Flensburg

Marie ist jetzt 18 – die Frage nach ihrer Herkunft lässt sie nicht los

Marie ist jetzt 18 – die Frage nach ihrer Herkunft lässt sie nicht los

Marie ist 18 – Frage nach ihrer Herkunft lässt sie nicht los

Antje Walther/shz.de
Flensburg
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Marie Feddersen hat die Sporttasche heute noch, in der sie 2005 vor dem Krankenhaus gefunden wurde. Foto: Marcus Dewanger/shz.de

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2005 wurde eine Sporttasche mit einem Baby vor dem Flensburger St. Franziskus-Hospital abgelegt. Das Mädchen von damals lebt heute in Nordfriesland und hat gerade ihren „Finder“ wiedergesehen.

„Franzi – wo ist Deine Mama?“ fragt das Flensburger Tageblatt am 19. August 2005. Das Foto zum Artikel zeigt ein Baby mit schwarzen Haaren, offenen Augen und einem Schlauch an der Stirn. Das Mädchen wiegt 3190 Gramm, misst 49 Zentimeter.

Djemai Khodja hatte es am Tag zuvor gehüllt in Decken und Handtücher in einer schwarzen Sporttasche vor dem Haupteingang am St. Franziskus-Hospital gefunden. Aus der Tasche mit dem weißen Schriftzug „Chicago Bulls“ war ein leises Wimmern gedrungen, als der Krankenhauselektriker kurz vor sechs Uhr morgens seinen Dienst antrat. Bevor das Findelkind von der Intensivstation in die Kinderklinik der Diako umzog, hatte das Personal es „Franzi“ getauft. Die Nabelschnur des Babys war nicht fachmännisch abgebunden, hieß es damals in der Zeitung. Deshalb blieb es unter besonderer Beobachtung.

Heute ist das Mädchen 18 Jahre alt, heißt Marie Kristin Feddersen und lebt im nordfriesischen Galmsbüll in einer liebevollen Familie. Bis zum heutigen Tag weiß Marie nicht, wer ihre leiblichen Eltern sind.

„Als ich das Bild morgens in der Zeitung gesehen habe, habe ich zu meinem Mann gesagt: Die können wir gut noch haben“, erinnert sich Gönna Lorenzen-Feddersen an 2005. Sie und ihr Mann hatten schon zwei „angenommene Jungs“, erklärt Maries Adoptivmutter.

Adoptivfamilie in Galmsbüll in Nordfriesland

Der Gedanke sei schon komisch, überlegt die 18-Jährige: „Ganz viele Leute haben sich gemeldet. Und dann landet man in Galmsbüll.“

Als ihr Geburtstag wird der 18. August 2005 vermutet, aber Familie Feddersen feiert auch den 4. November als zweiten Geburtstag. Das war der Tag im Jahr 2005, als Gönna Lorenzen-Feddersen und ihr Mann Marie abgeholt haben, um sie in die Familie aufzunehmen. Die leibliche Mutter hätte die Gelegenheit gehabt, das Mädchen zurückzuholen. „Wir haben gehofft und gebetet, dass sie bleibt“, erzählt die Nordfriesin und spürte schon bei den ersten Begegnungen eine besondere Bindung. „Wir waren uns nah, wir waren uns einig“, beschreibt sie das Gefühl.

Straftat nach zehn Jahren verjährt

Natürlich erinnert sich der Ermittler von damals noch an den Fall, bestätigt Polizeisprecherin Sandra Otte. „Er hat seinerzeit alles Erdenkliche unternommen, um Angehörige des Kindes zu ermitteln. Es waren sehr viele Menschen sehr besorgt um das kleine Mädchen“, so Otte. Auch private Suchaktionen wurden gestartet, etwa vom „Sterni-Park“. Ohne Ergebnis.

Unterlagen gebe es bei der Polizei „nur noch in Form von Spuren, die uns vom LKA nach Auswertung zurückgesandt wurden“, sagt Polizeisprecherin Otte. „Polizeilich ist der Fall abgeschlossen, denn die Straftat ist nach zehn Jahren verjährt.“

Die Fragen, die Marie Feddersen über ihre Herkunft hat, lassen sie indes bis heute nicht los. „Bis ich meine leibliche Mutter nicht finde, kann ich nicht damit abschließen“, sagt die 18-Jährige. Merkwürdig sei, dass „der einzige Ort, wo ich lag, ohne Videoüberwachung“ war. Irgendwie könne sie immer noch nicht glauben, „dass ich das bin“, sagt die junge Frau. Man reime sich alles Mögliche zusammen, mache sich eine Vorstellung, auch über das Warum, ob die Schwangerschaft vielleicht nicht freiwillig war.

„Ich denke jeden Tag daran. Denkt sie auch jeden Tag daran?“, fragt die 18-Jährige und hat vor allem einen Wunsch: „Ich möchte nur ein Bild vor Augen haben, nur in die Augen gucken.“ Das möchte ihre leibliche Mutter vielleicht ja auch, erwidert Gönna Lorenzen-Feddersen.

Die beiden, überhaupt die gesamte Familie, sind eng miteinander, die zwei Frauen wirken wie beste Freundinnen. Alles, was seinerzeit über den „Fall Franzi“ geschrieben wurde, haben sie gesammelt. Von Anfang an, betont die Adoptivmutter, seien sie zu Marie ehrlich gewesen. Hätte sie ihre Geschichte erst jetzt erfahren, sagt die 18-Jährige fast trotzig, „wäre ich gegangen“.

Mit 14 wurde es richtig zum Thema; Mutter und Tochter haben eines Tages versucht, Maries ersten Tage 2005 nachzuvollziehen, von Krankenschwestern bis hin zur Polizei. Das Schöne war: „Alle hatten Zeit für uns“, erinnert sich Lorenzen-Feddersen. „Und alle haben sich gefreut, dass ich nochmal wiederkomme“, ergänzt Marie. Denn, so gesteht sie ein, das Gefühl, „nicht gewollt zu sein“, habe sie häufig empfunden. Verlustangst machte ihr früher sehr zu schaffen; Verreisen oder Alleinsein ohne ihre Familie kostet heute noch Kraft.

Zum Treffen ins St. Franziskus haben Mutter und Tochter ein Foto-Album mitgebracht. Sie zeigen gern die Bilder der glücklichen Kindheit und Familie. Erst vor wenigen Wochen war Marie Feddersen schon einmal hier - als Überraschungsgast. Denn Mitarbeiter Djemai Khodja wurde nach 28 Jahren im Malteser Krankenhaus in die Rente verabschiedet. „Er hat sich auch gefreut“, sagt Marie Feddersen lächelnd.

Welchen beruflichen Weg sie einschlägt, hat sie noch nicht entschieden. „Du hast immer wieder Mut bewiesen. Du wirst Deinen Weg machen“, weiß derweil Gönna Lorenzen-Feddersen. „Angenommene Kinder brauchen mehr Zeit als alle anderen.“

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