Energiewende

Telse Mumm war eine der ersten, die auf Windkraftenergie setzte

Telse Mumm war eine der ersten, die auf Windkraftenergie setzte

Telse Mumm war eine der ersten, die auf Windenergie setzte

Heike Wells/shz.de
Dithmarschen
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Mittlerweile ist Oya, die erste Windkraftanlage der „Genossinnenschaft Windfang“ abgebaut. Sie war der Startschuss. Mitbegründerin Telse Mum sitzt auf einer der lila Flügelspitzen. Foto: Michael Ruff

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Sie waren die Ersten: Frauen aus Dithmarschen gründeten mit „Windfang“ 1992 nicht nur eine der ersten Genossenschaften allein für Frauen. 1995 bauten sie ihre erste Windkraftanlage. Heute betreibt Windfang neun Anlagen.

Wie kriegen wir es hin, auf einem zur Verfügung stehenden Stück Land an der Westküste Schleswig-Holsteins eine Windkraftanlage von und für Frauen zu errichten? Diese Frage stellten sich zwei Ingenieurinnen und eine Theaterwissenschaftlerin, als sie Ende der 1980er Jahre auf einer Umweltmesse in Hamburg zufällig ins Gespräch kamen.

Was mit diesem Gedankenspiel begann, ist zu einer Erfolgsgeschichte geworden: zu einer Genossenschaft ausschließlich aus Frauen, die die erneuerbaren Energien zu ihrer Sache machen und heute Investitionen in Millionenhöhe bewegen.

Drei Frauen: Der Grundstock von Windfang

„Als wir 1989 angefangen haben zu denken, gab es ja noch nicht einmal das Stromeinspeisegesetz“, blickt Telse Mumm zurück. Gemeinsam mit ihren Schwestern war sie Eigentümerin des fraglichen Grundstücks in Hemme (Kreis Dithmarschen).

Erst 1991 gab dieses Gesetz dem noch jungen Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland einen rechtlichen und organisatorischen Rahmen. Unter anderem erhielten die Anlagenbetreiber nun eine verbindliche Vergütung für den ins Netz eingespeisten Strom.

Bei den Frauen der ersten Stunde war da aus Denken längst Handeln geworden. 1992 wurde die „Genossinnenschaft Windfang“ gegründet. „Uns schien das die optimale Organisationsform“, erläuterte Telse Mumm später der deutschen Presseagentur (dpa). Die Maschinenbauingenieurin war in den Anfangsjahren eine der drei gleichberechtigten Vorstandsfrauen. 

Das Ergebnis langer Überlegungen damals: „Wir wollten möglichst viele Frauen beteiligen, wollten demokratische Strukturen – und wir wollten Gewinne machen.“ Keine Teilhaberin durfte und darf allerdings mehr als zehn Anteile zu je 3000 Mark (heute 1500 Euro) zeichnen. So soll ein beherrschender Einfluss Einzelner ausgeschlossen werden.

Genossenschaft brauchte kaufmännische Expertise

Bis das Gründungsprotokoll unterschrieben war, gab es allerdings so manche Hürde zu überwinden, berichtet Telse Mumm. So wollte der Genossenschaftsverband Ingenieurinnen allein nicht Gründung und Betrieb einer Genossenschaft überlassen. Es brauchte kaufmännische Expertise, so sahen es die entsprechenden Regularien vor. Die konnte in Person einer Unternehmensberaterin gewonnen werden. „Ein Glücksgriff“, sagt Telse Mumm über die bis heute engagierte Genossin. 

Auch finanziell war die Anschaffung einer Windenergieanlage ein Kraftakt: „Wir mussten 500.000 Mark in die richtige Richtung bewegen“, erinnert sich Mumm, die heute einen Handel für ökologische Baustoffe im nordfriesischen Husum betreibt. Aus der halben wurde eine Million. So viel nämlich hat die Windkraftanlage letztlich gekostet.

Der Entscheidung für den Anlagentyp ging ein gründlicher Auswahlprozess voraus. Für die „Windfang“-Frauen – einige vom Fach, andere im Laufe der Zeit zu Windenergieexpertinnen geworden – war das kein großes Problem. Nicht nur ausgefeilte Technik und Wirtschaftlichkeit, sondern auch Umweltverträglichkeit wie die Lautstärke beim Betrieb waren wichtige Kriterien.

Oya, die Windkraftanlage mit den lila Flügelspitzen, geht ans Netz

Im Frühjahr 1995 war es so weit: Ein Rotor des Bremer Herstellers AN Wind Energie – mittlerweile längst aufgegangen im Großunternehmen Siemens Gamesa – ging ans Netz. Allerdings auf einem anderen Grundstück als von den Initiatorinnen zunächst geplant, einem gepachteten.

Auch das eine der zu überwindenden Hürden. Denn die ursprüngliche Fläche erwies sich nach der neuen Gesetzgebung als nicht genehmigungsfähig. Die Abstände zur nächsten Wohnbebauung waren nicht ausreichend.

„Nennleistung 450 Kilowatt, Nabenhöhe 43 Meter, Rotordurchmesser 35 Meter“: So lauteten die technischen Daten der ersten Windkraftanlage der „Windfang“-Frauen. Sie hatte lila Flügelspitzen und wurde auf den Namen Oya getauft. In Nigeria ist Oya die Göttin des Windes und des Sturms.

Eine Pressemeldung gibt den entscheidenden Impuls zum Erfolg

Einen entscheidenden Impuls für den weiteren Werdegang von Windfang gab dann ein Bericht der dpa über die „Frauen-Windkraftanlage“. Viele Medien griffen das Thema auf, darunter die Zeitschrift Brigitte, erinnert sich Telse Mumm.

Das war die Initialzündung für das Wachstum der Genossenschaft. „Plötzlich hagelte es Anfragen von weiteren interessierten Frauen.“ „Windfang“, das sind heute rund 350. Genossinnen aus vielen Teilen Deutschlands.

Auch die Windtechnik hat sich seit der Inbetriebnahme von Oya rasant entwickelt. Bei an Land installierten Anlagen der aktuellen Generation sind heute Erzeugungskapazitäten von sechs Megawatt und Gesamthöhen von 200 Metern und mehr Standard.

Windfang: Aus einer Anlage für erneuerbare Energien wurden neun

Die Genossenschaft der Frauen hat mit dem Fortschritt im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten mitgehalten. Aus einer Anlage für erneuerbare Energien wurden neun. Schritt für Schritt hat „Windfang“ das Portfolio erweitert, sowohl was die Anlagenleistung als auch die Zahl der Projekte angeht.

Heute betreibt „Windfang“ neun Erneuerbare-Energien-Anlagen mit einer installierten Gesamtleistung von knapp elf Megawatt. Sechs davon, im niedersächsischen Kreis Emsland und in Hamburg, erzeugen Strom aus Wind. Drei ziehen ihre Leistung aus der Sonne. Sie stehen in Bonn, im schleswig-holsteinischen Kreis Steinburg und im Landkreis Cloppenburg in Niedersachsen.

Die Windkraftanlage Oya wurde nach 28 Jahren abgebaut

Oya ist nicht mehr dabei: Nach 28 Jahren, in denen sie ihre Flügel im Wind gedreht hat, wurde sie vor wenigen Wochen abgebaut. Ein Anlass für die Genossinnen, bei einem gemeinsamen Wochenende auf gut 20 Jahre „Windfang“ zurückzublicken und Zukunftspläne zu schmieden.

Für sie sei der damalige Einstieg in die Genossenschaft ein schwieriger finanzieller Schritt gewesen, berichteten einige Teilnehmerinnen dort. Umso schöner sei es gewesen zu erleben, „wie stolz alle auf das sind, was wir geschafft haben“, sagt Telse Mumm.

Windfang ist professionell geworden

Zu dem, was die Frauen geschafft haben, gehören nicht nur Kilowattstunden erneuerbarer Energie, sondern auch die Professionalisierung der Genossenschaft. „Wir sind nicht mehr klein, wir sind groß“, sagt Susanne Korhammer, die seit 1992 dabei und für die technische Geschäftsführung zuständig ist.

Das spiegelt sich auch in dem Standing wider, das „Windfang“ bei Geschäftspartnern wie etwa Banken hat. Telse Mumm: „Heute bewegen wir schon mal fünf Millionen Euro.“

Der „Spirit von Windfang“: Frauen vernetzen, erneuerbare Energien voranbringen

Und wie geht es weiter mit der nach eigenen Angaben ersten reinen Frauengenossenschaft Deutschlands im Bereich erneuerbare Energien? „Wir haben noch viel vor“, versichert Susanne Korhammer, die im niedersächsischen Varel ein Ingenieurinnenbüro betreibt.

Das, was sie von Beginn an gereizt hat – „ein Netzwerk von Frauen aufzubauen und gleichzeitig die erneuerbaren Energien voranzubringen“ – sei ihr nach wie vor Antrieb und Inspiration. Den „Spirit von Windfang“ nennt Telse Mumm das.

Dieser Spirit hat längst auch die nächste Generation gepackt. Frauen wie die 1991 geborene Maybritt Feye aus Hamburg. Ihr damals bei AN Bonus tätiger Vater verkaufte den Rotor an die Genossenschaft, ihre Großmutter gehörte zu den Windfang-Frauen der ersten Stunde, berichtet die selbstständige Grafikdesignerin. Seit 2015 ist auch sie dabei „und inzwischen noch weitere aus der Familie“.

„Es ist mir wichtig, einen Beitrag zur Energiewende zu leisten“, beschreibt Feye ihre Motivation, und: „Ich bin davon überzeugt, dass wir uns als Gesellschaft nur defossilisieren können, wenn wir alle an einem Strang ziehen.“ Je mehr Menschen einen persönlichen Zugang zur Windenergie bekämen, umso größer sei die Chance auf Akzeptanz. „Schleswig-Holstein ist da mit den Bürgerwindparks ein echter Vorreiter gewesen.“ 

Die Kompetenz als Genossenschaft nutzen

Auch den aktuellen Herausforderungen von Energiewende und Klimaschutz stellt sich „Windfang“. Etwa, indem die gewonnene Kompetenz genutzt wird, um weiter in Wind- und Sonnenenergie zu investieren. Genannt sei hier etwa das Repowering, also der Ersatz älterer durch leistungsstärkere Nachfolgemodelle.

Der Ausbau von dringend benötigten Speichern sei ebenfalls in der Diskussion, auch mithilfe alternativer Speichermedien zur Batterie wie Salzwasser oder Sand. Susanne Korhammer: „Wichtig ist uns, dass bei allem der genossenschaftliche und gemeinwirtschaftliche Gedanke im Vordergrund steht.“

Oya, die Anlage, mit der alles begann, hat den Weg aller ausgemusterten Windrotoren angetreten: zur Nutzung als Ersatzteile, in den Müll oder, wo möglich, ins Recycling. Eine besondere Form der Wiederverwendung erfahren die lila Flügelspitzen: Als Deko schmücken sie die Gärten von „Windfang“-Genossinnen.

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