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Geständnis unter Folter: So werden „Hexen“ auch heute noch verfolgt

Geständnis unter Folter: So werden „Hexen“ auch heute noch verfolgt

So werden „Hexen“ auch heute noch verfolgt

Karin Lubowski/shz.de
Flensburg
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Der historische Stich von 1883 zeigt eine Hexenverbrennung im Mittelalter. Foto: imago images

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Hexenverfolgung ist lange vorbei? Stimmt nicht. Über Gräueltaten von früher und heute.

Hexenwahn ist nicht vorbei. Afrika, Ozeanien, Lateinamerika – was in Europa zu den dunkelsten Kapiteln der christlich geprägten Geschichte gehört, kostet in mehr als 40 Ländern der Welt noch immer Menschenleben. Darauf will der Internationale Tag gegen den Hexenwahn am 10. August aufmerksam machen.

Martin Luther forderte zur Tötung von Hexen auf

Hexenverfolgung war ein Phänomen des „finsteren“ Mittelalters und Schuld trug die katholische Kirche? Hartnäckig hält sich dieses Vorurteil, gerade so, als hätte der moderne Mensch gerne möglichst viel Abstand zu Wahn und Aberglaube. Tatsächlich nämlich erlebt Hexenverfolgung ihren Höhepunkt in der frühen Neuzeit und findet sowohl in katholischen als auch reformierten Regionen statt. Martin Luther selbst war davon überzeugt, dass es Hexen gibt und dass sie durch ihre Zauberei Schäden an Mensch, Vieh und Ernte anrichten und forderte zu ihrer Tötung durch das Feuer auf. Im Archiv der Hansestadt Lübeck hat man diese Fakten zusammengetragen:

Auch in Schleswig-Holstein kamen „Hexen“ auf den Scheiterhaufen

Und was geschah auf dem Gebiet Schleswig-Holsteins, von dem der Kieler Historiker Dr. Rolf Schulte als „keinem klassischen Land der Hexenverfolgung“ spricht? „Die Hexenverfolgung begann in den Herzogtümern Schleswig und Holstein 1530 und endete 1735. Das erste Todesurteil 1530 richtete sich gegen zwei Frauen in Kiel, das letzte 1724 gegen einen Mann in Rendsburg“, heißt es in seinem Beitrag für die Webseite des Schleswig-Holsteinischen Geschichtsvereins.

Neun von zehn der Verfolgten und damit deutlich mehr als durchschnittlich seien Frauen gewesen. Insgesamt sind in Schleswig, Holstein, Lauenburg und Lübeck zwischen 1530 und 1735 Prozesse gegen 852 Personen geführt worden.

In Flensburg gesteht ein Frau, Kühe aus der Ferne zu melken

Selten, dass die Namen der Opfer präsent sind. Und doch sind Namen überliefert – meist durch die Aufzeichnungen der Gerichte. Schulte zählt Tatorte auf. Flensburg zum Beispiel, wo Kristina Netelers 1607 ins Visier des Rates gerät. Schon lange wird ihr nachgesagt, eine Hexe zu sein. Nun gesteht sie unter der Folter, fremde Kühe aus der Ferne melken zu können, indem sie eine Axt in einen Block schlage und dann die Milch aus dem Stiel des Werkzeugs zapfe; Pferde gesund gebetet und ihren Mann behext zu haben, damit er sich ihr wieder zuwende.

Zudem treffe sie sich mit einem dämonischen Liebhaber. Sie benennt zwei weitere Frauen als Lehrmeisterinnen. Am 4. Dezember notiert der Ratsschreiber: „Demnach ist sie durch einhellige Votis beider Bürgermeister und Ratsverwandten zum Feuer condemniert (= verdammt) und verurteilt.“

Das Verhör wird „in Güte“ abgebrochen und die Angeklagte gefoltert

Tatort Glückstadt. Ilsebe Koch wird Anfang September 1642 der Hexerei beschuldigt. Eine Frau mit schlechtem Ruf; der Rat beschließt deshalb, das Verhör „in Güte“ abzubrechen und sie zu foltern. Drei Mal werden vermutlich Finger- und Beinschrauben angewendet, dann gesteht die Frau unter anderem, einen Krüger und einen Müller wegen abgeschlagener Bitten totgezaubert zu haben, beichtet „Teufelsbuhlschaften“, belastet andere Frauen, darunter Anna Arents aus Glückstadt. Ilselbe und Anna werden „in die Straff des Feuers condemnieret“.

In Bargteheide hat es mit Gretje Offen eine frühneuzeitliche „Hexe“ in den öffentlichen Raum geschafft. Per QR-Code ist unterhalb des Straßennamens „Gretje-Offen-Weg“ die Geschichte der vermutlich 45 Jahre alten Magd zu hören, die im Hochsommer 1667 beschuldigt wird, den Tod von Pferden herbeigeführt zu haben. Man legt ihr Daumenschrauben an. Sie gesteht, mit Kräuter- und Blutzauber einen Knecht zu Tode gequält und Pferde getötet zu haben. Am 31. August fällt Christian Albrecht, Herzog von Schleswig und Holstein (und Namensgeber der Kieler Universität), das Urteil: Tod durch Verbrennen. Da sie aber ein „einfältig Weib“ sei, „das von Satan verleitet worden, so solle sie vorher stranguliert und nachgehens der Körper verbrannt werden“.

In Papua-Neuguinea glauben auch heute noch Menschen an Hexen

Mit glühenden Eisenstäben und Macheten gefoltert, hat auch Betty „gestanden“, jemandem das Herz herausgerissen zu haben. Ort und Zeit: ein Dorf in Papua Neuguinea im 21. Jahrhundert. Die Fotografin und Autorin Bettina Flitner hat den Inselstaat im Pazifik besucht und das dort Erlebte unter der Überschrift „Hexenjagd“ 2019 in der Zeitschrift „Emma“ dokumentiert.

Hexenverfolgung ist in Papua-Neuguinea strafbar – „aber selbst Juristen und Priester glauben daran“, heißt es im Beitrag. „In Papua-Neuguinea werden noch – und neuerdings zunehmend – ,Hexen’ verbrannt.“ Betty überlebte, weil sie gestanden hat. „Sie wurde losgebunden und konnte noch in der Nacht mit Hilfe ihres Mannes fliehen.“

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