Schleswig-Holstein

KZ-Gedenkstätte Ladelund: Gestohlene Chronik ist wieder da – mit Schäden

KZ-Gedenkstätte Ladelund: Gestohlene Chronik ist wieder da – mit Schäden

Gestohlene Chronik ist wieder da – mit Schäden

Marco Nehmer/shz.de
Flensburg/Flensborg
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Glücklich über die Rückkehr der äußerlich wohlbehaltenen, innen aber beschädigten Chronik: KZ-Gedenkstättenleiterin Dr. Katja Happe am Montag vor der Dienststelle der Kripo Niebüll. Foto: Hans-Joachim Stuck

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Die Appelle an die Täter waren zunächst ohne Erfolg geblieben, die Ermittlungen ergebnislos versandet – doch jetzt ist die im Januar geklaute Kirchenchronik wieder aufgetaucht. Die Freude ist riesig, die Zukunft des Dokuments als Ausstellungss...

Wochen der Sorge lösen sich auf in Erleichterung und Freude. Die Kirchenchronik, Mitte Januar bei einem Einbruch in die KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte gestohlen, ist zurück in Ladelund. „Als wir die Chronik am Montag bei der Kripo abgeholt haben und sie dann wirklich wieder in den Händen halten konnten, war das ein völliger Wow-Moment“, sagt Dr. Katja Happe, Leiterin der Gedenkstätte. „Langsam realisiere ich, dass es wahr ist. Jetzt kommt die Euphorie hoch.“

Gefühle wie in der Wäschetrommel, einmal Schleudergang. Rausgewaschen ist die Verzweiflung, der man hier doch zwischenzeitlich ziemlich nahe war. Happe hatte mehrere Aufrufe gestartet, die Öffentlichkeit mit ins Boot geholt, war an Radio, Fernsehen und Zeitung herangetreten. Auch shz.de hatte wiederholt von der verschwundenen Chronik berichtet, die von keinerlei materiellem, aber unschätzbarem ideellen Wert ist. Die Kriminalpolizei ermittelte ergebnislos. Bis vor zwei Wochen, da stand plötzlich jemand in Niebüll auf der Matte. Mit der Kirchenchronik unterm Arm.

Kirchenchronik lag vor der Tür eines Lecker Hausbesitzers

Nach Auskunft der Polizei auf Nachfrage von shz.de hat es sich dabei um einen Hausbesitzer aus Leck gehandelt, vor dessen Tür die Chronik zwei Tage zuvor abgelegt worden sei, offenbar wahllos, der Besitzer steht nach derzeitigem Kenntnisstand in keinerlei Verbindung zur KZ-Gedenkstätte. Am Montag schließlich, nach ausgiebiger kriminaltechnischer Untersuchung, erfolgte die Übergabe an Happe und Pastor Hans-Joachim Stuck.

Die Auswertung durch die Kripo läuft noch. Ob sie den oder die Täter am Ende überführt? Ungewiss. Was hingegen gewiss ist: Die Kirchenchronik weist Spuren der Gewalteinwirkung auf, muss in nächster Zeit zum Restaurator. „Äußerlich ist sie auf den ersten Blick unbeschädigt“, sagt Happe zwar. Aber im Innern, da, wo es aufschlussreich und deshalb immateriell so wertvoll wird, zeigen sich die Folgen der brachialen Vorgehensweise beim Knacken der Vitrine. „Da hat jemand mit einer Brechstange richtig draufgeschlagen. Irgendwann hat das Glas nachgegeben“, sagt Happe.

Der Schwung des entscheidenden Hiebs schlug eine Kerbe ins Papier mit den so bedeutsamen Schilderungen des damaligen Ladelunder Pastors Johannes Meyer. Schilderungen aus dem Jahr 1944 über die unmenschlichen Zustände im Außenlager des KZ Neuengamme. Ein Zeugnis des Entsetzens, das erste seiner Art aus Ladelund, geschichtsdidaktisch als authentisches Dokument von herausragender Bedeutung. Und nun, erklärt Happe, erst einmal unter Verschluss. Die lädierte Chronik sei „an einem sicheren Ort“.

KZ-Gedenkstätte soll „kein Hochsicherheitstrakt“ werden

Und danach? Wird sie wieder in der Gedenkstätte präsentiert, wenn sie ihren alten Zustand wiedererlangt hat? Darüber werde, so Happe mit Verweis auf die Besitzrechte an der Dauerleihgabe, der Kirchengemeinderat entscheiden müssen. „Die Frage, die sich stellt: Ist es sinnvoll und nötig, die Chronik hier wieder auszustellen – oder ist es zu gefährlich?“ Sie selbst, sagt Happe, wolle und könne aus den Räumlichkeiten „keinen Hochsicherheitstrakt machen. Das widerstrebt dem Grundgedanken einer Gedenkstätte.“

Möglich also, dass sie hier in Ladelund künftig nicht mehr das Original ausstellen, sondern eine Reproduktion, mit den wichtigsten Seiten als Faksimile. Das Unmittelbare wäre zwar dahin, etwas weniger greifbar das mörderische Grauen, dem hier 300 Menschen zum Opfer gefallen sind, zumindest mit diesem Exponat. „Andererseits“, sagt Happe, „will ich nicht, dass noch einmal jemand diese Chronik stiehlt.“

Überlegungen, Abwägungen, die gerade im Hintergrund anlaufen. Und für die sie in der KZ-Begegnungs- und Gedenkstätte Ladelund dankbar sind, sie sich überhaupt machen zu dürfen. Die Rückkehr der Chronik macht es erst möglich, über ihre Zukunft nachdenken zu können. „Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass wir sie wiederbekommen“, sagt Happe. „Es wäre fatal gewesen, sie verlorenzugeben. Man weiß nie, wann und wo etwas plötzlich auftaucht.“

Kirche in Dänemark wartete satte fünf Jahre auf Rückkehr gestohlenen Nolde-Bildes

Happe erzählt dann noch vom Austausch mit der Nolde-Stiftung Seebüll im Nachgang des Diebstahls. Die zu diesem Zeitpunkt nur bedingt Mut machende Erkenntnis daraus: Manchmal braucht es einen sehr langen Atem. Im März 2014 war ein Altargemälde Emil Noldes aus einer Kirche bei Ringkøbing in Dänemark Opfer eines spektakulären Kunstraubs geworden – und erst im November 2017 wieder aufgetaucht. Nach mühseliger Restaurierung kehrte das Bild Ende 2019 an seinen ursprünglichen Platz zurück, mehr als fünf Jahre waren da vergangen. Die Ladelunder Kirchenchronik ist hingegen nach gerade einmal fünf Wochen zurück. Die aber, das ist Katja Happe anzumerken, hatten es in sich.

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