Interview

Landrat Florian Lorenzen appelliert an Sylt: „Mit einer Stimme sprechen“

Landrat Florian Lorenzen appelliert an Sylt: „Mit einer Stimme sprechen“

Landrat Florian Lorenzen appelliert an Sylt

SHZ
Sylt
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Foto: Thomas Heyse/shz.de

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Im Interview mit shz.de spricht der Landrat des Kreises Nordfriesland darüber, was er an den Insel-Menschen schätzt, warum Tourismus kein Selbstzweck ist und welche Probleme Sylt lösen muss.

Bis zum 1. November 2021 war Florian Lorenzen der jüngste Landrat Deutschlands. Das ist er nicht mehr und er ist ganz froh darüber, dass er „diesen zweifelhaften Titel“ an den 33-jährigen Marco Prietz, Landrat des Kreises Rotenburg (Wümme), abgeben konnte. „Weder Jugendlichkeit noch ein gewisses Alter ist ein Prädikat. Ich bin ein großer Freund davon, durch Leistung und Taten zu überzeugen“, sagt der 35-jährige Lorenzen. In einer Videokonferenz hat shz.de mit dem Landrat des Kreises Nordfriesland über das wohl prominenteste Fleckchen Erde in seinem Zuständigkeitsbereich, dem Kreis Nordfriesland, gesprochen: Sylt.

Herr Lorenzen, was verbindet Sie persönlich mit Sylt, Amrum und Föhr?

In meiner Kindheit haben wir als Familie mehrmals auf Föhr Urlaub gemacht. Mit dem Sportverein bin ich mehrfach auf Amrum und Sylt gewesen, daran habe ich sehr schöne Erinnerungen. Viele Jahre hat bei mir in der Küche auch ein Foto vom Roten Kliff in Kampen gehangen, was Bekannte von mir aufgenommen haben und das morgens, wenn ich mir einen Kaffee gemacht habe, ein wunderbares Gefühl erzeugt hat. Ich schätze an den Inseln im allgemeinen und den Menschen dort sehr, dass sie noch mehr als bei uns Norddeutschen generell diese unaufgeregte Gelassenheit haben, sich nicht in Übertreibungen jagen lassen, sondern nordisch ruhig reagieren.

Wie oft und zu welchen Anlässen sind Sie da?

Privat bin ich gelegentlich auf Föhr und im vergangenen Jahr auch einmal auf Sylt gewesen. Dienstlich bin ich öfter auf den Inseln: Als Landrat bereise ich einmal im Jahr für zwei Tage eine nordfriesische Insel und eine nordfriesische Hallig, um mir vor Ort einen umfangreicheren Eindruck zu verschaffen. Damit habe ich 2020 begonnen. Für dieses Jahr ist die Entscheidung noch nicht gefallen, ob es nach Sylt oder Pellworm geht. Bei den Halligen wird es Gröde sein.

Und Urlaub machen Sie woanders?

Ich mache auch Urlaub in Nordfriesland. In den sehr fordernden Jahren 2020 und 2021 hat es mich ohnehin nicht in die Ferne gezogen, sondern eher nach Hause, wo ich die Zeit und Entschleunigung bei der Gartenarbeit genießen konnte. Und gelegentlich zieht es mich zum Segeln an die Ostsee. Das würde ich genauso gern an der Nordsee machen, nur hat die Ostsee den Vorteil, dass sie immer Wasser hat.

Sie haben auf der Jahreshauptversammlung der Sylter Unternehmer (SU) im September 2021 an die Unternehmer appelliert, die Zukunft Sylts in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Was haben Sie damit gemeint?

Die wesentliche Botschaft sollte sein, dass sich alle Akteure auf der Insel zusammensetzen und Lösungen entwickeln. Ich will unsere beiden wunderschönen Inseln Föhr und Sylt nicht vergleichen, aber ich habe auf Föhr sehr begrüßt, dass man dort mit einer Stimme spricht. Auch dort gibt es einen Hauptort und kleinere ländliche Gemeinden, aber man es dort verstanden, gemeinsam insulare Werte zu entwickeln, die über das Interesse eines Ortes hinausgehen. Das ist das, was ich auch den Syltern mit auf den Weg geben wollte, dass bei großen Themen, die die Insel in Gänze betreffen, nicht jede Gemeinde für sich entscheidet, sondern gemeinsam insulare Abstimmungen getroffen werden. Es wäre wünschenswert, dass Sylt seine Interessen mit einer Stimme gegenüber dem Kreis Nordfriesland und dem Land Schleswig-Holstein vertritt und sie so mit aller Kraft vorantreiben kann.

Woran hapert es?

Es ist wichtig, Barrieren und Unstimmigkeiten der Vergangenheit hinter sich zu lassen und nach vorn zu blicken zum Wohle der Insel und vor allem zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger. Die Insel hat viel Potenzial, und es wäre schade, wenn das Tischtuch zwischen den fünf Gemeinden auf Sylt dauerhaft zerschnitten wäre. Die Herausforderungen, die die Insel gemeinsam angehen sollte, sind ja groß. Hinweise darauf hat die Befragung der Insulaner im November 2020 gegeben, die mit einem Rücklauf von 25 Prozent eine sehr gute Resonanz hatte.

Ein wichtiger Punkt ist immer wieder das Verkehrsproblem . . .

Ja, und die Frage lautet: Wie reagieren wir auf den Wunsch vieler Insulanerinnen und Insulaner, beim Verkehr auf der Insel etwas zu verändern? Wenn mehr als 80 Prozent der Inselbewohner sagen, dass die Verkehrssituation zumindest phasenweise nicht mehr hinnehmbar ist, muss die Politik darauf Antworten finden. Da gilt es, kluge Verkehrskonzepte zu entwickeln, die es in Teilen auch schon gibt. Aber ich wünschte mir, den Stein, der schon rollt, noch etwas schneller rollen zu lassen. Das kann keine Gemeinde allein lösen. 2020 und 2021 sind wegen der Pandemie noch mehr Gäste mit dem eigenen Auto angereist, und ich hoffe, dass sich das 2022 und in den Folgejahren wieder normalisieren wird. Das ist ein Extrem gewesen, und sehr viele Insulaner haben erkannt, dass das nicht gesund war. Vielleicht kann diese Erfahrung helfen, eine Entwicklung zu weniger Verkehr schneller voran zu treiben.

Wie würden Sie das Problem der zu vielen Autos auf Sylt lösen?

Das ist eine gute Frage, aber bitte haben Sie Verständnis dafür, dass das zuerst Sache der kommunalen Selbstverwaltung ist. Der Kreis Nordriesland und das Land stehen bereit, sich beratend oder auch moderierend einzubringen, aber die Entscheidungen müssen vor Ort getroffen werden – und nochmal: Das kann nur insular geschehen.

Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) hat im Juli 2021 gesagt: Wir sind in Schleswig-Holstein vom Overtourismus so weit entfernt wie die Erde vom Mars.“ Das empfinden viele Insulaner anders. Wie sehen Sie es?

Ich würde vor allem die Sichtweise der Bürgerinnen und Bürger nicht aus den Augen verlieren. Wenn bei der Befragung der Insulaner herausgekommen ist, dass ein Großteil der Insel-Bevölkerung nicht uneingeschränkt immer noch mehr Tourismus möchte, dann muss die kommunale Selbstverwaltung dies bei weiteren Plänen berücksichtigen. Tourismus ist kein Selbstzweck, auch die Einwohnerinnen und Einwohner müssen sich wohlfühlen. Ich bin kein Freund von immer neuen Superlativen. Eine Insel ist nun mal ein begrenzter Raum, und alles, was auf diesem begrenzten Raum geschieht, muss im Einklang stehen mit den insularen Interessen. Ich begrüße sehr, was Bürgermeister Nikolas Häckel kürzlich im Interview mit Ihrer Zeitung gesagt hat: dass sich der Tourismus auf der Insel nachhaltiger entwickeln sollte. Das ist doch genau das, was uns hier an der Nordsee ausmacht: dass wir im Einklang mit der Natur leben.

Ein weiteres Problem auf Sylt ist der mangelnde Dauerwohnraum. Seit Jahrzehnten wird darüber geredet. Geändert hat sich aber wenig. Im Gegenteil, es wird schlimmer.

Es ist ja etwas geschehen in den vergangenen Jahren. Eines der wichtigsten Steuerungsinstrumente auf der Insel ist der kommunale Wohnungsbau, und da weiß ich aus sicherer Hand, dass das Modell des KLM auf Sylt ein Vorzeigeprojekt für viele andere Kommunen in Schleswig-Holstein ist. Das KLM hat inzwischen 1100 Wohnungen im Bestand, ein riesiger Erfolg. Und auch die Gemeinden nutzen immer mehr Instrumente, die das Baugesetzbuch ihnen an die Hand gibt wie die Erhaltungssatzung, Bebauungspläne oder das Erbbaurecht. Ich kann den Akteuren auf der Insel nur zurufen: Habt noch mehr Mut, ambitionierte Beschlüsse zu fassen! Als Kreis Nordfriesland können und wollen wir das der kommunalen Selbstverwaltung aber nicht vorschreiben. Wir begrüßen auch das Wohnraumentwicklungskonzept, das angeschoben wurde und gezeigt hat, dass vor allem kleinere Wohnungen fehlen. Da muss bis 2030 noch eine ganze Menge passieren, aber es ist gut, dass das Thema in den Blick genommen wurde.

Apropos Haushalt: Der Kreis hat Sylt wegen der Haushaltsmisere die Leviten gelesen. Bürgermeister Nikolas Häckel hat zwar inzwischen Fehler eingestanden, aber auch betont, welch katastrophale Situation er beispielsweise bei der Anlagenbuchhaltung vorgefunden habe. Haben Sie dafür Verständnis?

Wir haben niemandem auf Sylt die Leviten gelesen. Als kommunale Aufsichtsbehörde ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Rechtsvorschriften, die übrigens seit 2013 bekannt sind, seit 2016 umzusetzen waren und im gesamten Land gelten, auch auf Sylt eingehalten und angewendet werden. Wir wissen, wie ambitioniert es ist, den Haushalt neu aufzustellen, wenn man einige Jahre den Fokus auf andere Dinge legen musste oder gelegt hat. Wir klagen nicht an. Wir erkennen an, dass Sylt 2021 in der Abarbeitung sehr intensiv vorangekommen und sind optimistisch, dass – wenn man diese Anstrengungen aufrechterhält – wir im ersten Halbjahr 2022 die vorläufige Haushaltsführung auf Sylt beenden können.

Auf Sylt sind in den vergangenen Wochen die Coronazahlen explodiert. Ursächlich dafür sind unter anderem mehrere Weihnachtsfeiern in Clubs auf Sylt. Einige sagen jetzt, man hätte das vermeiden können durch ein Öffnungsverbot für Clubs an Weihnachten. Für Wirtschaftsminister Bernd Buchholz sind das Schlauberger, die im Nachhinein alles besser wissen. Wie sehen Sie das?

Erst einmal ist festzuhalten: Auf Sylt haben sich sowohl die Gastronomie- und Club-Betreiber als auch die Bürger an die jeweils geltende Landesverordnung gehalten. Es war legitim, Bars und Clubs zu öffnen. Jetzt zu Ihrer Frage: Wir hatten noch Mitte Dezember und darüber hinaus relativ niedrige Infektionszahlen, und an denen hat sich die damalige Landesverordnung orientiert. Damals hätte es aufgrund des Infektionsgeschehens gar keine Grundlage gegeben, die Clubs zu schließen. Dass es im Nachhinein falsch war, die Clubs zu öffnen, haben Ministerpräsident Daniel Günther und Gesundheitsminister Heiner Garg später eingeräumt. Kurzum: Ja, es wäre aus heutiger Sicht klüger gewesen, spätestens zum 24. Dezember Clubs und Discotheken wenigstens zu reglementieren und die zulässige Besucherzahl einzuschränken. Aber bitte: Es ist auch für die Landesregierung immer ein Abwägen von Eingriffen in unser aller Freiheit, das immer nur auf dem Wissen beruhen kann, das in dem Moment vorhanden ist.

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