Tonalto in Friedrichstadt

Mindest-Ausbildungsvergütung: Sterben die Keramiker jetzt aus?

Mindest-Ausbildungsvergütung: Sterben die Keramiker jetzt aus?

Mindest-Vergütung: Sterben die Keramiker jetzt aus?

SHZ
Friedrichstadt
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Malin Altena (vorne) und Lea Hansen sind im dritten und ersten Lehrjahr. Sie schauen positiv gestimmt in die Zukunft. Ihre Ausbilderin befürchtet, dass dieses Bild der Vergangenheit angehört. Foto: tonalto / SHZ

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Seit 2020 gilt im Töpferhandwerk eine Mindest-Ausbildungsvergütung, die drei Mal so hoch ist wie das, was Keramiker-Azubis bisher erhalten haben. Maria Ziaja befürchtet, dass die Ausbildung für kleine Werkstätten wie die ihre in Friedrichstadt damit unbezahlbar wird.

Maria Ziaja ist seit über 30 Jahren leidenschaftliche Keramikerin. Schon früh war sie von dem Wunsch beseelt, selbst Keramiker auszubilden und sie auf dem Weg in diesen wunderschönen, alten Beruf bestmöglich zu begleiten. Doch seit die Ausbildungsvergütung im vergangenen Jahr deutlich angehoben wurde, treibt sie die Sorge um, dass ihr Lieblingsberuf aussterben könnte. Denn das, was die Lehrlinge künftig bei ihr in der Keramik-Werkstatt Tonalto verdienen müssten, kann sich die Friedrichstädterin nicht leisten. „Und da geht es ganz bestimmt nicht um das Wollen, sondern um das Können“, betont sie.

Azubi-Gehalt steigt um 325 Prozent

Zugegeben: Das, was Keramiker-Lehrlinge bisher als Vergütung bekommen haben, ist nicht viel. Malin Altena hat ihren Vertrag noch zu den alten Konditionen abgeschlossen. Im ersten Jahr startete sie mit knapp 179 Euro. Jetzt ist sie im dritten Jahr und bekommt monatlich rund 200 Euro. Um von ihrer Arbeit leben zu können, stockt sie ihr Einkommen mit der Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) bis zum Existenzminimum auf. Diese Form des „Bafög“ ist abhängig von den persönlichen Voraussetzungen und kann bis zu 800 Euro betragen.

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Hätte Malin Altena ihre Ausbildung nach den neuen Konditionen begonnen, hätte sie im ersten Lehrjahr 582 Euro verdient, im zweiten 630 und im dritten 685 Euro. Also mehr als dreimal so viel. Jeder Vollzeit-Azubi, der nach ihr kommt, hat Anspruch auf die höheren Vergütungen; ab 2022 sind das voraussichtlich 585 und ab 2023 sogar 620 Euro im ersten Lehrjahr.

Jeder Auszubildende kostet damit 30.000 Euro

„Für uns als Ausbildungsbetrieb ist das eine krasse Steigerung in einer extrem kurzen Zeit“, sagt Maria Ziaja. Ihre Hochrechnung sieht düster aus: „Wenn ich die Lohnnebenkosten überschlägig dazu rechne, liegt meine monatliche Belastung ab 2022 für jeden Azubi bei etwas über 800 Euro. Mit Prüfungsgebühren sind das bummelig 10.000 Euro im Jahr, für die gesamte Lehrzeit rund 30.000 Euro. Für die finanziellen Strukturen einer kleinen Töpferei ist das Harakiri und nicht zu stemmen.“

Mit den alten Vergütungen, so sagt sie, sei die Rechnung noch aufgegangen, weil ihre Azubis etwa ab Mitte des 2. Lehrjahres verkaufbare Ware produzieren, für die ein angemessener Preis angesetzt werden kann. Dieses „return on investment“ funktioniere nach den neuen Konditionen selbst dann wirtschaftlich nicht mehr, wenn sich ein Lehrling als Supertalent erweisen sollte.

Stirbt ein 5000 Jahre altes Handwerk aus?

Maria Ziaja redet Klartext: Mit der enormen Anhebung der Ausbildungsvergütungen habe sich der Staat nur selbst einen Gefallen getan. „Die Politik kann glänzen, ohne zu bedenken, dass die meisten keramischen Betriebe nicht mehr in der Lage sein werden, adäquate Ausbildungsplätze anzubieten.“ Laut Andreas Haumann von der Handwerkskammer Flensburg sind im Norden derzeit sieben Keramiker-Lehrstellen besetzt, im ganzen Land dürften es schätzungsweise 20 sein. Die meisten Lehrverträge dürften vor 2020 zu den alten Bedingungen abgeschlossen worden sein und somit im kommenden Jahr auslaufen. „Wenn dann kein Nachwuchs mehr nachkommt, ist das Aussterben eines gut 5000 Jahre alten Handwerks vorprogrammiert“, befürchtet Maria Ziaja.

Lösungsansätze: Kulturerbe, Umschüler, Teilzeit-Ausbildung

Für die Rettung sieht sie kaum noch Chancen. Eine Möglichkeit, so sagt sie, bestünde darin, das Töpfern ähnlich wie bei den Uhrmachern als immaterielles Kulturerbe anzuerkennen und entsprechend zu fördern. Einige ihrer Berufskollegen setzen jetzt auf Umschüler, statt auf junge Azubis, weil die Kosten bei einer Umschulung komplett von den Rentenversicherern getragen werden.

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Sie selbst bildet mit Lea Hansen erstmals einen Teilzeit-Lehrling (60 Prozent) aus. Für den Betrieb reduzieren sich damit die Azubi-Lohnkosten deutlich (330 statt 583 Euro im ersten Jahr). Allerdings verlängert sich damit auch Lea Hansens Ausbildungszeit. Die nimmt das zum Glück gelassen: „Eigentlich passt mir das ganz gut. So kann ich am Wochenende nebenbei arbeiten und gewinne zudem etwas Freizeit“, sagt sie.

So denken die Auszubildenden Lea und Malin

Gemeinsam mit ihrer Lehrkollegin Malin Altmann äußert sie sich zu ihrer Motivation, Keramikerin zu werden, und zu ihren Zukunftsträumen:

Aus welchen Gründen haben Sie sich für die Keramiker-Ausbildung entschieden?

Malin Altena: Wegen Peace, Love and Pottery (schmunzelnd). Tatsache ist: Ich mache mir gern die Hände schmutzig. Das Schöne ist: In diesem Beruf lassen sich meine Vorlieben Handwerk und Kreativität hervorragend kombinieren.

Lea Hansen: Ich mag es, mit Ton zu arbeiten.

Corona hat Märkte und Ausstellungen in den letzten zwei Jahren erschwert oder gar verhindert. Macht Ihnen das mit Blick auf die Zukunft Sorgen?

Altena: Für mich ist es in erster Linie die Chance, neue Möglichkeiten in diesem und anderen alten Handwerken zu sehen. Eine zeitgemäße, digitale Vermarktung und moderne Verkaufsstrategien sind mittlerweile essenziell.

Hansen: Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich denke aber, man findet immer einen Weg, seine Produkte der Welt zu zeigen. Im Internet gibt es genug Möglichkeiten.

Wie sehen Ihre beruflichen Pläne aus?

Altena: Ich möchte im Keramikhandwerk bleiben, allerdings schließe ich eine Weiterbildung zwecks Studium in Richtung Produktdesign definitiv nicht aus. Meine Vision ist eine Selbstständigkeit, bei der ich Kunst und Gebrauch vereinen kann. Mit eigenem Studio oder Co-Working-Space, Kunstaustellungen und vor allem Motivation.

Hansen: Ich habe daran gedacht, nach der Ausbildung vielleicht ein Studium anzufangen. Doch weil ich weiß, wie schnell sich die Dinge ändern können, warte ich es erstmal ab, wie sich das Ganze entwickelt.

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