Analyse

„Die polarisierende Oberbürgermeisterin: Warum Simone Lange in Flensburg scheiterte“

Warum Simone Lange in Flensburg scheiterte

Warum Simone Lange in Flensburg scheiterte

Julian Heldt/shz.de
Flensburg
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Jubel, Fernsehauftritte, Großprojekte und Skandale: Die Amtszeit von Simone Lange war ereignisreich. Foto: Collage: Can Yalim/shz.de

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Ihre Amtszeit war in vieler Hinsicht einzigartig: Simone Lange war nicht nur die erste Frau an der Spitze der Flensburger Stadtverwaltung, sondern sie prägte auch einen neuen Politikstil – nicht jedem gefiel das. Eine Analyse unseres Reporterchefs Julian Heldt.

Selfies vor dem Rathaus, Einblicke in ihr Büro im zehnten Stock und Posts aus der Ratsversammlung – als Oberbürgermeisterin verkörperte Simone Lange in den vergangenen sechs Jahren einen völlig neuen Politikstil. Sie diskutierte auf Facebook in den Kommentarspalten mit und war für die Menschen in der Stadt deutlich greifbarer als ihre männlichen Vorgänger. Simone war immer da!

Unter ihr wurden Jahrhundertprojekte wie der Krankenhaus-Neubau, die Entwicklung des östlichen Hafenufers zu einem großen Wohngebiet und die Dekarbonisierung der Stadtwerke beschlossen. Allesamt Vorhaben, die eigentlich für mehrere Amtszeiten reichen.

Und doch geht Lange vor allem als polarisierende Verwaltungschefin in die Flensburger Geschichte ein. „Ich fühle mich von der Stadtgesellschaft getragen“, erklärte sie bei der Verkündung ihrer erneuten Kandidatur im Frühjahr. Eine Selbstwahrnehmung, die sich als Trugschluss erwies. Am Donnerstag wird die im Oktober abgewählte 46-Jährige nach nur einer Wahlperiode verabschiedet.

Unterstützt von einem ungewöhnlichen Dreier-Bündnis

Abgezeichnet hatte sich dies im Jahr 2015 nicht. Gemeinsam machte sich das ungewöhnliche Dreier-Bündnis von CDU, SPD und Grünen auf, den zumeist blass gebliebenen Oberbürgermeister Simon Faber (SSW) abzulösen. Lange hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits als direkt gewählte Landtagsabgeordnete einen Namen gemacht. Noch viel entscheidender: Sie war das Gesicht der Flüchtlingshilfe, die damals Tausenden von gestrandeten Migranten im Bahnhof half.

Es war daher wenig verwunderlich, dass Lange bereits im ersten Wahlgang mit 51,4 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit holte. Simone löste Simon an der Spitze der Stadtverwaltung ab.

Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger wusste Lange durch die Unterstützung von CDU, SPD und Grünen die Mehrheit der Ratsversammlung hinter sich. Doch das Konstrukt bekam bereits zwei Jahre nach ihrem Amtsantritt Risse.

Für viele überraschend erklärte Lange Anfang 2018 ihre Kandidatur für den SPD-Bundesvorsitz. Zwar fuhr die scheidende Oberbürgermeisterin gegen Andrea Nahles mit 27,6 Prozent ein beachtliches Ergebnis ein und wurde deutschlandweit einer größeren Öffentlichkeit bekannt, jedoch beschädigte sie ihr Ansehen in Flensburg hierdurch nachhaltig. „Nach gerade mal einem Jahr im Amt hat sie sich mit dieser Kandidatur ein gutes Stück weit als Oberbürgermeisterin in Flensburg verabschiedet“, schimpfte ihr einstiger Unterstützer, CDU-Chef Arne Rüstemeier.

Der Ausflug in die Bundespolitik konnte als Selbstprofilierung und Flensburg nur als Sprungbrett für höhere Aufgaben verstanden werden. „Mir war immer klar, dass Flensburg für sie nur eine Durchgangsstation ist“, kommentierte die ehemalige Linken-Fraktionschefin Gabi Ritter die Kandidatur.

Lange betonte dagegen, das Amt der Oberbürgermeisterin sei mit dem SPD-Vorsitz vereinbar: „Im Zeitalter des 21. Jahrhunderts ist es nicht mehr nur eine Frage der örtlichen Entfernung. Wir haben heute andere Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten.“ Die älteste deutsche Partei, geführt nach Feierabend aus dem Home-Office an der Flensburger Förde?

In der Folge mischte Lange weiter in der Bundespolitik mit. Sie kritisierte die Beteiligung der SPD in der Großen Koalition, rief mit Sahra Wagenknecht die bereits nach wenigen Monaten gescheiterte Sammelbewegung „Aufstehen“ ins Leben und kandidierte nach dem Nahles-Rücktritt erneut für den SPD-Bundesvorsitz. Zu viel für die CDU, die ihre einstige Kandidatin fallen ließ. Diese verteidigte ihre Ambitionen lange, gestand den Fehler jedoch bei ihrer erneuten Kandidatur für das OB-Amt ein: „Selbstkritisch betrachtet, auch mit dem Wissen von heute, kann ich sagen: Ich würde es nicht nochmal machen.“

Lange stößt an ihre Grenzen

Einen Lernprozess musste Lange auch in einem anderen, viel elementareren Bereich durchmachen. Zu ihrem Stil als Oberbürgermeisterin gehörte es, omnipräsent zu sein, sich einzumischen und in Streitfragen alle Parteien an einen Tisch zu bringen. Dies gelang ihr stets gut, jedoch stieß auch Lange hier an ihre Grenzen, weil nicht immer Ergebnisse erzielt werden konnten – etwa in der Debatte um das umstrittene Bahnhofshotel, für das zahlreiche Bäume gefällt werden sollten.

Als die Verwaltung mit der Räumung des von Aktivisten besetzten Waldgrundstücks zögerte, nahmen die Investoren die Sache kurzerhand selbst in Hand und überraschten die Oberbürgermeisterin am Morgen des 19. Februar 2021, in dem sie mit Baumfällarbeiten begannen.

Was folgte, war der größte Polizeieinsatz in der jüngeren Geschichte in Flensburg, bei dem Lange mit der Räumung des Bahnhofswaldes auch die Klimaaktivisten gegen sich aufbrachte. Lange attackierte die beiden Hotelinvestoren offen für ihr Handeln („Ich fühle mich hinters Licht geführt“). Diese wiederum beklagten die fehlende Unterstützung der Verwaltung. Es blieb kein Einzelfall.

Fehlte Lange die Wirtschaftskompetenz?

Immer wieder musste sich die linke Verwaltungschefin während ihrer Amtszeit mit dem Vorwurf der fehlenden Wirtschaftskompetenz auseinandersetzen. Der Streit um das Bahnhofshotel, die Auseinandersetzungen mit der FFG rund um die Erweiterung in der Mads-Clausen-Straße und der Beinahe-Wegzug der Brauerei – nicht selten krachte es.

Lange wehrte sich gegen ihre Kritiker, verwies unter anderem auf die positive Entwicklung der Gewerbesteuer unter ihr. In den Führungsetagen der Unternehmen blieb sie jedoch umstritten. „Die Flensburger Wirtschaft hat sie verloren“, erklärte ihr heutiger Nachfolger Fabian Geyer im Februar 2021 – damals noch in seiner Funktion als Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes. Auch das Ansehen von Lange in der Bevölkerung bröckelte. Die Omnipräsenz auf Facebook und die ständigen Reaktionen auf Kritik in den sozialen Netzwerken wurden ihr vielfach als Dünnhäutigkeit ausgelegt.

Mit der Schließung der Rathausstraße folgte schließlich die Entscheidung, deren Auswirkungen die scheidende Oberbürgermeisterin wohl meisten unterschätzt hat. Weil die Politik nicht mitentscheiden durfte, wurde die Sperrung der Straße im Herbst 2021 von vielen als Alleingang der Verwaltung bewertet – begründet mit einer abstrakten Gefährdungslage.

Rathausstraße wird Fall für die Gerichte

Die Sperrung wurde ein Fall für die Gerichte. Zwar erhielt die Stadt Flensburg in letzter Instanz Recht, jedoch blieb die Entscheidung umstritten. Geyer warb im Wahlkampf damit, die Politik über den Fortbestand der Sperrung entscheiden zu lassen.

„Wäre es mir vordergründig darum gegangen, wiedergewählt zu werden, hätte ich die Rathausstraße anders entschieden“, verteidigte Lange die Schließung in ihrer letzten Ratsversammlung.

Und so bleibt am Ende vor allem das Bild einer Oberbürgermeisterin, die vieles anders und moderner machte, aber doch in entscheidenden Momenten stolperte.

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