Sylt während der Nazi-Zeit

Hunger, Kälte, Tod: Wie Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg auf Sylt litten

Hunger, Kälte, Tod: Wie Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg auf Sylt litten

Hunger, Kälte, Tod: Wie Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg auf Sylt litten

SHZ
Sylt
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Mussten oft bis zur Erschöpfung schuften: Russen standen für die Nazis in der Hierarchie der Zwangsarbeiter ganz unten. Foto: Archiv Deppe Foto: 90037

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Keiner kennt die Einzelschicksale der Zwangsarbeiter, die während des Nazi-Regimes auf Sylt beerdigt wurden. Die niedersächsische Gedenkstätte „Lager Sandbostel“ hat einem von ihnen wieder ein Gesicht gegeben.

Sie haben kein Gesicht. Sie kamen aus der Ferne und gegen ihren Willen nach Sylt, wo sie geknechtet wurden. Viele bis zur völligen Erschöpfung, einige bis zum Tod. Niemand kennt die Zwangsarbeiter, die während des Nazi-Regimes auf dem Westerländer Friedhof ihre letzte Ruhestätte fanden. Doch einem von ihnen hat die niedersächsische Gedenkstätte „Lager Sandbostel“ sein Gesicht wiedergegeben.

Michael Nagenow – ein russischer Zwangsarbeiter

Michael Nagenow erblickte am 20. November 1907 in Bugulma, einer knapp tausend Kilometer östlich von Moskau gelegenen Kleinstadt, das Licht der Welt. Als junger Bauer wird er zum Militär eingezogen und kämpft am Schwarzen Meer gegen die deutschen Truppen. Als diese im Mai 1942 die Halbinsel Kertsch erobern, geraten Nagenow und mit ihm weitere 168.000 sowjetische Soldaten in Gefangenschaft.

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Wohin ihn sein nächster Weg führte, weiß Dr. Lars Hellwinkel, der im Besucherdienst der Gedenkstätte Lager Sandbostel tätig ist: „In Sandbostel befand sich seinerzeit das zentrale Kriegsgefangenenlager der Deutschen Wehrmacht für Norddeutschland. Hier war die erste Station für Michael Nagenow. Dies konnten wir anhand einer verbliebenen Personalkarte von 1942 ermitteln.“

Als Zwangsarbeiter nach Westerland

Doch Nagenow verblieb nur kurz in Sandbostel: Ab September 1942 wurde er in Westerland als Zwangsarbeiter eingesetzt, wo genau, ist nicht bekannt. Am 10. Mai 1944 wurde der junge Mann ins Krankenhaus eingeliefert, wo er 15 Tage später an Tuberkulose verstarb.

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Beerdigt wurde Michael Nagenow laut Personalkarte „auf dem Westerländer Friedhof, Abteilung Feind“. „Es handelt sich dabei um die nördlichste Grabstätte eines Opfers aus dem zentralen Kriegsgefangenenlager in Sandbostel“, berichtet Dr. Lars Hellwinkel, der den Friedhof dieser Tage besuchte.


Nur wenige Gräber von Zwangsarbeitern sind auf Sylt heute noch erhalten – so finden sich am Rande des Westerländer Friedhofs vier Holzkreuze mit den Namen von aus Belgien, den Niederlanden und Tschechien stammenden Männern. „Während des Zweiten Weltkriegs mussten auf Sylt viele hundert, wahrscheinlich sogar mehrere tausend Menschen Zwangsarbeit verrichten. Eingesetzt wurden sie auf Bauernhöfen, in Gewerbebetrieben und Haushalten, viele arbeiteten an dem Ausbau der militärischen Anlagen“, resümiert das Nordfriesische Institut.


Die meisten Zwangsarbeiter auf Sylt kamen aus der Sowjetunion. Von den Nazis als „Untermenschen“ betitelt, standen sie dabei auf der niedrigsten Stufe. Untergebracht waren die gepeinigten Menschen in einfachen Lagern, die in Hörnum, Tinnum und Westerland errichtet wurden.

Sehr schlechte Lebensbedingungen für Zwangarbeiter

Wie die Nazi-Schergen die Zwangsarbeiter behandelten, hat ein zeitgenössischer Beobachter notiert: „Es ging ihnen so schlecht, dass manche von ihnen im eisigen Winter statt Schuhen nur Lappen um die Füße gewickelt hatten. Über steinhartes und verschimmeltes Brot, das als Hühnerfutter gedacht war, fielen sie wie ausgehungerte Tiere her.“

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Der inzwischen verstorbene Westerländer Willi Witte berichtete: „Den Russen etwas zu Essen zu geben, war streng verboten. Ich weiß aber, dass meine Mutter und eine Nachbarin für diese armen Menschen immer frisches Brot unter dem Ascheimer versteckten.“


Etliche Zwangsarbeiter überlebten die Strapazen nicht, ihre Zahl ist ungewiss. Michael Nagenow ist einer von ihnen. Aber er hat ein Gesicht. Das Foto seiner aufgefundenen Personalkarte zeigt ihn mit kurzgeschorenen Haaren und fragendem Blick, in den Händen hält er eine Tafel mit der Erkennungsmarke des Lagers. Die letzte Eintragung auf seiner Personalkarte datiert vom 25. Mai 1944, seinem Todestag.

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