Zukunftsmodell

So sollen Landwirtschaft und Solaranlagen zusammen funktionieren

So sollen Landwirtschaft und Solaranlagen zusammen funktionieren

Landwirtschaft und Solaranlagen

Sina Wilke, SHZ
Schleswig-Holstein
Zuletzt aktualisiert um:
Oben Solar, unten Landwirtschaft - ein Modell für den Norden? Foto: Agrosolar Europe

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Solaranlagen auf Äckern, die gleichzeitig bewirtschaftet werden, gelten als zukunftweisende Lösung bei der Energiewende. Wird es in Schleswig-Holstein bald Photovoltaik auf Stelzen geben?

Es klingt bahnbrechend: Mit Solarmodulen über Äckern könnten viele Energieprobleme gelöst werden. Endlich müssten Land- und Energiewirtschaft nicht länger um wertvollen Grund und Boden konkurrieren, sondern er könnte gleichzeitig der Nahrungsmittelproduktion und der Stromerzeugung dienen.

Agri Photovoltaik, kurz Agri PV, nennt sich diese kombinierte Nutzung, die in Frankreich, China oder den USA bereits umgesetzt wird. Auf den Feldern sind die Solarmodule dann entweder so hoch aufgeständert, dass Maschinen darunter Platz haben, oder aber vertikal aufgestellt und so weit voneinander entfernt, dass man dazwischen fahren kann.

Solar auf vier Prozent der landwirtschaftlichen Fläche reicht für Deutschlands Strom

In Deutschland könnten diese Anlagen laut Fraunhofer-Institut rund 1700 Gigawatt Leistung erzeugen. Vier Prozent der landwirtschaftlichen Fläche würden laut den Experten ausreichen, um durch Agri PV den hiesigen Strombedarf zu decken. Und Förderungen winken dafür seit Kurzem auch; zudem gibt es weiter EU-Subventionen, wenn die Äcker noch zu mindestens 85 Prozent landwirtschaftlich genutzt werden.

Kein Wunder, dass das Synergie-Modell bereits in mehreren Bundesländern im Südwesten getestet wird. Im niedersächsischen Lüchow soll in Kürze gar Deutschlands größte Agri-PV-Anlage ans Netz gehen, und auf dem Gelände des Greentec Campus in Enge-Sande (Kreis Nordfriesland) kann man drei Ausstellungsanlagen besichtigen.

Im Norden wären Verschattung und Wind problematisch

Doch ist die simultane Nutzung von Solar und Landwirtschaft im Norden ein Zukunftsmodell? Stephan Gersteuer ist skeptisch. „Agri PV ist in Schleswig-Holstein noch nicht so sehr ein Thema“, sagt der Generalsekretär des Landesbauernverbandes.

Schließlich sorgen die Module dafür, dass weniger Licht auf den Feldern ankommt. Daher sei Agri PV eher für südliche Regionen mit mehr Sonnenstunden interessant, glaubt Stephan Gersteuer.

Und noch ein Hindernis gibt es im Norden: jede Menge Wind. Bei doppelter Windgeschwindigkeit wirkt bereits eine vier Mal größere Kraft auf die Konstruktionen, die dann deutlich stabiler gebaut werden müssten. „Das macht die Sache teuer und weniger attraktiv.“

Dachkonstruktion statt Solar auf Stelzen

Eine Chance sieht er deshalb eher in senkrecht stehenden Anlagen, die viel Platz lassen und das Licht am Morgen und Abend einfangen – „vielleicht auf Grünland oder Obstkulturen“, glaubt Gersteuer. „Aber da sind wir noch nicht.“

Noch würden sich diese vertikalen, teuren Modelle nicht rechnen, sagt Jan Peter Ehlers. Der Ingenieur möchte zusammen mit einem Landwirt in Dithmarschen 35 bis 40 Megawatt Leistung auf 50 Hektar Fläche installieren – maximal 3,50 Meter hoch, mit großen Abständen bis zu zehn Metern. Wahrscheinlich schräg wie ein Dach aufeinander zulaufend mit Ost-West-Ausrichtung, um nicht zur Mittagszeit, sondern dann Strom zu produzieren, wenn andere Anlagen nur mit halber Kraft fahren.

Mais ist für Agri PV nicht geeignet, Getreide nur eingeschränkt

Das streng definierte, förderwürdige Agri PV mit einem Flächenverlust von maximal 15 Prozent wird es in Dithmarschen allerdings nicht geben – um das zu erreichen, müssten deutlich weniger Solaranlagen aufgestellt werden, „und die Landwirtschaft müsste das Minus des Stromertrages auffangen, das ist für uns nicht praktikabel“, erklärt Jan Ehlers. „Wir machen unser eigenes Ding, regional angepasst. Es wird ein Mix aus aktiver Landwirtschaft, Naturüberlassung und Bodenpflege.“

Sprich: In einem Teil sollen sich Kleintiere und Pflanzen tummeln, ein Teil wird gemäht oder von Schafen beweidet, ein Teil bewirtschaftet. Was genau dort angebaut wird, steht noch nicht fest. Denkbar sind Pilze, Heidel- oder Himbeeren – Gewächse, die mit Verschattung gut klarkommen.

Tatsächlich zeigen Feldversuche im Südwesten Deutschlands, dass der sonnenhungrige Mais sich für Agri PV gar nicht eignet, und dass Kartoffeln und Getreide unter den Solar-Konstruktionen in heißen und trockenen Sommern zwar profitieren, bei viel Regen allerdings leiden. Vor allem schattentolerante Arten wie bestimmte Obst- und Gemüsesorten sowie Wein sind demnach für Agri PV geeignet – im Norden Nischenprodukte.

Gras ernten zwischen Sonnenkollektoren in Klein Rheide

Warum aber dieser Mittelweg in Dithmarschen? Würde man mit reinen PV-Anlagen, wie man sie an der Autobahn dicht an dicht stehen sieht, nicht mehr verdienen? Jan Ehlers sagt: „Wir wollen es vernünftig machen und nicht nur die Rendite maximieren. Wir wollen das Land auch sinnvoll nutzen und pflegen.“

Genau das passiert bereits in In Klein Rheide: Die Augustsonne knallt an diesem Vormittag in der Gemeinde nicht weit von Schleswig vom Himmel, die Produktion läuft. Auf 27 Hektar Fläche produzieren Solarkollektoren 23 Millionen Kilowattstunden pro Jahr. Sie stehen nicht dicht an dicht, auch wenn hier keine Kartoffeln oder Heidelbeeren gedeihen. Stattdessen wächst Gras, das ein bis zwei Mal im Jahr mit einem schonenden Doppelmessermähbalken gemäht und möglichst verfüttert wird.

Noch ein Weg: Solar, Landwirtschaft und Artenvielfalt

Auch das ist eine doppelte Nutzung von Energie- und Landwirtschaft – nur ist es streng gesehen ebenso wenig Agri PV wie die von Ehlers geplante Anlage. „Agri PV ist zu kurz gedacht“, findet denn auch René Nissen, Geschäftsführer der Wattmanufactur, einer Tochtergesellschaft des Osterhofs in Galmsbüll (Nordfriesland), die die Anlage betreibt. Seiner Meinung nach müsste man die Definition weiten.

Deshalb ist die Fläche, auf denen die Kollektoren gerade Sonnenlicht in Energie umwandeln, ein Hort der Biodiversität. Im hohen Gras zwischen den Anlagen hüpfen Kreuzkröten, schwirren Falter und fühlen sich Dutzende Farn- und Blütenpflanzen wohl. Umweltverbände loben das Modell, über das René Nissen sagt: „Wir machen das aus Überzeugung. Wir wollen gute Plätze schaffen, die Fläche mit landwirtschaftlichem Blick optimal gestalten und Landwirtschaft und Artenschutz zusammen denken.“

Große Maschinen und Solaranlagen passen schlecht zusammen

Er bedauert, dass Agri PV „aktuell sehr wissenschaftlich gedacht wird, aber nicht praxisnah“. Wissenschaftlich gedacht, müsste die Wattmanufactur für anerkanntes Agri PV die Abstände der Kollektoren so sehr verbreitern, dass die riesigen Maschinen hindurchkämen, die für Anbau und Ernte nötig sind – die Solareffizienz würde zusammenschnurren. Oder sie müsste für die engen Reihen spezielle Maschinen anschaffen – dann würde sich die Landwirtschaft nicht mehr lohnen.

Agri PV in Raps, Mais oder Getreide wird man also wohl in nächster Zeit nicht in Schleswig-Holstein sehen, eher wird es andere kreative Lösungen geben wie in Klein Rheide und Dithmarschen. Die große Agri-PV-Euphorie ist das noch nicht. Stephan Gersteuer vom Bauernverband ergänzt: „Man stellt sich auch nicht gerne etwas auf den Acker, um das man herumfahren muss.“

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