Schleswig-Holstein

Spitzenwerte für die NSDAP: Als die Nazis an die Macht kamen

Spitzenwerte für die NSDAP: Als die Nazis an die Macht kamen

Spitzenwerte für die NSDAP: Als die Nazis an die Macht kamen

Prof. Dr. Thomas Steensen
Schleswig-Holstein
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Die SA marschiert durch die Bredstedter Osterstraße. Foto: Verein für Bredstedter Geschichte

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Vor 90 Jahren in Nordfriesland: Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Seine NSDAP findet in Nordfriesland viele Anhänger. Wie die Nazi-Zeit den Kreis veränderte.

30. Januar 1933: Am späten Vormittag ernennt Reichspräsident von Hindenburg in Berlin Adolf Hitler zum Reichskanzler. Die Nachricht verbreitet sich in Nordfriesland in Windeseile. Die wenigen, die ein Radiogerät besitzen, sagen sie ihren Nachbarn weiter. Die Zeitungen Nordfrieslands, die damals großenteils am frühen Nachmittag erscheinen, tauschen eilig die Schlagzeile auf der Titelseite aus und melden noch am selben Tag: „Hitler zum Reichskanzler ernannt“.

„Machtergreifung“ wird dieser Vorgang oft genannt, die Nationalsozialisten selbst zeichneten dieses Bild. Tatsächlich aber ist die Macht an die NSDAP übergeben worden. Binnen weniger Monate festigt sie ihre Herrschaft und beseitigt die Demokratie restlos. Die Diktatur zeigt ein Doppelgesicht: Feiern, die an das Gemeinschaftsgefühl appellieren, wirken zusammen mit Druck, Willkür, Gewalt und Ausgrenzung.

All das findet sich in Nordfriesland. Die Region schien für die NSDAP zunächst ein steiniger Boden zu sein, sie erzielte nur recht wenige Stimmen. Doch seit 1928/29 entstehen zahlreiche Ortsgruppen. Bei der Reichstagswahl im Juli 1932 entfallen in den damaligen drei Landkreisen Nordfrieslands etwa zwei Drittel der Stimmen auf die NSDAP. Damit wird das Ergebnis in ganz Schleswig-Holstein – mit 51 Prozent das höchste aller Wahlkreise im Deutschen Reich – weit übertroffen. In einzelnen Dörfern entscheiden sich die Wähler zu 100 Prozent für die Nazipartei.

Noch am Abend des 30. Januar 1933 feiern die Nationalsozialisten auch in Nordfriesland die Kanzlerschaft Hitlers. In mehreren Orten formiert sich die SA („Sturmabteilung“) zu Fackelzügen. Über 1200 „Braunhemden“ marschieren am folgenden Tag durch Husum. SA-Führer Joachim Meyer-Quade aus Schleswig droht in einer „mit Begeisterung aufgenommenen“ Rede allen Gegnern: Die Zeit des Redens sei vorbei, die Zeit zum Handeln gekommen.

Spitzenergebnisse für die NSDAP in Südtondern

Am Vorabend der Reichstagswahl vom 5. März 1933 werden wieder Fackelzüge inszeniert. Auf Reichsebene verfehlt die NSDAP mit 43,9 Prozent die absolute Mehrheit. In Nordfriesland indes erzielt sie ihr Spitzenergebnis im Kreis Südtondern mit 73,5 Prozent – eins der höchsten Resultate im Deutschen Reich überhaupt – und erreicht 68,5 Prozent im Kreis Husum sowie 63,2 Prozent in Eiderstedt.

Die Kommunalwahlen am 12. März schaffen sodann eine Grundlage für die Machtübernahme auf Gemeinde- und Kreisebene. Im Kreistag von Südtondern erreicht die NSDAP mit 68,9 Prozent der Wählerstimmen sogar eine Zweidrittelmehrheit. Der neue Landrat Dr. August Fröbe erklärt, er wolle an seine neue Aufgabe „als Arbeiter im Sinne Adolf Hitlers herangehen“.

Missliebige Landräte und Bürgermeister werden abgesetzt. In manchen Orten schwenken die alten Amtsinhaber schnell auf den neuen Kurs ein. Andersdenkende werden aus den kommunalen Vertretungen vertrieben. Zuerst trifft es die wenigen Kommunisten, dann die Sozialdemokraten.

In Bredstedt beantragt die NSDAP am 26. April die Entfernung der SPD-Mitglieder aus den Ausschüssen, denn diese seien im „neuen Staat“ nur noch „Bürger zweiter Klasse“. Es hilft nichts, dass der SPD-Sprecher betont, die sozialdemokratischen Vertreter hätten im Krieg das Eiserne Kreuz erworben und für das Vaterland geblutet. Bald werden alle Parteien mit Ausnahme der NSDAP verboten.

Reichskanzler Hitler und Reichspräsident von Hindenburg werden im April 1933 in mehreren Gemeinden – so in Husum und Westerland – zu Ehrenbürgern ernannt, „aus tiefster Dankbarkeit für die Errettung des Staates vor Verfall und Bolschewismus“. In Bredstedt erhält die Mittelschule am 1. Mai den Namen des „Führers“. Man pflanzt „Hitler-Eichen“, benennt Plätze und Straßen nach dem „Volkskanzler“, so in Niebüll, Leck, Garding, Süderlügum, Rödemis, Wyk auf Föhr.

Nazi-Terror in Nordfriesland

Der Rechtsstaat hört zu bestehen auf. Die Würde des Menschen gilt nichts mehr. Auch in Nordfriesland regiert der Terror. Wer es nicht mit eigenen Augen sieht, der kann es in der Zeitung lesen. Denn die Presse berichtet 1933 und 1934 immer wieder über das nationalsozialistische Vorgehen und nennt häufig auch die vollen Namen derjenigen, die es getroffen hat. Eine Welle von Haussuchungen und Verhaftungen rollt durch das Land. Anfang März wird bei dem Tönninger Sozialdemokraten Paul Dölz eine Hausdurchsuchung gehalten, die erste von acht in der Zeit des Nationalsozialismus.

Vielerorts in Nordfriesland – ob in Tönning, Husum, Niebüll, Bredstedt, den Reußenkögen, Neukirchen oder Leck – werden politisch Andersdenkende in, wie es verfälschend heißt, „Schutzhaft“ genommen oder in erste Konzentrationslager eingeliefert. Der Willkür ist Tür und Tor geöffnet. Viele nutzen die ihnen plötzlich zugefallene Macht, um alte Rechnungen zu begleichen. In Niebüll reicht „politische Miesmacherei“ als Grund, vier Männer für einige Zeit in ein Konzentrationslager zu bringen. Neben Kommunisten und Sozialdemokraten werden einzelne Angehörige „nationaler“ Verbände wie Stahlhelm oder Jungdeutscher Orden sowie zum Beispiel Freimaurer verfolgt.

Kritiker werden an den Pranger gestellt

In Westerland auf Sylt treibt die SA einen Arbeiter durch die Straßen der Stadt, ihm wird ein Schild umgehängt: „So geht es jedem, der unseren Führer Adolf Hitler und die SA beschimpft.“ In Leck trifft es einen Uhrmacher, auf dem Schild heißt es: „Ich bin der größte Lump, ich habe den Reichskanzler Adolf Hitler beleidigt.“ In Bredstedt führt die SA einen missliebigen sozialdemokratischen Zigarrenarbeiter durch alle Straßen und über den Sportplatz. Kaum einer hilft den in die Enge getriebenen Menschen. Die Maschinerie der Unterdrückung und Einschüchterung funktioniert. Die brutale Verfolgung trifft auch Minderheiten wie die Jehovas Zeugen. Deren Anhänger werden zum Beispiel in Fresendelf, Friedrichstadt, Husum und Tönning verhaftet.

„Nationale Aufbruchstimmung“

Die Zeit der „Machtergreifung“ ist geprägt von „nationaler“ Aufbruchstimmung. Die meisten sehen in Hitler einen Retter aus der Not, der endlich entschieden handelt. Und tatsächlich geht es schnell aufwärts. In kurzer Zeit bringen die Nationalsozialisten viele Menschen in Arbeit und Brot. Im Wattenmeer beginnen Eindeichungen und Dammbauarbeiten. Verschuldete Landwirte werden entlastet. Viele Menschen sind voller Begeisterung, andere passen sich schnell den neuen Umständen an. Die allermeisten schließen die Augen, wenn sie mit schreiendem Unrecht konfrontiert werden, oder reden sich ein, dass es sich nur um vorübergehende Begleiterscheinungen handle. Der NS-Staat ist von Anfang an keineswegs eine Herrschaft von Wenigen gegen das Volk. Den Mut zu unbotmäßigem Verhalten oder gar Widerstand bringen nur einzelne auf. Was dem totalitären Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten im Wege steht, wird verboten oder löst sich selbst auf. Das Mitmachen, Wegschauen und Nicht-Wissen-Wollen bleibt ein verbreitetes Verhaltensmuster – bis zum Ende.

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