick, zumindest für einen: Protestcamp-Organisator Jörg Otto bekam vor ein paar Tagen die Aufforderung, 10.000 Euro Strafe zu zahlen: für unter anderem 450 Strafanzeigen. Später heißt es, er und sein Mit-Veranstalter würden sich die Strafe teilen, also 5000 Euro pro Nase. Doch auch dazu wird es wohl nicht kommen. Wie Kreissprecher Hans-Martin Slopianka mitteilte, würde Otto wohl nur einige Hundert Euro zahlen müssen. Das Geld würde von der Landeskasse eingefordert werden. Doch ob Otto überhaupt die paar Hundert Euro zahlen kann, ist unklar. Was nach aller Aufregung der vergangenen Wochen auf Sylt bleibt, ist eine simple Frage: War es das alles wert?

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