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Munition im Meer: Digitalisierung beschleunigt die Bergung in Schleswig-Holstein

Munition im Meer: Digitalisierung beschleunigt die Bergung in SH

Munition im Meer: Digitalisierung beschleunigt die Bergung

Frank Jung/shz.de
Kiel
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Ministerpräsident Daniel Günther begutachtet einen verrosteten Sprengsatz vom Ostseegrund -Szene vom Auftakt des Projekts „Marispace“ an der Blücherbrücke in Kiel. Foto: fju/shz.de

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Gefahren alter Munition aus dem Zweiten Weltkrieg besser aufspüren. Oder auch Seegras-Wiesen kartieren und daraus Rückschlüsse ziehen, wo sich weitere davon als CO2-Speicher anbauen lassen. Das sind nur zwei Anwendungsbeispiele für das digitale Großprojekt „Marispace“.

Als Kulisse hatten sich die Veranstalter extra die landeseigene „Haithabu“ ausgesucht. Sie wird mit ihren zwei Kränen immer mal wieder als Bergungsschiff eingesetzt, um besonders gefährliche Munitionsreste aus dem Zweiten Weltkrieg aus der Ostsee zu holen.

Wenn alles klappt, wird sie künftig häufiger zu solchen Einsätzen auslaufen – und andere Schiffe mehr. Denn vor der „Haithabu“ hat Ministerpräsident Daniel Günther am Mittwoch den Startschuss für ein Forschungsprojekt gegeben, das den Kenntnisstand über die verrottende Altmunition wesentlich voranbringen soll.

Das Geld kommt aus dem Haus von Robert Habeck

„Maritime Smart Sensor Data Space“, kurz „Marispace“, heißt das aus dem Bundesklimaschutzministerium von Robert Habeck geförderte Vorhaben. Aus Sicht Günthers wird es wesentlich helfen, bei der Entschärfung tickender Zeitbomben im Meer „endlich voranzukommen“.

Die Dringlichkeit nehme zu mit jedem Jahr, in dem weitere Hüllen der Munition verrosten. Der Ministerpräsident sieht durch die alten Kampfmittel „ein hohes Bedrohungspotenzial für unsere Umwelt“.

Künstliche Intelligenz führt Daten zusammen und wertet sie aus

„Marispace“ soll verstreute Datenquellen über die Altlasten sicher zusammenführen und ihre Analyse durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz verbessern. Denn die Massen an Information sind so riesig, dass ihre Interpretation allein durch Menschen nicht alle Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen würde. Ziel: Behörden, Forschung, Marine und Industrie erstellen so ein genaueres Lagebild, um Orte mit besonders hohen Risiken zu identifizieren.

Eine Voraussetzung auch für mehr Offshore-Windparks

Mit der fortschreitenden Energiewende ist das nicht mehr allein ein Umweltthema. Auch vor dem Bau von Meereswindparks muss klar sein, dass die Fundamente nicht in Sprengsätze gerammt werden. Bisher steht die Nordsee bei Offshore im Fokus. Doch auch in der Ostsee werde mutmaßlich „einiges möglich sein“, nachdem die Bundesregierung bei Windkraft auf See im Frühjahr „den Deckel hoch gehoben hat“ , sagte Günther.

„Wichtig ist nun, dass der Bund auch Signale zur Finanzierung sendet“, betonte der Ministerpräsident. Er wies darauf hin, dass sich die schwarz-grüne Koalition im Land sich „mit einem angemessenen Anteil“ beteiligen wolle. Angesichts der Unwägbarkeiten durch die Folgen des Ukraine-Kriegs sei ein Betrag jedoch aktuell schwer zu beziffern.

So viel Munition wie ein 2500-Kilometer-Güterzug

Initiiert hat „Marispace“ das Kieler Digital-Unternehmen „north-io“. Geschäftsführer Jann Wendt erinnerte daran, dass der Munitions-Altbestand in der Ostsee auf 1,6 Millionen Tonnen geschätzt wird. Das entspreche einem vollbeladenen Güterzug von 2500 Kilometern Länge. Projektpartner sind der ebenfalls von Wendt geleitete maritime Big-Data-Spezialist „TrueOcean GmbH“, das Geomar, die Universitäten Kiel und Rostock und das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung.

Bildlich bezeichnet Wendt „Marispace“ als ein „digitales Ökosystem, mit dem Meeresdaten weltweit sicher und effizient gespeichert, geteilt und analysiert werden können“.

Anbau von Seegraswiesen als CO2-Speicher

Munition im Meer ist nur ein Anwendungsbeispiel. Das Forschungsprojekt soll auch einen völlig neuen Ansatz für den Klimaschutz ausleuchten. Es geht dabei um die Rolle von Seegras als natürlichem CO2-Speicher. Mit Hilfe von Luftaufnahmen und anderen Daten soll dokumentiert werden, wo genau vor Schleswig-Holsteins Küste von dieser Vegetation wieviel wächst. Daraus lassen sich dann Rückschlüsse ziehen, unter welchen Standortbedingungen Seegras am besten gedeiht. Das interessiert Professorin Natascha Oppelt, Physische Geografin an der Kieler Universität, besonders.

Denn in einem zweiten Schritt setzt sie darauf, dass Seegras für mehr CO2-Speicherung extra angebaut wird. „Das wird von der Bevölkerung mutmaßlich eher akzeptiert als etwa die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid“, glaubt die Wissenschaftlerin. Der Speichereffekt der Unterwasserpflanze sei jedenfalls enorm: „Ein Quadratmeter Seegras speichert so viel CO2 wie ein Quadratmeter Wald.“ Oppelt geht davon aus, dass schon das vorhandene Seegras vor Schleswig-Holsteins ungefähr acht Millionen Tonnen Kohlendioxid bindet. Hinzu komme, dass mehr Seegras Wellen dämpfen und damit den Küstenschutz verbessern könne.

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