Schleswig-Holstein

Hinter den Kulissen des NDR in Kiel: Welchen Anteil haben die Redakteure an dem Konflikt?

NDR: Welchen Anteil haben die Redakteure an dem Konflikt?

NDR: Welchen Anteil haben die Redakteure an dem Konflikt?

Eckard Gehm, shz.de
Kiel
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Der NDR in Kiel steckt in seiner bislang tiefsten Krise. Der Landesrundfunkrat hat damit begonnen, die Vorwürfe zu überprüfen. Foto: Winfried Rothermel/www.imago-images.de/shz.de

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NDR-Redakteure werfen Führungskräften im Kieler Landesfunkhaus vor, Einfluss auf ihre Berichterstattung genommen zu haben. Gesprochen wird von einem „politischen Filter“. Der allerdings existiert in beide Richtungen. Das ist in diesem Konfli...

Der NDR steckt in seiner bislang tiefsten Krise: Im Kieler Landesfunkhaus sollen Führungskräfte im Sinne der Landesregierung Einfluss auf die politische Berichterstattung genommen, Recherchen gebremst und ein „Klima der Angst“ erzeugt haben. Drei Chefs haben sich bereits von ihren Ämtern zurückgezogen, zuletzt Funkhausdirektor Volker Thormählen, der um einen Monat unbezahlten Urlaub gebeten hat.

Auch Thormählen soll eine fragwürdige Rolle gespielt haben, auf gleich zwei Ebenen. Nachdem der NDR-Redakteur Patrik Baab im Mai 2017 über die Rocker-Affäre berichtet hatte, bei der es auch um Mobbing-Vorwürfe gegen die Polizeiführung ging, bat Thormählen Baab zu einem Gespräch mit dem damaligen Fernsehchef Norbert Lorentzen und Abteilungsleiterin Julia Stein.

Eine „Kampagne“, an der sich der NDR nicht beteiligen sollte

Anhand interner Akten, zu denen auch Gesprächsnotizen und Schreiben von Baab an die Personalabteilung gehören, hat das Portal „Business Insider“ (gehört zum Springer-Verlag) dieses Treffen rekonstruiert. Thormählen soll Baab erklärt haben, den damaligen Landespolizeidirektor Ralf Höhs gut zu kennen und bezüglich der Berichterstattung in SMS-Kontakt mit ihm zu stehen.

Anschließend soll Thormählen erläutert haben, welche Kritik Höhs und der damalige Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Jörg Muhlack, an einem Film aus der Vorwoche geübt hätten. Diese Überlegungen solle Baab stärker berücksichtigen. Zudem soll Thormählen ausgeführt haben, er halte die Vorwürfe gegen die Polizeiführung für eine „Kampagne“, an der sich der NDR nicht beteiligen sollte.

Redakteur warf Funkhausdirektor vor, ihn in seiner Arbeit behindert zu haben

Nun gehören unterschiedliche Einschätzungen darüber, wie eine Geschichte zu bewerten ist, zum Redaktionsalltag. Meinungen können dabei extrem konträr sein, um andere Blickwinkel zu erhalten, tauscht man sich aus. Baab erwiderte, ausgewogen berichtet zu haben und fertigte eine Gesprächsnotiz. Als es zwei Jahre später eine Besprechung zum Binnenklima mit dem Funkhausdirektor gab, meldete er sich zu Wort und sagte Thormählen, er habe sich durch das Gespräch damals in seiner Arbeit behindert gefühlt.

Abmahnung und Klage vor dem Arbeitsgericht

Diese offenen Worte im Februar 2019 hatten ein Nachspiel, das ist die zweite Ebene. Die Reaktion des NDR soll maßgeblich das „Klima der Angst“ geprägt haben, von dem jetzt die Rede ist. Schriftlich wurde Baab aufgefordert, die Behauptung zurückzunehmen, sein Vorgesetzter habe eine unabhängige Berichterstattung nicht zugelassen. Baab unterschrieb nicht, wurde wegen seiner „unwahren Aussagen“ abgemahnt und erhob daraufhin selbst Klage gegen den NDR vor dem Arbeitsgericht.

Beide Seiten schlossen schließlich einen Vergleich, in dem Baab sich verpflichtet haben soll, künftig nicht zu wiederholen, dass Thormählen Recherchen behindert oder verhindert habe. Im Gegenzug nahm der NDR die Abmahnung zurück.

Konflikt beim NDR erinnert an Auseinandersetzungen im Landeskriminalamt

Es ist erstaunlich, wie sehr der Konflikt zwischen Baab und Thormählen an die Auseinandersetzung zwischen den Ermittlern der Soko-Rocker und der Polizeiführung im Land erinnert. Auch da war von einem „Klima der Angst“ die Rede und am Ende wurde alles öffentlich.

Wer die Dokumente über die Konflikte beim NDR geleakt hat, ist noch völlig unklar. Es dürfte eine Person gewesen sein, die nicht nur an der Aufarbeitung ein Interesse hatte, sondern auch daran, die NDR-Führung nachhaltig zu beschädigen.

Der „politischen Filter“ wirkt nicht nur in eine Richtung

Nun wäre es gefährlich falsch, die Vorwürfe als Attacke frustrierter Mitarbeiter zu verbuchen, doch eines darf nicht unterschlagen werden: Der „politische Filter“, der den NDR-Führungskräften unterstellt wird, wirkt ja nicht nur in eine Richtung. Auch die Redakteure, die an einem Beitrag arbeiten, haben Vorprägungen.

NDR-Redakteur war Gast beim Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen

Investigativ-Journalist Patrik Baab, der über Jahre den offenen Fragen zum Tod Uwe Barschels nachging und von einem Mord ausgeht, stand bei der Rocker-Affäre den geschassten Soko-Ermittlern sichtlich näher als der Polizeiführung. Und unstrittig ist, dass Baab Kontakte pflegte, die für einen Redakteur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zumindest seltsam anmuten.

Bereits 2018 war Baab Gast bei einer Talkrunde von Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen, bei der es um den „tiefen Staat“ ging. Das ist ein Begriff, der von Verschwörungstheoretikern benutzt wird, um zu beschreiben, dass es verdeckte Mächte geben soll, die auf die Regierung einwirken. Auch gab er Ken Jebsen ein Interview zu Aktionen der Geheimdienste, unter anderem im Fall Uwe Barschel.

Landesfunkhaus: Baab war nicht als NDR-Redakteur bei Ken Jebsen

NDR-Sprecher Ole Adams erklärte, Baab sei nicht im Namen des NDR bei Jebsen aufgetreten, sondern habe dort ein Buch vorstellt. Den Verantwortlichen im Sender dürfte allerdings klar gewesen sein, dass sie hier einen Mitarbeiter haben, der eine sehr kritische Haltung gegenüber staatlichem Wirken hat. Offen bleibt auch, inwieweit Baabs „politischer Filter“ die Eskalation verschärft hat. Er selbst war am Freitag nicht zu erreichen.

Auch der Journalistenverband spricht von Atmosphäre der Angst

Wie Stefan Endter, Geschäftsführer des Deutschen-Journalisten-Verbands (DJV), betont, habe sich in Gesprächen mit DJV-Mitgliedern, die beim NDR tätig sind, gezeigt, dass es eine Atmosphäre der Angst bei dem Sender in Kiel gebe. Auf eine gezielte Racheaktion hat er keine Hinweise. „Nicht im Entferntesten sind Äußerungen an mich herangetragen worden, die auch nur ansatzweise in diese Richtung gehen“, sagt Endter.

Und er bezieht auch klar Position bei einem weiteren der schweren Vorwürfe. Der freie Mitarbeiter Carsten Janz hatte sich Mitte 2020 an den Redaktionsausschuss gewandt und darüber beschwert, dass seine Chefs ein exklusives Interview mit dem gerade durch den Ministerpräsidenten entlassenen Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) abgelehnt hätten. Endter sagt dazu: „Mir wäre nie der Gedanke gekommen, eine so politisch exponierte Person nicht zu befragen.“

In der Causa Grote stand Aussage gegen Aussage

Hans-Joachim Grote (CDU), der kurz nach seinem Amtsantritt Landespolizeidirektor Ralf Höhs und den Chef der Polizeiabteilung im Innenministerium, Jörg Muhlack, entließ und als Aufräumer bei der Polizei galt, hatte nun selbst sein Amt verloren. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hatte die Absetzung Grotes damit erklärt, dass er sich über dessen Kontakte zu einem Journalisten und einem Polizeigewerkschafter belogen fühlte. Grote bestritt, die Unwahrheit gesagt zu haben. Es stand Aussage gegen Aussage.

Grote hatte politisch nicht mehr viel zu verlieren

Daher ist es nachvollziehbar, dass Janz die Ablehnung des bereits vereinbarten Grote-Interviews durch seine Chefs als politisch gefiltert erscheinen konnte. Nur: Wer Grote damals erlebt hat, dem war klar, dass er politisch nicht mehr viel zu verlieren hatte und deshalb möglicherweise bereit war, den Ministerpräsidenten auch haltlos zu beschädigen. Grote dafür keine Plattform geben zu wollen, scheint unter dieser Annahme erklärbar, aber immer noch nicht in Gänze nachvollziehbar.

Ob die Entscheidung letztlich richtig oder falsch war, muss, wie bei allen anderen Vorwürfen, die jetzt begonnene Prüfung durch den Landesrundfunkrat ergeben.

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