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Häusliche Gewalt steigt – Sina K. flieht vor ihren Ex-Freund quer durch Deutschland

Sina K. flieht vor ihren Ex-Freund quer durch Deutschland

Sina K. flieht vor ihren Ex-Freund quer durch Deutschland

Inga Gercke/shz.de
Kiel
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Häusliche Gewalt hat viele Gesichter – nicht immer sind die Misshandlungen sichtbar. Foto: www.imago-images.de/shz.de

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Immer häufiger kommt es zu häuslicher Gewalt – meist sind Frauen die Opfer. Wenn Kinder da sind, werden sie oft als Druckmittel genutzt. Sina K. flieht vor ihrem Partner quer durch Deutschland. sh:z.de hat sie ihre Geschichte erzählt.

Bundesweit lag die Zahl der Opfer von häuslicher Gewalt im Jahr 2022 bei 240.547 und ist damit um 8,5 Prozent im Vergleich zu 2021 gestiegen. Im Fünfjahresvergleich steigt die Zahl sogar um 13 Prozent. Diese Zahlen veröffentlichte nun das Bundeskriminalamt (BKA). „Häusliche Gewalt ist Alltag in Deutschland“, sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei der Vorstellung der Zahlen.

Auch die Opferberatungsstelle Weißer Ring verzeichnet in Schleswig-Holstein mehr Beratungen in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt. Insgesamt haben sich im vergangenen Jahr 1586 Opfer von Gewaltdelikten bei ihnen Hilfe gesucht – die meisten von ihnen sind Frauen. Im Vorjahr waren es 1479. In 416 Fällen wandten sich Opfer von Körperverletzungen an die Organisation. Mehr als die Hälfte der Taten ereignete sich im häuslichen Bereich. Im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um rund 13 Prozent.

Sina K. flieht vor ihrem gewalttätigen Partner quer durch Deutschland

Eine dieser betroffenen Frauen ist Sina K. (um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder zu gewährleisten, wurde ihr Name geändert). „Er hat mir den Hals zugedrückt. Solange, bis ich keine Luft mehr bekam“, sagt sie.

Nicht nur einmal, sondern über Jahre hinweg wurde sie von ihrem damaligen Partner misshandelt. Es gab auch sexuelle Übergriffe. „Ich habe noch eine Bescheinigung meines Frauenarztes, dass ich Verletzungen am Gebärmutterrand hatte“, sagt sie. Doch schlimmer als die körperlichen Übergriffe sei für sie der psychische Druck gewesen. „Immer sagt er ‘Du bist schuld!’ oder ‘Du bist so eifersüchtig’. Irgendwann habe ich mich wirklich gefragt, ob ich das Problem in unserer Beziehung bin.“ Am Ende ergriff sie die Flucht – „quer durchs Land“, sagt sie. Seit vier Jahren nun lebt Sina K. in Schleswig-Holstein. 

Hilfe und Unterstützung beim Weißen Ring

Opferberaterin Carmen Frings vom Weißer Ring hat Sina K. geholfen, ihr neues Leben in Schleswig-Holstein aufzubauen. „Dass Frauen so großen räumlichen Abstand suchen müssen, ist selten. Aber ein gewisser Abstand bietet natürlich auch Sicherheit vor Stalking oder neuer Gewalt“, sagt sie. Auch das trifft für Sina K. zu. 

Dabei hatte alles so schön angefangen. Kennengelernt hatte die Frau ihren Ex-Partner bereits im Teenageralter. „Er war meine Jugendliebe“. Nachdem er einige Jahre ins Ausland verschwunden war, suchte er wieder den Kontakt zu ihr. „Ich wusste, dass er es mit der Treue nicht so ernst nimmt, deshalb wollte ich zuerst keine Beziehung. Aber er ist auch ein guter Redner, und so hat er mich rumgekriegt.“

Muster zu erkennen

Bei häuslicher Gewalt gebe es oft bestimmte Muster, so Frings. „Häufig folgt auf eine Phase der Verliebtheit, in der der Mann sich über die Maßen um die Frau bemüht, eine lange Phase, in der die Unabhängigkeit der Partnerin immer weiter eingeschränkt wird.“ So werde beispielsweise durch übertriebenes Misstrauen und unberechtigte Eifersucht ein Rückzug von Freunden und Bekannten erzwungen. Nach und nach gerieten Frauen so in eine totale Abhängigkeit, und sie verlieren ihre Selbstsicherheit, so Frings weiter. 

Irgendwann lief die Beziehung nicht mehr gut, Sina K. wollte die Trennung. „Er fing an, mir zu drohen. Er würde mir die Kinder wegnehmen und so“, sagt sie. Es folgten eingetretene Türen und Schläge. Auch wurde ihr das Handy weggenommen. Dann kam die einstweilige Verfügung, „aber da hat er sich nicht dran gehalten.“ Am Weihnachtsabend 2018 eskaliert die Situation. Es folgten mehrere Gerichtsverhandlungen wegen der Kinder und um das Sorgerecht. Immer wieder hat sie Kontakt mit dem Jugendamt. „Und immer hatte ich Angst, dass mir die Kinder weggenommen werden.“

Kinder als Druckmittel

Carmen Frings kennt diese Ängste. Kinder seien ein häufiges Druckmittel. Nicht selten drohe der Mann damit, dass er bei einer Trennung die Kinder behalten werde. „Der Schritt, aus einer toxischen Beziehung auszusteigen, ist mit Kindern nochmal schwieriger“, sagt sie. Schließlich hänge damit häufig ein Schulwechsel zusammen, Kinder müssten ihre Freunde zurücklassen, dazu komme der Verlust des gewohnten Umfelds. „Viele Frauen bleiben oder kehren wegen der Kinder in die Beziehung zurück.“ Und das Druckmittel Kind zieht noch weitere Bahnen: „Da in sehr vielen Fällen die Gerichte das gemeinsame Sorgerecht sehr hoch ansiedeln und dem Vater in den meisten Fällen einen regelmäßigen Umgang mit den Kindern gewähren, ist es für diese Frauen fast unmöglich, die Begegnungen mit dem Expartner zu vermeiden.“ 

Sina K. hat es trotzdem geschafft, aus einer gewalttätigen Beziehung auszubrechen. Doch bis dahin war es ein langer Weg, und die Schatten holen sie auch heute noch ein: „Manchmal bekomme ich Angst. Einfach so. Was mache ich, wenn er mich findet?“

Das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet unter der Nummer 116 016  vertraulich, kostenfrei und rund um die Uhr Hilfe und Unterstützung.

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