Ost-West-Konflikt

Spionage aus Russland: Können wir unsere kritische Infrastruktur vor Angriffen schützen?

Können wir unsere kritische Infrastruktur vor Angriffen schützen?

Spionage aus Russland

Frank Jung/shz.de
Kiel
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Wo genau zuschlagen, damit die Versorgung gekappt wird? Westliche Offshore-Windparks stoßen auf Interesse russischer Schiffe. Foto: Daniel Reinhardt/shz.de

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Strom- und Internetkabel, Gasleitungen, Meereswindparks: Eine großangelegte Recherche skandinavischer Fernsehsender dokumentiert, wie russische Schiffe in Ostsee und Nordsee kritische Infrastruktur westlicher Länder ausspionieren.

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, Johann Wadephul, hat dazu aufgerufen, den Schutz kritischer deutscher Infrastruktur in Ost- und Nordsee zu verstärken. „Hier können und müssen wir besser werden“, sagt der schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete.

Als Maßnahmen dazu fordert er die Beschaffung moderner Systeme wie etwa Über- und Unterwasserdrohnen, eine Bündelung der Aufklärungsergebnisse und klarere Zuständigkeiten der unterschiedlichen Behörden und Organisationen auf nationaler und internationaler Ebene bei Überwachung und Schutz.

Wadephul betont weiter: „Der deutschen Marine kommt bei alle dem eine Schlüsselrolle zu. Sie muss für alle diese Aufgaben weiter verstärkt und modernisiert werden.“

Der Parlamentarier aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde reagiert damit auf Ergebnisse eines umfassenden Recherche-Projekts skandinavischer Medien zu russischer Spionage auf dem Meer. Öffentlich-rechtliche Sender aus Dänemark, Schweden, Finnland und Norwegen haben damit gezeigt, dass russische Schiffe auf Ost- und Nordsee systematisch auskundschaften, wie sie wesentliche Teile des Alltags westlicher Länder lahmlegen könnten.

Positionsdaten werden unterdrückt

Ob Unterseekabel für Strom und Internet, Gasleitungen oder Meereswindparks: Details all solcher Versorgungseinrichtungen werden demnach sowohl von militärischen als auch zivilen russischen Schiffen genauestens unter die Lupe genommen. Den Recherchen zufolge haben die Fahrzeuge dabei ihre eigentlich vorgeschriebenen AIS-Sender ausgeschaltet. Damit sind ihre Positionsdaten öffentlich nicht sichtbar.

„Schattenkrieg“ heißt das Medienprojekt, das derzeit in drei Teilen mit Beginn in der letzten Woche gesendet wird.

Mindestens 50 mysteriös agierende Schiffe

Die skandinavischen Journalisten konnten die Bewegungen von mindestens 50 Schiffen in den letzten zehn Jahren unter anderem mit deren Funkkommunikation untereinander nachweisen. Im dänischen Kattegat sichtete ein Fernseh-Team auch leibhaftig ein versteckt fahrendes russisches Marineschiff. Die TV-Leute wurden dabei mit vorgehaltenen Gewehren bedroht.

„Die Russen fahren herum, weil sie gegebenenfalls im Stande sein wollen, Infrastruktur zu treffen, wenn ein Krieg kommt oder sich das Verhältnis zum Westen zuspitzt“, erklärt Tobias Liebetrau vom Center für Militärische Studien an der Universität Kopenhagen gegenüber der Tageszeitung Jyllands-Posten. „Sie tun es sicher auch, um Furcht einzuflößen und zu sagen: Seht her, das hier können wir. Konflikte zwischen Großmächten und der Krieg in der Ukraine hat diese Aufmerksamkeit für Infrastruktur erhöht.“

Der dänische Geheimdienst äußert sich gegenüber Danmarks Radio ähnlich. Dass fällt Flemming Spidsboel, Seniorforscher am Dänischen Institut für Internationale Studien, auf: „Mein Eindruck ist, dass wir uns jetzt in einer neuen Phase befinden. Größere Offenheit des Geheimdienstes kann darauf hindeuten, dass die Spionage eine große und akute Herausforderung darstellt.“

Wadephul bilanziert: „Klar ist, dass Russland potenzielle Ziele ausspäht. Wie real diese Gefahr ist, haben uns die Anschläge auf Nord Stream 1 und 2 drastisch vor Augen geführt.“

Experten sehen das Risiko schon länger kommen

Für Experten sei schon seit Jahren offenkundig, dass Russland umfangreiche Aufklärung und Spionage mit Seestreitkräften oder zivilen Forschungsschiffen betreibe. „Immer wieder“, so der CDU-Bundestagsabgeordnete, „fanden Seemanöver oder Flottenbewegungen in direkter Nähe zu unterseeischer kritischer Infrastruktur wie Pipelines oder Kabel statt oder in der Nähe von Bohr- und Förderinseln in Ost-, Nordsee und Atlantik. Das hat sich seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine noch verstärkt.“

Das Dilemma aus unabhängiger Forschersicht: „Ich denke nicht, dass man viel tun kann, um diese Art der Spionage zu verhindern“, glaubt Henrik Schilling aus der Abteilung Maritime Strategie und Sicherheit des Instituts für Sicherheitspolitik der Universität Kiel. „Einerseits gibt es enorm viel kritische Infrastruktur in Nord- und Ostsee, die es zu überwachen gäbe. Andererseits wird es im Zweifel schwierig auseinanderzuhalten sein, ob ein russisches Forschungs- oder Marineschiff tatsächlich Spionage betreibt oder nur durch bestimmte Gewässer fährt.“

Wie Russland maximal stören könnte

Schon bei solchen seerechtlich gestatteten Transitfahrten sei es möglich, dass relevante Informationen über kritische Infrastruktur gesammelt werden. Bezüglich der Gefährlichkeit müsste man laut Schilling erst einmal wissen, welche Informationen im Detail gesammelt werden. Schlicht die Positionen von Pipelines, Offshore Windparks etc. seien durch öffentliche Karten auffindbar. „Angereichert mit detaillierten Informationen über diese Infrastruktur“, so Schilling weiter, „ergeben sich für Russland aber natürlich die Möglichkeiten, Pläne auszuarbeiten, wie die kritische Infrastruktur und damit die Versorgung mit wichtigen Ressourcen möglichst effektiv gestört werden kann.“

Der Wissenschaftler kann sich „nicht vorstellen, dass Russland zwar unsere nördlichen Nachbarn ausspioniert, aber vor deutscher kritischer Infrastruktur Halt macht.“

Es wird Zeit für neue Seefernaufklärer

Trotz der von ihm grundsätzlich ausgemachten Hilflosigkeit will auch Schilling keineswegs die Hände in den Schoß legen. Auch er plädiert für mehr „koordinierte Bemühungen zur Bewachung von Seegebieten durch Marineschiffe, Küstenwache und vor allem Seefernaufklärerflugzeuge wie die Deutschen P-3C Orion, die bald durch die neueren P-8A Poseidon ersetzt werden sollen“.

Als ein Beispiel für solche Bemühungen nennt der Forscher die deutsche Beteiligung an der Überwachung norwegischer kritischer Infrastruktur im November letzten Jahres.

Bessere Verzahnung von Nato und EU

Wadephul geht es bei einer Bündelung von Aufklärungsergebnissen um die bessere Verzahnung der internationalen Partner und Verbündeten in Nato und EU. „Hier stellen beide Organisationen schon erste Überlegungen an.“ National gehe es darum, nicht nur auf etwa föderale Zuständigkeiten von Polizeien zu pochen, „sondern den Informationsfluss zu verbessern und durch gemeinsame Übungen ein gemeinsames Vorgehen zu trainieren.“

Sicherheitsforscher Schilling formuliert eine unbequemere, weil breiter angelegte und teurere Herausforderung: „Es muss ausreichend Fallback-Optionen geben, die genutzt werden können, wenn ein Teil der kritischen Infrastruktur ausfällt. Und es sollte eine Vorbereitung auf den Worst-Case getroffen werden durch Übungen und Simulationen.

Trotzdem „kommt man aber nicht um die Frage herum, wie man reagiert, wenn man Russland eindeutig bei einer Spionageoperation oder gar einer Sabotageoperation erwischt“.

Aus russischer Sicht „koordinierte Provokation“

Das russische Außenministerium bezeichnete die Berichterstattung über den „Schattenkrieg“ gegenüber Danmarks Radio als „koordinierte Provokation“. Die Schiffsbewegungen würden fehlgedeutet. Moskau klassifiziert die Recherche als „eine weitere Welle von Spionmanie in den nordischen Ländern“.

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