Offshore-Industrie

Mitten in Nordfriesland türmen sich die Wellen

Mitten in Nordfriesland türmen sich die Wellen

Mitten in Nordfriesland türmen sich die Wellen

Marc Nasner/shz.de
Enge-Sande
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Mit Weißwasser machen die Schiffbrüchigen in der Trainingsanlage auf dem Greentec-Campus auf sich aufmerksam. Foto: Staudt/shz.de

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Einsätze auf offener See sind für Techniker und Installateure von Windrädern mit vielen Gefahren verbunden. Im maritimen Trainingszentrum auf dem Campus in Enge-Sande werden sie auf den Ernstfall vorbereitet. shz.de war dabei.

Zuerst ist das Donnern nur in weiter Ferne zu hören. Doch es kommt immer näher, Blitze erleuchten den Himmel. Fünf Männer treiben im Wasser, die Arme ineinander verhakt. So wollen sie verhindern, dass einer von ihnen von den Wassermassen verschluckt wird. Bei immer stärkerem Wellengang kämpfen sie sich bis zur Rettungsinsel vor. Mit letzter Kraft schieben sie sich gegenseitig über die Reling in Sicherheit. Nun bleibt den Schiffbrüchigen nur, auf Rettung zu warten.

Trainer Christoph Laß drückt auf einen Knopf und beendet damit das, was wie ein Überlebenskampf auf hoher See wirkt. Auf dem Greentec-Campus in Enge-Sande (Kreis Nordfriesland) üben Installateure, Techniker und Planer aus der Offshore-Industrie für den Ernstfall. Greentec arbeitet im Bereich erneuerbare Energien und autonomes Fahren. Seine Tochterfirma Offtec hat sich auf Offshore spezialisiert und auf dem Campus eine hochmoderne Trainingshalle errichtet. In der Anlage gibt es ein 345 Quadratmeter großes Wellenbecken mit Rettungsboot, Helikopter-Kapsel und neun Meter hohem Turm zum Abseilen.

GWO Sea Survival Refresher ist verplichtend

Alle zwei Jahre müssen Offshore-Spezialisten ihre Kenntnisse auffrischen. In den Seminarräumen auf einem ehemaligen Munitionslager in Südtondern drücken sie die Schulbank. „Letztlich ist es immer dasselbe“, sagt Rüdiger Kipke. „Einen wirklichen Notfall hatte ich zum Glück noch nicht.“ Entsprechend gelassen sitzt er im Seminarraum. Doch Christoph Laß mahnt, beim „GWO Sea Survival Refresher“ gehe es ums Überleben. Der Teufel stecke in der Routine.

Gefahrenprävention sei der Schlüssel, um schwere Unglücke zu verhindern. „Ich höre häufig, dass Dinge aber schon immer so gemacht wurden“, kritisiert Laß. Doch falsche Routinen würden irgendwann zu Unfällen führen. „Besonders der Überstieg vom Transportboot auf den Turm kann gefährlich sein.“ Daher sollten etwa Einsätze bei einer Wellenhöhe von über 1,5 Metern abgebrochen werden.

In den Seminaren, die Laß hält, haben auch schon Teilnehmer gesessen, die jahrelang berufsunfähig waren. Doch auch wenn der Überstieg geglückt sei: Im Turm selbst lauern ebenfalls Gefahrenquellen. „Wer bei den Schaltanlagen nicht aufpasst, bekommt bei Mittelspannung oder Hochspannung eine gewischt“, mahnt Laß.

Kursteilnehmer Heiko Biank berichtet von einem Zwischenfall vor einigen Jahren: Damals trieb sein Schiff mit einem technischen Defekt manövrierunfähig auf dem Meer. „Vier Stunden sind wir einfach nur durch die Gegend geschippert. Dann ging es aber wieder.“

Die Zeit hätte sinnvoll genutzt werden müssen, appelliert Laß mit erhobener Stimme. Ein Rettungsfloß sollte vorsorglich zu Wasser gehen. „Das Schiff ist aber ein sicherer Ort, solange der Kapitän nicht das Kommando gibt, es zu verlassen“, sagt er.

Können die Männer mal nicht auf einem Schiff bleiben, böte auch der Turm des Windrads Schutz. Dort gibt es sogar energetische Nahrung, Getränke und einen Wasserkocher. „Leider gibt es keine Skatspiele mehr“, sagt Heiko Biank. Die allerdings wurden aus gutem Grund wieder abgeschafft: Dort Schutzsuchende hatten immer wieder um Nahrungsrationen gezockt.

Temperaturen im einstelligen Bereich erschweren Überleben

Wirklich problematisch sei es, wenn die Arbeiter in der kalten Jahreszeit ins Wasser fielen. „Aktuell haben wir in der Nordsee eine Wassertemperatur von vier bis sechs Grad. Das kann in weniger als einer Stunde zum Kreislaufkollaps oder sogar zu einem Herzinfarkt führen“, erklärt Laß.

Selbst Temperaturen im zweistelligen Bereich könnten medizinisch zu Komplikationen führen. „Schon ab 23 Grad gilt Wasser als kalt“. Wenn der Kreislauf runterfährt, steige die Gefahr, Wasser zu schlucken. Und schon kleine Mengen – „Hier reicht häufig das berühmte Schnapsglas“, sagt Laß – reichen, um zu ertrinken.

„Da haben wir es hier deutlich besser“, bemerkt er und zeigt in Richtung des Maritimen Trainingszentrums. Bei einer Beckentemperatur von 25 Grad Celsius tragen die Teilnehmer wie im echten Einsatz Schutzanzüge, die isolieren.

War die Theorie noch entspanntes Zusammensitzen, fordert nun schon das Anlegen dieses Anzugs die Teilnehmer. Eine gute halbe Stunde dauert es, bis alle fünf in den Overalls inklusive Sicherheitsschuhen, Schulterriemen und Helmen stecken. Die Anzüge isolieren dabei so gut, dass bei den Männer in kürzester Zeit der Schweiß ausbricht.

Im Schutzanzug geht es im Offtec-Trainingszentrum auf den Übungsturm

Ausgerüstet mit Karabinerhaken und Seilen klettern sie auf die neun Meter hohe Plattform, von der sie auf das Transportschiff übersteigen. Diese Übung absolvieren die Profis, die zum Teil seit über 20 Jahren im Job sind, ohne mit der Wimper zu zucken.

Deutlich anspruchsvoller: das Abseilen von der Plattform. Um genug Abstand vom Metallgerüst zu halten, müssen sich die Männer mit ausgestreckten Beinen abstoßen, ehe es von einem Seil gebremst ins Wasser geht.

Der Aufstieg zurück auf die Plattform wird nun mühsam. Denn im Wasser ist der Schutzanzug mit Wasser vollgelaufen. Er wiegt nun zehn bis fünfzehn Kilo mehr als beim Anziehen. Jeder Schritt, den die Männer nun wieder die Leiter aus dem Becken hochsteigen müssen, gleicht einem Kraftakt.

Die nächste Übung: Rüdiger Kipke und Heiko Biank müssen sich zu zweit abseilen. Die Handgriffe wirken nicht mehr ganz so sicher wie im ersten Versuch, das Abstoßen ist nochmal anstrengender. Denn beide müssen ihre Körper auf Spannung halten, um nicht zurück an den Turm zu schwingen. Coach Christoph Laß gibt Tipps, wie es wenigstens ein bisschen leichter wird.

Offshore-Techniker üben das Überleben im Wasser

Absteigen und Abseilen sind noch Übungen des Alltags. Jetzt geht es ums Überleben: Die Verunglückten müssen, angeleitet von Kevin Slomka aus dem Trainerteam, eine Kette bilden – genannt „Chain“ oder „Raupe“. Mit den Beinen umklammern sie die Hüfte des Vordermannes. So kann im Wasser niemand zwischen den Wellen verloren gehen.

Während das hinterste Glied der Kette per Schulterklopfen signalisiert, in welche Richtung gepaddelt wird, gibt die Person an der Spitze den Takt vor. Doch der Wind tost, die Wellen sind hoch und die Kommunikation fällt schwer. Ohne Orientierung drehen die Männer einige Extrarunden.

Schließlich bietet eine aufblasbare Insel Rettung. Zunächst aber muss sie auf die richtige Seite gestürzt werden. Doch dann das nächste Problem: Ein Kollege treibt bewusstlos im Wasser und muss gerettet werden. Zwei Männer lassen sich wieder aus der Rettungsinsel gleiten. Mit einem Seil gesichert schwimmen sie zu dem Bewusstlosen und ziehen ihn anschließend zurück zur und auf die Insel. Dabei türmen sich die Wellen im Becken auf bis zu zweieinhalb Meter Höhe. Nichts gegen das, was die Männer draußen auf offener See erwarten kann.

Zwar ist allen Teilnehmern stets bewusst, dass es sich lediglich um ein Training handelt, die authentischen Trainingsbedingungen treiben jedoch zu Höchstleistungen. Die Gelassenheit ist Konzentration gewichen. Christoph Laß ist zufrieden. Die Männer sind für die nächsten zwei Jahre seetauglich – auch auf dem richtigen Meer.

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