Landtagswahl SH 2022

Im Porträt: SPD-Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller will Grüne ins Boot holen

Im Porträt: SPD-Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller will Grüne ins Boot holen

SPD-Spitzenkandidat Losse-Müller will Grüne ins Boot holen

Martin Schulte
Bistensee
Zuletzt aktualisiert um:
Startklar: Thomas Losse-Müller vor der Fahrt auf den Bistensee. Foto: Michael Staudt/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Thomas Losse-Müller im Porträt: Bei der Landtagswahl in SH 2022 will der SPD-Mann Ministerpräsident werden. Wie will er das schaffen? Und was will er verändern?

Das Boot treibt träge im Wasser, weil der Mann an den Rudern gerade in Richtung Himmel zeigt. „Dort oben fliegen morgens die Gänse und abends die Langstreckenflugzeuge“, sagt Thomas Losse-Müller. Wahrscheinlich ist diese Himmels-Achse, auf der sich Ökologie und Fortschritt, Region und Welt verbinden, ein Grund dafür, dass der SPD-Spitzenkandidat als Treffpunkt den Bistensee gewählt hat.

Hier verbindet sich einiges, von dem, was seine politische Agenda beschreibt: „Wir Schleswig-Holsteiner können beim Ausbau der erneuerbaren Energien, aber auch im Umgang mit unseren Nachbarn und Minderheiten ein Vorbild für die ganze Welt sein“, sagt Losse-Müller und nimmt die Ruder wieder in die Hand. Im Hintergrund gleiten zwei Stockenten ins Schilf. Idyllisch.

Video: Handy-Check mit SPD-Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller

Nur ist er derzeit nicht viel allein, denn es ist Wahlkampf und damit bleibt keine Zeit für diese kleinen Ausflüge mit sich selbst, und überhaupt: Ein Kandidat, der rudert, ist ein ganz schön mehrdeutiges Bild, oder? „Nicht, wenn er sich ordentlich in die Riemen legt“, sagt Losse-Müller und lacht. Andererseits: Er könnte auch Schlagseite bekommen. Oder gleich ganz kentern.

So oder so, Thomas Losse-Müller wird sich in den kommenden drei Wochen noch ganz ordentlich in die Riemen legen müssen. Er will Ministerpräsident werden und dafür muss er das Jamaika-Bündnis von CDU, Grünen und FDP auseinandertreiben, um mögliche Partner in sein Boot zu holen. Gleichzeitig sollte er die SPD in der Wählerzustimmung deutlich nach oben tragen und, mindestens genauso wichtig:

Er selbst muss sich noch viel mehr ins öffentliche Schaufenster stellen. Egal, welche Umfrage man zitiert, es läuft immer auf das Gleiche hinaus: Der SPD-Spitzenkandidat ist bei den Menschen im Land nicht bekannt genug. „Das war Daniel Günther wenige Wochen vor der Wahl auch nicht“, sagt Losse-Müller und nennt ein paar Prozentzahlen von 2017. Es hat den Anschein, als ruderte er in diesem Moment tatsächlich etwas schneller.

Als Grüner hat Losse-Müller die Staatskanzlei des SPD-Ministerpräsidenten geleitet

Die Karrieren des Ministerpräsidenten und seines Herausforderers sind schon länger miteinander verbunden, nicht nur weil sie in Eckernförde im Wahlkreis 8 direkt gegeneinander antreten. Günthers Wahlsieg hat 2017 Losse-Müllers erste politische Karriere beendet. Damals war er Leiter der Staatskanzlei des SPD-Ministerpräsidenten Torsten Albig. Als Grüner übrigens, was eine ungewöhnliche Konstellation war – dieses wichtige Amt wird üblicherweise in den eigenen Reihen vergeben, schon allein des lieben Partei-Friedens wegen.

Losse-Müller war angesehen in seinem damaligen Job, aus der zweiten Reihe hatte er viel Einfluss; nicht nur in der Küsten-Koalition von SPD, Grünen und SSW, sondern auch in den anderen Parteien galt er als Fachmann für die Digitalisierung und die Landesplanung. Als dann die Jamaika-Koalition verhandelt wurde, verabschiedete er sich ganz still – obwohl seine Partei auch Teil der neuen Regierung war. Im politischen Kiel hört man immer wieder, damals habe Losse-Müllers Abschied von den Grünen begonnen, den er 2020 mit dem Wechsel zur SPD endgültig vollzogen hat.

Uneinig mit Robert Habeck

Ein Grund war Robert Habecks Griff nach dem wichtigen Thema Digitalisierung. Der damalige schleswig-holsteinische Umweltminister wollte dieses zukunftsträchtige Feld unbedingt in seinem Ministerium haben, Losse-Müller hielt das für einen Fehler und zog die Konsequenzen. Er selbst formuliert das diplomatischer: „Robert hatte eine andere Vorstellung davon, wie wir die Digitalisierung in der Landesregierung organisieren müssen. Ich habe das immer als Querschnittsaufgabe gesehen – und ich denke, es hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass ich Recht hatte.“

Parteiwechsel von Grün zu Rot

Nach seinem Abschied aus der Staatskanzlei arbeitete er als Unternehmensberater, unterrichtete Transformationspolitik in Berlin, hat außerdem einen eigenen Podcast. Vom Image eines Berufspolitikers ist Thomas Losse-Müller weit entfernt. Vor seiner Zeit in der Kieler Politik war er im Risikomanagement der Deutschen Bank tätig und begleitete später für die Weltbank Entwicklungsprojekte in mehreren afrikanischen Ländern. „Ich habe außerhalb der Politik vieles gesehen und gelernt, was mir für die politische Arbeit sehr nützlich ist.“

Weiterlesen: Unser Dossier über die aktuellen Entwicklungen zur Landtagswahl

Losse-Müller ist kein Lautsprecher oder Polterer, und wenn er während der vielen Wahlkampfauftritte mal versucht, den Kraftmeier zu geben, scheint er in eine unpassende Rolle zu schlüpfen. Er wirkt authentischer, wenn er analysiert und argumentiert. So erklärt er auch seinen Farbwechsel von Grün zu Rot eher mit den Vorzügen seiner neuen Partei als über die Probleme mit seiner alten. „Ich bin 2020 in die SPD eingetreten, weil wir die wichtigen Themen Klimaschutz, Digitalisierung und die ökologische Transformation der Wirtschaft nur vorantreiben können, wenn wir dabei die Gesellschaft zusammenhalten. Dafür steht die SPD wie keine andere Partei.“

Im Porträt: Gothic-Chic für den Landtag? Ein Porträt über die Linke Susanne Spethmann

Das legt die Frage nahe, warum diese Erkenntnis erst so spät gewachsen ist. „Ich habe einige Zeit gebraucht, um das zu verstehen.“ Er rudert an den Häusern und Grundstücken der Nachbarn vorbei, erzählt ein bisschen vom Zusammenleben im Dorf. „Hier erfahre ich, was im echten Leben los ist“, sagt er. Etwa, dass es eine Menge Menschen gebe, die immer noch weniger als den gesetzlichen Mindestlohn verdienen.

Politik muss Lebensrealität auf den Dörfern abbilden

Oder, dass die Verkehrswende nicht politisch verordnet werden sollte: „Wenn ich hier mit den Nachbarn zusammengesessen habe, dann haben die mich schon gefragt, wie das gehen soll, wenn sie künftig nur noch mit dem Bus aus dem Dorf zur Arbeit fahren sollen.“ Er habe aus solchen Gesprächen gelernt, sagt Losse-Müller, dass Politik immer und unbedingt die Lebensrealität einbeziehen sollte. „Dazu gehört, dass die Hälfte der Schleswig-Holsteiner auch 2050 noch mit dem Auto fahren wird – und wenn ich möchte, dass die Elektromobilität nutzen, dann darf ich nicht nur die Spritpreise hochsetzen, sondern muss vor allem eine verlässliche Ladeinfrastruktur schaffen.“

Und er findet – wenig überraschend – die CDU tue dafür zu wenig. „Daniel Günther und seine Partei haben dieses Land im vergangenen Jahr gesetzlich darauf verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu werden, haben sich aber nicht getraut, eine Zielzahl für erneuerbare Energien in das Gesetz zu schreiben. Weil sie wussten, dass das in ihrem Laden nicht funktioniert, schließlich wollen sie ja von den Windkraftgegnern gewählt werden.“

Ebenfalls interessant: Im Porträt: Monika Heinold will Ministerpräsidentin werden – fürs Klima

Mit diesen Argumenten will er die Grünen in sein Boot locken, die wiederum seit fünf Jahren ziemlich zufrieden den Regierungsdampfer mitsteuern und – als wäre die Konstellation nicht ohnehin schon kompliziert genug - mit Monika Heinold eine eigene Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin aufgestellt haben. Eine Kandidatin übrigens, die den SPD-Mann 2012 als grünen Finanzstaatssekretär nach Kiel geholt hat – und damit für den Beginn seiner ersten politischen Karriere verantwortlich war.

Werben um die Grünen

„Die Grünen stehen uns näher als der CDU, das wissen sie genauso gut wie wir“, sagt Losse-Müller, der auf seiner Kandidaten-Homepage sicherheitshalber notiert hat, wie viel er von Monika Heinold gelernt habe. Denn es ist ein offenes Geheimnis, dass sich das Verhältnis der beiden seit 2017 deutlich abgekühlt hat. „Ich schätze Monika Heinold sehr. Ich kann nicht für sie sprechen, aber wir haben viele freundliche Kontakte im Wahlkampf“, sagt Losse-Müller und lenkt das Ruderboot zurück in Richtung Ufer.

Ebenfalls interessant: Der friesische Aktenfresser – Ein Porträt über Lars Harms vom SSW

Und wenn die Grünen sich doch wieder für das bewährte Bündnis mit CDU und FDP entscheiden? „Dann werde ich die Widersprüche dieser Verbindung im Parlament mit Freude transparent machen.“ Aber bis dahin, versichert Losse-Müller gleich im nächsten Satz, bleibe noch genug Zeit, um CDU und Grüne zu überflügeln. „Wir wollen diese Wahl gewinnen“, sagt er. Der Mann im Boot scheint fest entschlossen, das Ruder doch noch rumzureißen.

Mehr lesen