Chemie

So PFAS-verseucht ist Nordfriesland wirklich

So PFAS-verseucht ist Nordfriesland wirklich

So PFAS-verseucht ist Nordfriesland wirklich

Marco Nehmer/shz.de
Friedrichstadt
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Ein Graben in Südtondern: Selbst in der vermeintlichen Idylle unweit der Nordsee finden sich die hochbedenklichen und als krebserregend geltenden PFAS-Chemikalien in Böden und Gewässern. Foto: Marco Nehmer/shz.de

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Von Ladelund an der dänischen Grenze bis runter nach Seeth: In Nordfriesland sind die giftigen Chemikalien ein ernstes Problem. Es gibt mehrere Orte mit PFAS-Verdacht – und mit bestätigten Kontaminationen. Eine davon ist besonders besorgniserregend.

Sie sind in Backpapier und Outdoorkleidung, in Zahnseide und Pfannenbeschichtungen, in Löschschaum und Haarshampoo. Und sie sind in Mensch und Tier, in der Umwelt, für immer. Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, kurz PFAS, vier unauslöschliche Buchstaben.

Eine Gruppe künstlich hergestellter Chemikalien, die nicht nur Fett und Wasser abweisen, sondern auch jeden Versuch der Natur, sie wieder abzubauen. Weil sie schädlich sind, ist das ein gigantisches Problem, das sich mit jedem weiteren Tag zuspitzt. Und weil es auch vermeintlich abgelegene Regionen betrifft, sind PFAS auch ein nordfriesisches Problem, von Ladelund bis Friedrichstadt.

„Das ist die wichtigste Erkenntnis unserer bisherigen Untersuchungen: PFAS sind überall“, sagt Dr. Bernd Göckener gegenüber shz.de. Göckener, Abteilungsleiter Spurenanalytik und Umweltmonitoring beim Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie, hat die mit Abstand besorgniserregendste Messung im Norden wissenschaftlich begleitet, die in Friedrichstadt.

Friedrichstadt gehört zu den Gift-Hotspots

Der hier beprobte Messpunkt ist einer von 1500 Orten in Deutschland, die den Recherchen von „Süddeutscher Zeitung“, WDR und NDR zufolge nachweislich mit dem krankmachenden „Jahrhundertgift“ verseucht sind. Und: Er ist einer von bundesweit 300 Hotspots.

Ab wann bei PFAS besondere Vorsicht geboten ist

Als Hotspots werden vom europäischen Investigativteam des „Forever Pollution Projects“ – neben den beteiligten deutschen Medien sind unter anderem auch der britische „Guardian“, die dänische „Politiken“ und die französische „Le Monde“ dabei – Orte mit einer PFAS-Belastung jenseits von 100 Nanogramm pro Kilo oder Liter entnommener Boden- oder Wasserprobe bezeichnet. Friedrichstadt ist einer davon, mit 7016 Nanogramm pro Kilo an der beprobten Stelle unumstrittener PFAS-Gesamtführender in Schleswig-Holstein, auch im deutschlandweiten Vergleich in der Spitzengruppe.

Nichts, worauf man stolz sein könnte. In der Stadt ist man vielmehr alarmiert – auch, weil man bis zur Kontaktaufnahme von shz.de zu dem Sachverhalt noch gar nichts wusste von der Kontamination einer hier genommenen Probe. Man habe, heißt es aus Friedrichstadt, „bis zum Eingang Ihrer Anfrage keinerlei Kenntnis über derartige Belastungen“ gehabt. „Die Stadt Friedrichstadt wird den Sachverhalt erörtern und sich mit den zuständigen Behörden in Verbindung setzen.“

Unter Stand-Up-Paddlern und Angelruten schlummern Unmengen PFAS im Sediment

Was die Stadt dann erfahren wird: Die Probe wurde als Teil des vom Umweltbundesamt initiierten und mit dem Fraunhofer-Institut umgesetzten Monitoring-Projekts „SumPFAS“ genommen, und zwar schon 2021. Sie wird erfahren, dass es sich um eine Sedimentprobe vom Grund des Westersielzugs handelt . Und sie wird sich fragen, was das nun für die Gesundheit der Menschen bedeutet. Im Sommer sind hier Stand-Up-Paddler unterwegs, der Westersielzug ist ein beliebtes Angelrevier. Wie groß ist jetzt die Gefahr? Gibt es überhaupt eine?

„Wir haben“, sagt Dr. Bernd Göckener mit Blick auf derart hohe Konzentrationen wie in Friedrichstadt, „ noch überhaupt keine Ahnung, was daraus folgt.“ Entsprechend gebe es auch keine einheitlichen Grenzwerte für PFAS, für die in der EU gerade ein Komplett-Verbot diskutiert wird. Was man weiß ist, dass sie sich im Menschen anreichern, wenn er sie aufnimmt, in erster Linie über kontaminierte Nahrung. Dass sie sich in Organen ansammeln, im Blut. Dass sie vermutlich ernsthaft krank machen können. Unfruchtbarkeit. Krebs. Entwicklungsstörungen bei Kindern. Und wohl noch vieles mehr, die Dimension des Problems ist bisher nur in Ansätzen bekannt.

Aktive und ehemalige Bundeswehrstandorten in NF besonders betroffen

Schon deutlich besser bekannt ist, wo man PFAS häufig in signifikanter Menge in der Umwelt finden kann, etwa in Böden und Gewässern in der Nähe von Industrieanlagen, Klärwerken, Deponien – und militärischen Einrichtungen, auch wegen des hier früher oft verwendeten PFAS-versetzten Löschschaums. Entsprechend viele Bundeswehrstandorte gelten als Verdachtsflächen, in Nordfriesland die ehemaligen Materiallager Ladelund und Bargum, die Julius-Leber-Kaserne Husum, das Materialwirtschaftszentrum Wester-Ohrstedt, der Standortübungsplatz Seeth. In einer auf dem Gelände des ehemaligen Nato-Flugplatzes Leck entnommenen Wasserprobe wurden bereits PFAS gefunden, dem Anschein nach gilt das auch für eine Probe vom Flugplatz Husum-Schwesing.

BIMA und Bundeswehr wollen sich kommende Woche äußern

Konfrontiert mit Fragen zur PFAS-Belastung inaktiver und aktiver Bundeswehrstandorte im Kreis verweisen das Landesamt für Umweltschutz und die Untere Bodenschutzbehörde Nordfriesland auf die Zuständigkeit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) und des Bundesamts für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr. Hierzu lägen, heißt es von LfU und Bodenschutzbehörde, keine eigenen Erkenntnisse vor. Ein Fragenkatalog von shz.de liegt der BIMA und der Bundeswehr vor, Auskünfte sind für die kommende Woche in Aussicht gestellt worden.

Bleibt noch ein letzter belasteter Ort in Nordfriesland, den das „Forever Pollution“-Team erfasst hat: Bordelum, Messpunkt Langacker. Hier wurde eine Wasserprobe genommen, in der man den Angaben nach zwölf Nanogramm PFAS pro Liter nachweisen konnte. Ein Wert, der vergleichsweise so gering ist, dass er fast schon als gute Nachricht durchgeht – im Licht der riesigen schlechten: PFAS sind überall.

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