Umwelt und Natur

Munitionsbergung: Konzept von Steffi Lemke steht in der Kritik

Munitionsbergung: Konzept von Steffi Lemke steht in der Kritik

Munitionsbergung: Konzept von Steffi Lemke in der Kritik

Henning Baethge/shz.de
Berlin
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Bekommt Gegenwind aus dem eigenen Regierungslager: Bundesumweltministerin Steffi Lemke, Foto: Oliver Berg/dpa/shz.de

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Der Bundestag gibt 100 Millionen Euro für den Bau einer neuartigen Plattform zur Bergung von Munition aus dem Meer – doch die Umweltministerin will das Geld teils anders verwenden. Nicht nur die Opposition ist verärgert.

Vor einer Woche hat Bundesumweltministerin Steffi Lemke erstmals ein Konzept für das von ihr angekündigte „Sofortprogramm“ zur Bergung von Munitionsaltlasten aus Nord- und Ostsee vorgelegt – und jetzt gibt es sowohl aus der Opposition als auch aus Lemkes eigenem Regierungslager deutliche Kritik daran. Die Hauptvorwürfe an die grüne Ministerin: Zu wenig Tempo. Und: Eine Zweckentfremdung der 100 Millionen Euro, die der Bundestag für das Projekt bewilligt hat. Lemke allerdings widerspricht.

In den Meeren liegen 1,6 Millionen Tonnen Munition

Auf dem Grund der deutschen Meere rotten rund 1,6 Millionen Tonnen Bomben, Minen und Granaten sowie etwa 5000 Tonnen chemischer Kampfstoffe vor sich hin. Mit der Bergung der gefährlichen Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg will Lemke laut ihrem Konzept in der Ostsee vor Schleswig-Holstein beginnen. Dazu plant sie ab Ende dieses Jahres zunächst „mit verfügbarer Technik“ Munition aus dem Meer zu holen und an Land zu vernichten, später auch auf See, mit einer bereits „existierenden mobilen Verbrennungsanlage“.

Ministerin hofft auf „positive öffentliche Wahrnehmung“

Durch eine solche Pilotphase könne „eine positive öffentliche Wahrnehmung“ des Projekts erreicht werden, heißt es in Lemkes Konzept. 50 Tonnen Munition im Jahr sollen so beseitigt werden, rund 30 Millionen Euro soll das kosten.

Während dieser Pilotphase will Lemke außerdem eine neuartige Bergungs- und Entsorgungsplattform entwickeln lassen, die jährlich gleich 750 Tonnen Munition beseitigen kann. Sie soll nächstes Jahr in Bau gehen, ein Jahr später fertig sein und nach jüngsten Angaben aus Lemkes Ressort rund 70 Millionen Euro kosten. Bisher war dagegen stets von 100 Millionen die Rede. Ausgeschrieben ist diese Plattform bisher allerdings noch nicht.

Abgeordnete werfen Lemke Zweckentfremdung vor

Die ostholsteinische SPD-Abgeordnete und stellvertretende Haushaltsausschuss-Vorsitzende Bettina Hagedorn und die nordfriesische CDU-Abgeordnete Astrid Damerow werfen Lemke wegen dieses Vorgehens nun eine Zweckentfremdung der Projektmittel vor.

„Der Bundestag hat 100 Millionen Euro für den Bau einer neuartigen schwimmenden Bergungs- und Entsorgungsplattform bewilligt. Wenn die Ministerin davon jetzt schon mal 30 Millionen für die Räumung von Munition mit verfügbarer Technik abzweigt, widerspricht das dem Bundestagsbeschluss und wird den Bau der Plattform verzögern“, kritisiert Umweltpolitikerin Damerow.

Ihre Kollegin Hagedorn moniert ebenfalls die geplante Räumung mit herkömmlicher Technik. „Dafür hat der Haushaltsausschuss die 100 Millionen gar nicht vorgesehen“, sagt die Sozialdemokratin. Hagedorn fürchtet nun sogar, dass für die neue Plattform nicht mehr genug Geld übrig bleibt: „Unsere Sorge im Haushaltsausschuss ist, dass die 30 Millionen Euro, die nun für die Bergung mit marktüblicher Technik ausgegeben werden, am Ende bei der Entwicklung und Produktion der eigentlich im Fokus stehenden vollautomatisierten Bergungsplattform fehlen könnten.“

Damerow kritisiert Verzug bei der Ausschreibung

CDU-Politikerin Damerow kritisiert zudem, dass in der ersten Jahreshälfte trotz gegenteiliger Ankündigung noch immer kein Auftrag ausgeschrieben ist. „Ein 2021 angekündigtes Sofortprogramm, für das fast zwei Jahre später noch immer keine einzige Ausschreibung vorliegt, verdient seinen Namen nicht“, wettert Damerow. Die Verzögerung sei umso ärgerlicher, als etwa die Kieler Werft TKMS „längst in den Startlöchern sitzt“, um eine Bergungsplattform zu bauen.

Dagegen will Ministerin Lemke weder von einer Verzögerung bei der Ausschreibung der Plattform noch von einer Zweckentfremdung der Mittel etwas wissen. Die Ausschreibung komme noch Ende Juni, lässt sie ihre Sprecherin auf Anfrage ausrichten. „Bis Ende Oktober 2023 erfolgt dann die Beauftragung.“

Lemke sieht den Zweck des Sofortprogramms beachtet

Auch halte sie die Verwendung der bewilligten Gelder für Munitionsräumung mit verfügbarer Technik für korrekt. „Der Bundestag hat Mittel für die Bergung und Vernichtung von Munition mit dem Ziel der Entlastung der Umwelt bereitgestellt – dies ist der Zweck des Sofortprogramms, von dem nicht abgewichen wird“, sagt Lemkes Sprecherin. Schließlich wolle der Bundestag ja, dass Munition „schnellstmöglich geborgen und entsorgt“ werde.

Daher prüfe das Ministerium auch, ob zunächst eine umgerüstete „ausgediente Versorgungsplattform aus der Ölförderung aus Norwegen“ zur Räumung eingesetzt werden könne. Zugleich werde die neue, innovative Plattform entwickelt. „Um es zusammenzufassen: Wie vom Bundestag gefordert, werden erste Bergungen schnellstmöglich stattfinden – und parallel wird eine neue, große Entsorgungsplattform entwickelt und gebaut.“

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