Klimaforschung auf Helgoland

Das Meer als CO2-Speicher: Können wir mit dieser Technologie das Klima retten?

Das Meer als CO2-Speicher: Können wir mit dieser Technologie das Klima retten?

Das Meer als rettender CO2-Speicher?

Tomma Schröder/shz.de
Helgoland
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Philipp Süßle setzt eine Gel-Falle in einen Mesokosmos, mit der er Partikel aus der Wassersäule einfangen kann. Foto: Michael Sswat/shz.de

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Auf Helgoland experimentieren Forscher vom Kieler Helmholt-Zentrum für Ozeanforschung an Methoden zur Kohlendioxid-Bindung im Meer. Doch neue Techniken bergen auch neue Gefahren.

Es ist ein sonniger Frühlingsmorgen auf Helgoland und auf dem Steg des Nordhafens steigt langsam die Betriebsamkeit. Während fröhliche Beats aus den Boxen tönen, laufen Wissenschaftler mit langen Rohren, Kanistern und Fläschchen den Steg auf und ab. Schon seit Wochen kommen sie jeden Morgen hierher, nehmen unzählige Proben, füllen sie ab und führen Messungen durch. Ihr Ziel: Sie wollen herausfinden, ob wir das Meer in eine Art Klimarettungsmaschinerie verwandeln könnten.

Dafür haben sie zwölf kleine Mini-Meere aufgebaut. Die „Mesokosmen“, wie sie im Wissenschaftsdeutsch heißen, sind dicke Plastiksäcke, die Meerwasser mit allen dazugehörigen winzigen Algen und Tierchen einschließen und den gleichen Licht- und Temperaturbedingungen ausgesetzt sind wie das „echte Meer“. Allerdings wurden diese Mini-Meere zu Beginn der Experimente mit einer Art Zauberpulver versetzt, durch das sie nun deutlich mehr CO2 aufnehmen als das gewöhnliche Nordseewasser um sie herum.

Ein Zauber mit Nebenwirkungen?

Dass dieser Zauber ganz gut funktioniert, wissen die Forscher bereits aus vorangegangenen Experimenten. Hier in Helgoland wollen sie vor allem herausfinden, welche Effekte er auf das Ökosystem habe, sagt Michael Sswat vom Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, Geomar. „Denn natürlich ist das ein Eingriff, der auch die Organismen, die im Meerwasser leben, beeinflussen kann.“ Die Grundidee ist dabei recht simpel – und tatsächlich weniger Zauber als Schulchemie: Man fügt ganz fein gemahlenes Carbonat- oder Silikat-Gestein ins Meer, das dort „verwittert“, also nach und nach mit dem CO2 aus dem Wasser reagiert und so den pH-Wert im Wasser ansteigen lässt. Das Meer wird so zeitweise alkalischer und kann dadurch weiteres CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen. So zumindest die Theorie.

Wie löst man Steine im Wasser auf?

Dass es in der Praxis gar nicht so leicht ist, Steine in Wasser aufzulösen, wissen die Kieler Forscher aus Versuchen mit Gesteinsmehlen aus Carbonat, Silikat oder Olivin. In dem Projekt „CDRmare“ gehen sie gemeinsam mit anderen Forschungsteams schon seit einigen Jahren der Frage nach, wie das Meer bei der Speicherung von CO2 behilflich sein kann. Weil das Team auf Helgoland jetzt aber vor allem herausfinden will, wie die Organismen auf ein alkalischeres Meer, einen steigenden pH-Wert reagieren würden, greifen sie in die Trickkiste: Sie arbeiten mit Löschkalk, den man bei echten Versuchen, CO2 im Meer zu binden, zwar nicht einsetzen würde, mit dem sich der pH-Wert zu Versuchszwecken aber genauer und schneller manipulieren lässt.

Mit dem bloßen Auge ist in den zwölf Mesokosmen kaum etwas anderes zu erkennen als außerhalb der Plastiksäcke. Fische oder andere größere Lebewesen gibt es hier nicht und soll es auch nicht geben. Es geht um die ganz kleinen Tiere und Algen, von denen wir normalerweise kaum Notiz nehmen, die aber für die CO2-Speicherung in den Ozeanen eine umso größere Rolle spielen: das Plankton, also im Wasser treibende Tierchen und Algen. Wer ganz genau hinschaut, kann in den Proben hier und da einen Klumpen aus Mikroalgen erkennen oder auch mal einen kleinen Ruderfußkrebs. Alles Übrige muss unterm Mikroskop betrachtet oder herausgefiltert werden.

Miniatur-Origami mit Filterkuchen

Auf der anderen Hafenseite im Labor des Helgoländer Alfred-Wegener-Instituts surren daher bereits kurz nach der Probennahme unzählige Apparate. Sie sehen aus wie kleine Kaffeemaschinen und filtern alles aus den Proben heraus: winzige Tierchen, Algen, Ausscheidungen. Später wird das gefilterte Material in den Laboren in Kiel ganz genau gewogen: wie viel Kohlenstoff, wie viel Stickstoff, Phosphor oder Silikat enthält es?

Dafür legt Geomar-Forscher Philipp Süßle die Filterkuchen auf Zinnfolie und faltet sie mit einer Pinzette immer kleiner wie bei einer Art Miniatur-Origami. Am Ende kommen sie in ein Zinnschiffchen und werden in eine Art Matrix eingeordnet. „Ziemlich viel Arbeit für einen einzigen Datenpunkt“, sagt Süßle. Aber wenn man herausfinden will, ob das Ausbringen von Gesteinsmehl irgendwann einmal ein lohnendes Zukunftsszenario sein kann, muss ganz genau hingeschaut werden. Jede noch so kleine Veränderung in den Mini-Meeren kann bei einer großflächigen Anwendung erhebliche Auswirkungen haben.

Denn das Meer kann vor allem deshalb so viel CO2 speichern, weil es eine riesige Kohlenstoffpumpe beherbergt, die von unendlich vielen winzigen Organismen angetrieben wird. Im Prinzip rieselt im ganzen Ozean sogenannter Meerschnee permanent in die Tiefe.

Wie das aussehen kann, lässt sich im Keller des Labors beobachten: Hier wandern runde und fransige, ovale und unförmige schwarze Punkte in unterschiedlicher Geschwindigkeit über einen Bildschirm. Davor sitzt – bei zehn Grad Raumtemperatur und fast völliger Dunkelheit – Geomar-Forscher Philipp Süßle. Er muss sich quasi den Umgebungsbedingungen im Meer anpassen, damit die Versuche nicht verfälscht werden. Der Biologe zieht hier die Proben aus den Mesokosmen in eine Pipette auf und lässt dann alle darin enthaltenen Partikel noch einmal absinken – vor laufender Kamera. Damit wollen Süßle und seine Kollegen herausfinden, was genau dort herabsinkt und wie schnell. Das ungeübte Auge erkennt nur schwarze Flecken, aber der Biologe und die im Hintergrund arbeitende Software sehen sehr viel mehr.

„Dieser Riesenkomet da, das dürfte eine bestimmte Diatomeen-Art sein“, sagt Süßle und zeigt auf ein rundes Ding mit einer Art Schweif. „Das sind Kieselalgen, die diese Silikatschalen bilden. Und dementsprechend sinkt die auch ein bisschen schneller als alles andere.“ Auch weitere Flecken identifiziert er mühelos: Das fransige Etwas sind „zusammenklumpende Algen“, die eher in Zeitlupe herunterschweben, während sie rechts von einem kompakten runden Haufen an Ausscheidungen überholt werden.

Müssen wir Ruderfußkrebs-Kot untersuchen, um die Welt zu retten?

Hier unten im kalten Keller, in dem in einer kleinen Pipette noch kleineres Algenzeugs und Krebskot herabsinkt und eine Software absurde Mengen an Informationen über die Geschwindigkeit des herabsinkenden Krebskots sammelt, stellt sich aber dann doch die Frage: Wozu das Ganze? Müssen wir wissen, wie schnell Ruderfußkrebskot sinkt, um die Welt zu retten?

Ganz so würden es Philipp Süßle und seine Kollegen vielleicht nicht ausdrücken. Aber klar ist auch: Wenn Menschen irgendwann zu der Überzeugung kämen, dass man die Meere mit Gesteinsmehl alkalisieren sollte, um so den rasch voranschreitenden Klimawandel zu stoppen, dann können viele der vermeintlich kleinen Fragen sehr groß werden. Und der Kot von ungezählten winzigen Ruderfußkrebsen, der eine der effektivsten Methoden im Ozean ist, um Kohlenstoff in die Tiefe zu bringen, spielt dabei eine gewichtige Rolle. Denn durch seine kompakte, dichte Form sinke er besonders schnell und zuverlässig, sagt Philipp Süßle. Würde sich hier etwas ändern, dann würde sich auch die Speicherkapazität für Kohlendioxid ändern.

Das biogeochemische Gleichgewicht – also das Zusammenspiel von Nährstoffen, Tierchen, Algen und Umgebungsbedingungen – ist komplex. In der Theorie kann der Weltozean sehr viel mehr CO2 aufnehmen, wenn der pH-Wert künstlich erhöht wird. In der Praxis könnten Ruderfußkrebs & Co diese Rechnung aber gewaltig durcheinander bringen.

Hungersnot beim Zooplankton

Es ist nicht das erste Experiment, das die Kieler und Bremerhavener Meeresforscher dazu durchführen. Im Labor des Geomar konnten sie bereits zeigen, dass kleine Krebstierchen die winzigen Gesteinspartikel im Wasser nicht mit Futter verwechseln und gut damit zurechtkommen. Auch bei ähnlichen Versuchen auf Gran Canaria und in Norwegen zeigten sich nur wenige Nebenwirkungen. Allerdings kamen den Forschern hier erstmals Zweifel, ob das Meer durch die Alkalisierung das CO2 tatsächlich auch dauerhaft bindet oder ob ein nicht unwesentlicher Teil früher oder später doch wieder in die Atmosphäre ausgast.

Jetzt, nachdem die ersten Datenreihen aus den Helgoländer Versuchen ausgewertet sind, zeigt sich noch ein anderes Problem: Die Algenblüte in den manipulierten Mesokosmen begann bis zu zwei Wochen später als in den Kontrollversuchen. Eine solche Verschiebung hatten die Forscher zwar auch schon bei vorherigen Versuchen beobachtet, wenn sie den pH-Wert besonders stark erhöht hatten. In Helgoland ließ sich die verspätete Algenblüte aber auch in jenen Mesokosmen beobachten, in die nur wenig Löschkalk hinzugefügt worden war. Und das, so vermutet Maarten Boersma vom Alfred-Wegener-Institut für Polarforschung, dürfte den winzigen Tierchen im Wasser zu schaffen machen. „Es kann durchaus sein, dass das Zooplankton dadurch ein Problem hat. Die hatten de facto zwei Wochen nichts zu essen.“

Volkszählung unterm Mikroskop

Boersma und sein Team müssen nun Volkszählungen in allen 300 Wasserproben durchführen: Wie viele Fischlarven, Ruderfußkrebse oder Rädertierchen enthalten sie? Ein aufwändiges und zeitfressendes Unterfangen. Erste Trends aber zeigen, dass die Forscher vermutlich weniger zu zählen haben werden, als ihnen vielleicht lieb wäre. Denn auch wenn die finalen Daten noch fehlen, lässt sich schon jetzt sagen: In den Mesokosmen mit der höchsten Zugabe an Löschkalk fand sich so gut wie gar kein Zooplankton mehr. Auch wenn hier bewusst Extremszenarien durchgespielt werden, zeigen diese ersten Ergebnisse bereits, dass die Alkalisierung des Meeres ein vielleicht mächtiges Werkzeug ist, um Treibhausgas aus der Atmosphäre zu ziehen. Die Nebenwirkungen für die Meeresbewohner aber sind bisher noch nicht überschaubar.

CO2-Speicherung im Meer als Geschäftsmodell

Der Leiter der Studie, der Geomar-Forscher Ulf Riebesell, blickt daher mit Sorge auf Unternehmen wie Planetary Boundaries, das in Kanada ab Herbst täglich fünf Tonnen säurebindende Salze in das Meer einbringen und langfristig dadurch eine Milliarde Tonnen Kohlendioxid im Ozean speichern will. Dafür könnte das Unternehmen dann wiederum CO2-Zertifikate verkaufen. Ob das aber gelingt, sei fraglich – und die Folgen bisher kaum überschaubar, meint Riebesell: „Mich wundert, dass sie dafür eine Genehmigung bekommen haben.“

In deutschen Meeresgebieten wäre so etwas undenkbar – aus gutem Grund. Doch manchmal, so meint der AWI-Biologe Maarten Boersma, würde er sich schon wünschen, dass zumindest die Forschung in Deutschland nicht ganz so streng reguliert würde. Denn die Kieler und Bremerhavener Forscher hatten einen weiteren, sehr kleinen Versuch beantragt, bei dem sie Gesteinsmehl an einem Strand ausbringen wollten. Diese Gesteinspartikel wären quasi wie Sand und würden im Gegensatz zum Vorhaben von Planetary Boundaries nur sehr langsam in Lösung gehen. Sie hätten daher – wenn überhaupt – überschaubare Auswirkungen auf die Umwelt. Aber die deutschen Behörden sind beim Einbringen fremder Stoffe ins Meer sehr strikt – der Versuch wurde nicht genehmigt.

Test am amerikanischen Nordseestrand

Dafür wurde er in ähnlicher Weise an einem anderen Nordseestrand durchgeführt: am „North Sea Beach“ in der Nähe von New York City. Dort hat das Unternehmen „Vestas“ bereits im vergangenen Jahr auf etwa 400 Metern Strand 400 Kubikmeter Olivin ausgebracht, ein grünliches, gut lösbares Mineralgemisch. Anschließend überließ Vestas es den Wellen, Gezeiten und Stürmen, die Gesteinspartikel zu verteilen. Das Unternehmen rechnet damit, dass durch das Nordseestrand-Projekt etwa 400 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden, wenn man die Emissionen aus dem Abbau, dem Mahlen und dem Transport des Olivins aus Norwegen abzieht. Geld verdienen wird Vestas damit vermutlich vorerst nicht, weil zunächst das ganze Verfahren erprobt, die tatsächlichen CO2-Einsparungen gemessen werden müssen. Und da gab es bereits die ersten Dämpfer. Beteiligte Forscher stellten fest, dass die Gesteinspartikel teilweise von Wind und Gezeiten „verbuddelt“ worden waren – und dadurch nur sehr langsam mit dem CO2 aus dem Wasser reagieren konnten.

Der Klimawandel – er lässt sich leider nicht so einfach mit ein bisschen Pulver wegzaubern. Aber gerade deshalb sei es wichtig, dass man weiterforsche und genau hinschaue, meint AWI-Forscher Maarten Boersma: „Es wäre sehr wichtig, dass die Politik jetzt mal darüber nachdenkt, ihre Regelungen zu ändern, damit wir forschen können. Denn wir sollten das nicht Firmen überlassen, die versuchen Geld damit zu verdienen, denen aber die wissenschaftliche Basis fehlt.“

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