Landtagswahl SH 2022

Nirgends wechseln die Regierungen öfter als in Schleswig-Holstein

Nirgends wechseln die Regierungen öfter als in Schleswig-Holstein

Nirgends wechseln die Regierungen öfter als in SH

SHZ
Kiel
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Die Kieler Staatskanzlei: Schon fünfmal zog hier nach Landtagswahlen ein Ministerpräsident einer anderen Partei ein. Foto: Frank Molter/dpa/shz.de

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In keinem Bundesland wurden Ministerpräsidenten öfter abgewählt als im nördlichsten. Was das für die Wahl am 8. Mai bedeutet. Und was die Ex-Amtsinhaber Peter Harry Carstensen und Björn Engholm dazu sagen.

Schleswig-Holsteins ehemaliger Landesvater Peter Harry Carstensen will es zunächst gar nicht glauben: In keinem Bundesland hat die Regierung nach Landtagswahlen öfter gewechselt als in Schleswig-Holstein. „Das kann nicht sein“, ist die erste Reaktion des CDU-Manns, als er von dieser Datenrecherche von shz.de erfährt. Schließlich habe seine Partei schon mal 38 Jahre lang ununterbrochen den Ministerpräsidenten in Kiel gestellt, gibt Carstensen zu bedenken.

Lediglich in Niedersachsen gab es genauso viele Wechsel

Doch die Zahlen sind eindeutig: Fünfmal eroberte nach Landtagswahlen in Schleswig-Holstein eine Partei die Staatskanzlei, die dort vorher nicht saß – allein dreimal in den letzten 17 Jahren. Nirgends war das in der Geschichte der Bundesrepublik öfter der Fall, nur in Niedersachsen genauso oft. Auch auf Bundesebene wechselte die Farbe im Kanzleramt nach Wahlen nur viermal: 1969, 1998, 2005 und 2021. Dagegen kam 1982 Helmut Kohl durch ein erfolgreiches Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt an die Macht.

In 241 Wahlen eroberte nur 35-mal eine Partei eine Staatskanzlei neu

Generell sind in den Ländern Regierungswechsel eher die Ausnahme als die Regel. So änderte sich in bisher 241 Landtagswahlen überhaupt nur 35-mal die Parteifarbe in einer Staatskanzlei. 17-mal war die SPD erfolgreich, 15-mal die CDU und je einmal die Grünen, die Linken sowie die längst aufgelöste Deutsche Partei DP, die 1955 in Niedersachsen ihren Kandidaten gemeinsam mit der CDU durchsetzte. Nicht mitgerechnet ist dabei die umstrittene Drei-Tage-Ministerpräsidentschaft des FDP-Manns Thomas Kemmerich in Thüringen 2020.

In drei Ländern stellt bisher stets dieselbe Partei den Regierungschef

In den norddeutschen Ländern wurden Regierungen öfter abgewählt als in den süddeutschen und den jungen ostdeutschen. In drei Bundesländern kommt der Ministerpräsident bis heute stets von derselben Partei: in Bremen, Brandenburg und Sachsen. In weiteren fünf Ländern wechselte die Staatskanzlei genau einmal in die Hände einer neuen Partei. Und in sieben Fällen kam es nicht durch eine Wahl zum Wechsel, sondern durch Misstrauensvoten oder Koalitionsumbildungen innerhalb der Wahlperiode.

Bemerkenswert ist auch, welche Rolle die Bundespolitik bei Landtagswahlen spielt: Parteien, die im Bund regieren, haben es in den Ländern meist schwer. So war es der SPD noch bis zur jüngsten Wahl im Saarland im März nicht ein einziges Mal gelungen, eine Staatskanzlei zu erobern, während sie im Bund mitregierte. Umgekehrt hatte die CDU bis dahin nicht ein einziges Mal eine Staatskanzlei verloren, während sie im Bund in der Opposition war. Der Sieg der SPD-Spitzenkandidatin Anke Rehlinger über den CDU-Amtsinhaber Tobias Hans im Saarland war daher gleich ein doppeltes Novum.

In Kiel eroberte dreimal die CDU die Staatskanzlei, zweimal die SPD

In Schleswig-Holsteins Landtagswahlgeschichte eroberte dreimal die CDU die Staatskanzlei von der SPD und zweimal die SPD von der CDU. Nach der Wahl 1950 löste der CDU-Mann Walter Bartram den SPD-Amtsinhaber Bruno Diekmann ab. 1988 schlug Björn Engholm den kommissarischen CDU-Ministerpräsidenten Henning Schwarz. 2005 verdrängte Carstensen seine SPD-Rivalin Heide Simonis. 2012 folgte Torsten Albig auf Carstensen und 2017 schließlich Günther auf Albig.

Carstensen hält Schleswig-Holstein nicht für einen „Swing State“

Für die Wahl am 8. Mai verspricht die Wechselfreude im Norden Spannung. Zwar liegt die CDU in einer Umfrage deutlich vorn, in einer anderen knapp. Auch hält Carstensen sein Heimatland nicht für den typischen „Swing State“, der oft zwischen zwei politischen Lagern hin und her pendelt. Die beiden Machtwechsel zugunsten der SPD seien vielmehr Ausnahmen gewesen: 1988 sei die CDU für die Barschel-Affäre bestraft worden, sagt Carstensen, und 2012 für den harten, aber notwendigen Sparkurs seiner eigenen schwarz-gelben Koalition. Doch sein früherer Amtskollege Björn Engholm von der SPD sieht das ganz anders.

Engholm sieht bei Wahlen einen „Prozess der Pragmatisierung“

Für Engholm ist die Wechselfreude im Land der Ausdruck eines „Prozesses der Pragmatisierung durch Aufklärung“. Nachdem die CDU 38 Jahre lang dominiert und den Regierungschef gestellt hat, hätten sich die Menschen im Norden von ihr – wenn auch später als in anderen Ländern – inzwischen gelöst. „Die Zahl derjenigen, die sich auf Lebenszeit an eine Partei binden, ist deutlich gesunken“, sagt Engholm. Mittlerweile zähle bei Wahlen vor allem das Erscheinungsbild einer Partei samt deren Führungsspitze.

Viele Koalitionen scheinen diesmal möglich zu sein

Das wiederum könnte diesmal doch einen Vorteil für die CDU und ihren populären Ministerpräsidenten Günther bedeuten. Andererseits kann sich die Union selbst angesichts der klaren Führung in der jüngsten NDR-Umfrage nicht sicher sein. Auch eine Ampelkoalition wie im Bund scheint in Schleswig-Holstein möglich. Und selbst eine Neuauflage der rot-grün-blauen Küstenampel mit dem SSW ist nicht ausgeschlossen. Das wäre dann der sechste Regierungswechsel nach einer Landtagswahl in Kiel.

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