SPD-Außenpolitiker im Interview

Ralf Stegner fordert Waffenruhe in Ukraine und warnt vor Flächenbrand

Ralf Stegner fordert Waffenruhe in Ukraine und warnt vor Flächenbrand

Ralf Stegner fordert Waffenruhe und warnt vor Flächenbrand

SHZ
Berlin
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„Wir haben Putin nicht naiv betrachtet“: Ralf Stegner. Foto: Kay Nietfeld/shz.de

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Schleswig-Holsteins früherer SPD-Chef verlangt rasche humanitäre Hilfe für die Menschen in der Ukraine – und nennt Putin einen Kriegsverbrecher. Auch für die deutsche Verteidigungspolitik erwartet er Konsequenzen.

Seit einem halben Jahr sitzt der frühere schleswig-holsteinische SPD-Landes- und Fraktionschef im Bundestag. Der 62-Jährige arbeitet dort im Auswärtigen Ausschuss.

Herr Stegner, im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine haben Sie auf Diplomatie gesetzt. Jetzt führt Russlands Präsident Putin einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wie konnten Sie ihn so falsch einschätzen?

Wir haben Putin nicht naiv betrachtet. Unsere Strategie hatte immer zwei Teile: Erstens scharfe Sanktionen für den Fall, dass er militärisch angreift. Und zweitens diplomatische Bemühungen, um genau das zu verhindern. Auch wenn die jetzt leider gescheitert sind, waren die ja nicht falsch.


Die SPD war lange sehr zögerlich mit Kritik an Russland. Sie hat Verständnis gezeigt für angebliche russische Sorgen wegen einer Bedrohung durch die Nato. Und sie hat ein Aus für Nordstream 2 nicht als Sanktion androhen wollen. Muss die SPD Ihre Haltung zu Russland jetzt ändern?

Nein. Ich habe noch nie Verständnis für das autoritäre Regime in Russland gehabt – das hat nur die AfD. Aber wenn man für Diplomatie ist, gilt der Satz unseres Fraktionschefs Rolf Mützenich: Man muss die Position des anderen nicht teilen, aber sich mit ihr auseinandersetzen. Sicherheit kann es nur gemeinsam geben. Diese Erkenntnisse werden auch nicht durch das falsch, was zweifellos eine krasse Völkerrechtsverletzung ist. Es trifft zu, was Mützenich gesagt: Putin ist ein Kriegsverbrecher.

Was hätte man denn tun könne, um den Angriff zu verhindern?

Diejenigen, die jetzt sagen, man hätte härter auftreten müssen, würde ich gern fragen: Wie denn härter? Härtere Interviews geben? Ein militärisches Eingreifen durch den Westen? So ist der Konflikt nicht zu lösen. Und das haben die USA ja auch von Anfang an ausgeschlossen. Letztlich weiß ich nicht, ob Putin irgendwie von seinem Plan abzubringen gewesen wäre.


Wie soll es jetzt weitergehen, wie kann der Krieg rasch wieder beendet werden?

Wir brauchen dringend eine Waffenruhe und humanitäre Hilfe für die Menschen. Die russische Aggression muss schnell beendet werden, weil es eine Katastrophe ist, dass in Europa wieder Krieg herrscht. Ich glaube, das Einzige, was geht, ist eine Mischung aus scharfen Sanktionen und allen diplomatischen Bemühungen, die möglich sind.

Sanktionen haben nach der russischen Annexion der Krim 2014 allerdings kein Einlenken herbeigeführt. Warum sollten Sie diesmal wirken?

Es gibt keine Garantie dafür. Aber die jetzt geplanten Sanktionen gehen deutlich über alles hinaus, was es bisher gab. Allerdings bestrafen wir uns damit auch selbst – womöglich sogar noch mehr als Russland. Das muss man aber in Kauf nehmen.


Die baltischen Staaten fürchten, dass Putin mit seinem Vormarsch in der Ukraine nicht halt macht. Sie auch?

Das ist eine riesige Gefahr. Daher hat Rolf Mützenich auch gesagt, es gehe jetzt nicht nur um scharfe Sanktionen, sondern auch um das Verhindern eines Flächenbrands in Europa. Denn bei den baltischen Staaten reden wir über Nato-Mitglieder – und falls die angegriffen würden, über den Bündnisfall. Wenn aber die Nato und Russland sich mitten in Europa bekämpfen würden, wäre das eine unvorstellbare Katastrophe.

Welche sicherheitspolitischen Konsequenzen muss Deutschland aus Russlands Angriff auf die Ukraine ziehen?

Viele sagen: Wer den Frieden will, rüste sich für den Krieg. Aber das ist eine Antwort von gestern. Wir haben riesige globale Herausforderungen und Zukunftsaufgaben, für die wir die Mittel brauchen – nicht für ein neues Wettrüsten.


Ihr Bundeskanzler Olaf Scholz hat aber schon höhere Verteidigungsausgaben angekündigt.

Wir müssen unsere Soldaten anständig ausstatten – daher haben wir ja schon im Koalitionsvertrag eine Erhöhung des Wehretats vereinbart. Und ich nehme mal an, Russlands Angriff auf die Ukraine wird dazu führen, dass es darüber hinaus eine weitere Steigerung geben wird, die man akzeptieren muss. Aber ein neues Wettrüsten und zehn Jahre Eiszeit würden uns nicht helfen.

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