Schleswig-Holstein

Riesige Lücken beim Schwimmunterricht

Riesige Lücken beim Schwimmunterricht

Riesige Lücken beim Schwimmunterricht

Frank Jung/shz.de
Kiel
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Der VfL Oldesloe startet die Aktion „Jedes Kind muss schwimmen können“ im Travebad. Foto: www.imago-images.de/shz.de

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Die schwarz-grüne Landesregierung müsse erheblich mehr tun, damit sich die grundlegenden Fähigkeiten von Kindern in Schleswig-Holstein im Schwimmen nicht noch weiter verschlechtern: Dazu mahnen Experten in einer Anhörung des Landtags – und machen Vorschläge, wo sie Stellschrauben für eine Wende zum Besseren sehen.

In einer ohnehin alarmierenden Lage sei die Absenkung der Wassertemperatur in vielen Schwimmbädern im Zuge der Gaspreiskrise pures Gift: Diese Warnung findet sich gleich mehrfach in den Stellungnahmen einer Anhörung, die der Bildungsausschuss des Landtags angesichts mangelnder Schwimmfähigkeiten von Kindern auf den Weg gebracht hat.

Kälteres Wasser macht alles noch schwieriger

Zum Beispiel der Landesgeschäftsführer des Bunds Deutscher Schwimmmeister, Jens Popke, mahnt angesichts des abgekühlten Wassers: „Dies ist gerade im Anfängerschwimmbereich sehr hinderlich. Die Kinder benötigen in Wohnortnähe ein Angebot mit warmem Wasser (mind. ca. 28, besser 32 Grad)„.

Der Turn- und Sportbund (TSB) Flensburg schlüsselt in seiner Stellungnahme auf: „Schwimmenlernen bei einer Temperatur von unter 28 Grad ist schwer umsetzbar: Die Kinder verkrampfen, die Konzentrationsfähigkeit lässt nach, es gibt hohe Krankheitszahlen. Alternativen wie Neoprenanzüge sind nicht förderlich beim Erlernen der Schwimmfähigkeit (Auftrieb)“, so die Leiterin der Schwimmabteilung, Petra Obermark.

Rund ein Viertel der Schulen ohne Schwimmunterricht

An 20 bis 25 Prozent aller Schulen findet entgegen dem Lehrplan nicht einmal marginaler Schwimmunterricht statt, stellen sowohl die DLRG als auch der Kinderschutzbund SH in ihren Wortmeldungen fest. Fehlende Schwimmflächen und zu hoher logistischer Aufwand über zu große Entfernungen spielten eine Rolle.

Einig sind sich alle bei der Anhörung sich äußernden acht Organisationen aber in der Einschätzung: Vor allem hapert es am Personal, das Heranwachsenden das richtige Verhalten im Wasser beibringen kann. Die Zahl von Lehrkräften mit Lehrerlaubnis zum Schwimmen sei viel zu gering.

Wo sich personelle Reserven heben lassen

Lichtblick dabei: In anderen Personenkreisen lassen sich nach Einschätzung der allermeisten Experten noch Potenziale heben – aber nur, wenn die Landesregierung dafür aktiver wird. So analysiert etwa der Landesgeschäftsführer der DLRG, Thies Wolfshagen: „Der Einsatz von Lehrkräften ohne Schwimm-Fakultas, aber mit Trainer-Lizenzen, von internen und externen Helfern mit und ohne Ausbilder-Lizenzen (ob nun aus Vereinen und Verbänden oder Privatmenschen) am Beckenrand oder in der begleitenden Organisation wird noch nicht ausreichend genutzt.“

Das liege unter anderem daran, dass eine Vergütung für diese Personen durch Land oder Schulträger entweder gar nicht oder nur unter immensem organisatorischen Aufwand möglich sei.   

Nach Einschätzung des Städteverbands SH „gibt es vielerorts einige ehrenamtlich tätige Personen, bei denen eine finanzielle Vergütung motivierend und auch für weitere Ehrenamtliche attraktivitätsfördernd wirken kann.“

Vize-Geschäftsführerin Marion Marx regt Förderprogramme an, die es kommunalen oder privaten Schwimmbadbetreibern erlauben, zusätzliches Personal einzustellen. Das könne dann die Schwimmausbildung für mehrere Schulen und auch Kurse im Freizeitbereich übernehmen. Zudem schlägt der Städteverband vor, „dass mehrere Schulen mit ihrem vorhandenen Lehrpersonal kooperieren – so dass Schwimmlehrkräfte gegebenenfalls auch mehrere Schulen in einer Kommune betreuen können.“  

So oder so hat der Städteverband von seinen Mitgliedern erfahren, „dass sowohl im Bereich der Grundschulen als auch an den weiterführenden Schulen großer Handlungsbedarf besteht.“ An einer „Offensive“ zum Schwimmenlernen „sollten alle Schularten beteiligt sein“.

Idee: Mehrere Schulen teilen sich Schwimmlehrer

Auch der Bund Deutscher Schwimmmeister rät dazu, dass sich mehrere Schulen eine Lehrkraft mit Schwimm-Fakultas teilen. Der Vorschlag von Geschäftsführer Popke geht sogar so weit, solche Leute Vollzeit in der Schwimmhalle und gar nicht mehr für andere Fächer in der Schule arbeiten zu lassen. „Dies hat den Vorteil, dass immer eine qualifizierte Lehrkraft vor Ort ist und gebuchte Zeiten vermutlich weniger abgesagt werden müssen“, lautet ein Argument.

Ein Blick nach Hamburg

Um die wenigen für den Schwimmunterricht vorhandenen Lehrer zu entlasten, rät Popke zu einem Blick zur Bäderland Hamburg GmbH: Dort „bringen Begleitpersonen die Schüler von der Schule in die Schwimmhalle. In der Schwimmhalle übernehmen Fachkräfte beziehungsweise besonders geschulte Mitarbeiter die schwimmerische Ausbildung der Schüler.“

Der Kinderschutzbund tritt dafür ein, pro Kreis oder kreisfreier Stadt einen Pool von Schwimmlehrkräften zu bilden, die auch für weitere Schulen als ihrer eigenen Schwimmunterricht erteilen. Für Nichtschwimmer im Grundschul- und Mittelstufenalter könnten könnten zudem Gemeinden und Städte Sommerkurse anbieten. „Dafür wären auch Freibäder gut geeignet.“

Kinderschutzbund vermisst Koordination im Bildungsministerium

Noch ein Vorschlag des Kinderschutzbunds: Um Initiativen zu koordinieren, müsse das Thema Schwimmunterricht im Bildungsministerium mit einer festen personellen Zuständigkeit gebündelt werden. Dann hätten alle Beteiligten auch einen zentralen Ansprechpartner.

Es fehlt ein Komplett-Verzeichnis aller auch privaten Bäder

Einen konkreten Aufgabenvorschlag für eine solche Person hat die DLRG schon: Angesichts der durch Schwimmbadschließungen immer knapper gewordenen Ausbildungsorte müsse das Land dringend ein „vollumfängliches Verzeichnis aller“ für den Schwimmunterricht geeigneten „Wasserflächen erstellen“. DLRG-Geschäftsführer Wolfshagen: „Hierin sollen wirklich alle für die Schwimmausbildung nutzbaren Wasserflächen - vom Hotelpool und Bewegungsbad, über Lehrschwimmbecken jeglicher Art bis hin zu Frei- und Hallenbädern - katalogisiert werden, um landesweite Bedarfe an Wasserzeiten abdecken zu können.“

Auch die grundlegende Sportlehrerausbildung müsse Schwimmen abdecken.

Insgesamt gilt aus Sicht des DLRG-Landesgeschäftsführers: „Der Dialogprozess mit allen am Schwimmunterrichtig Beteiligten ist aus unserer Sicht noch deutlich ausbaufähig. Es wird klar, dass noch nicht alle möglichen Synergieeffekte in diesem komplexen System vollends genutzt werden“. Das münzt Wolfshagen beispielsweise neben seiner eigenen Organisation auch auf den schleswig-holsteinischen Schwimmverband, die DRK Wasserwacht, Sportverbände, Schwimmhallenbetreiber, Schulen und das Bildungsministerium.

Auch wenn es ohne noch mehr Honorar- und komplett ehrenamtliche Kräfte nicht gehen werde: „Das Ehrenamt alleine wird diese „Mammut-Aufgabe“ nicht lösen können“, so der DLRG-Chef. „Warum eine größtmögliche Vernetzung und die Entwicklung weiterführender Konzepte dringend notwendig ist.“

Regierungsmehrheit wollte Anhörung erst unterbinden

Die schriftliche Expertenanhörung geht auf eine Initiative der FDP-Landtagsfraktion zurück. Die schwarz-grüne Regierungsmehrheit hatte dies zunächst abgelehnt. Erst nach einer Intervention des Ältestenrats des Landtags hatte der Bildungsausschuss dann doch mehrheitlich grünes Licht für das Zusammentragen von Experten-Meinungen gegeben.

Ursprünglich wolten es die Koalitionsfraktionen CDU und Grüne mit einem Antrag bewenden lassen, der ganz allgemein eine weitere Einbeziehung des Ehrenamts in den Schwimmunterricht thematisiert. Dieser Antrag erhielt im Rahmen der Anhörung selbst von dem eigentlich CDU-freundlichen Verband der Gymnasiallehrer die Bewertung: „Der Philologenverband SH stuft die Ausführungen als zu wenig konkret und damit kaum zielführend ein.“

 

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