Ehemaliger Bischof aus Kappeln

Gerhard Ulrich: Schleswig-Holsteins neuer Antisemitismusbeauftragter unterm eigenen Dach

Schleswig-Holsteins neuer Antisemitismusbeauftragter unterm eigenen Dach

Neuer Antisemitismusbeauftragter unterm eigenen Dach

Martin Schulte
Kiel
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Im Einsatz für das jüdische Leben: Gerhard Ulrich.  Foto: Marcus Dewanger/shz.de

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Der ehemalige Bischof Gerhard Ulrich ist Schleswig-Holsteins neuer Beauftragter für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus.

Die Reihenfolge ist ihm wichtig. Gerhard Ulrich ist seit Dienstag ganz offiziell Schleswig-Holsteins Beauftragter für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus. „Es ist gut, dass die Normalität vor den Problemen genannt wird“, sagt der ehemalige Bischof.

Dass es am Anfang des Gesprächs an seinem Wohnzimmertisch in Kappeln dann doch wieder um den Antisemitismus geht, hängt natürlich mit den aktuellen Entwicklungen zusammen: Denn dieser wächst – in Deutschland und weltweit. Das zeigen nicht nur Umfragen und Statistiken, sondern auch die vielen verbalen Entgleisungen in den sozialen Medien und nicht zuletzt antisemitisch motivierte Anschläge wie der auf die Synagoge in Halle oder der geplante auf das jüdische Gotteshaus in Hagen.

„Dass wir uns in Deutschland wieder mit einem wachsenden Judenhass beschäftigen müssen, ist beschämend“, sagt Ulrich: „Die Shoah ist ein einzigartiges Verbrechen, das durch nichts zu relativieren ist, umso schlimmer, dass es in Deutschland immer wieder versucht wird.“

Das Problem des beiläufigen Antisemitismus

Beispiele gibt es einige: Von Gaulands Fliegenschiss-Rhetorik bezüglich der deutschen NS-Zeit bis hin zur verunglückten Kasseler Documenta in diesem Jahr, die sehr eindrucksvoll gezeigt hat, wie schnell fehlende Haltung in einer verrutschten Botschaft enden kann. Die internationale Aufmerksamkeit war der Kunstschau danach gewiss, wenn auch aus den falschen Motiven.

Ulrich bemängelt gerade diese Nachlässigkeiten, die oft genug auch einen, wie er es nennt, beiläufigen Antisemitismus in sich trägt, der gar nicht immer böswillig sein muss, sondern sich in die Gesellschaft eingeschrieben habe: „Der bereitet mir große Sorgen, weil wir alle ihn in uns tragen.“

Sammelalben mit Spottbildern über jüdisches Leben

Und er nennt ein Beispiel aus der eigenen Familie. Aufgewachsen in einem Haus, wo Großvater und Vater lange Zeit vom Nationalsozialismus überzeugt waren, fand der junge Gerhard auf dem heimischen Dachboden Sammelalben mit vielen Bildern, auf denen die Vorurteile gegenüber Juden abgebildet waren. „Ich bin mit diesem Antisemitismus aufgewachsen“, sagt er.

Besonders erschreckt habe ihn eine Begebenheit, in der er – Jahrzehnte später - unbewusst eine Ausdrucksweise aus dem Elternhaus übernommen habe. Als sein Sohn einen Anzug brauchte, habe er ihm ein Hamburger Traditionsgeschäft empfohlen, verbunden mit dem Zusatz, dass das mal ein jüdisches Geschäft gewesen sei. „Mit dem gleichen Satz hat mich Jahrzehnte vorher meine Mutter in diesen Laden geschickt.“

Zunächst Zweifel wegen der neuen Aufgabe

Solche Beispiele, vermittelt mit der ihm eigenen Rhetorik und Reflexion sind es, die Ulrichs Eignung für das neue Amt augenscheinlich machen. Dabei hatte der 71-Jährige, der seit 2019 im Ruhestand ist, selbst einige Zweifel: „Ich war erst skeptisch, ob es eine gute Idee ist, einen ehemaligen evangelischen Bischof für die jüdischen Belange einzusetzen.“ Ulrich hat es dann von den Gesprächen mit den beiden jüdischen Verbänden im Land abhängig gemacht – „und die waren wirklich positiv, meine Bedenken wurden dort nicht geteilt“. Auch sein Vorgänger Peter Harry Carstensen habe ihn in der Idee bestärkt, dieses Ehrenamt zu übernehmen.

Heute wird er also im Kieler Bildungsministerium offiziell präsentiert, von der zuständigen Ministerin Karin Prien, die sich selbst stark für die jüdischen Belange in Deutschland engagiert. Ulrich wird sich dort als eine deutlich vernehmbare Stimme für das Judentum und gegen jede Form des Antisemitismus präsentieren und außerdem als jemand, der das jüdische Zusammenleben und die Traditionen im Land noch sichtbarer machen möchte. „Wir brauchen diese Vielfalt des Glaubens in unserer Gesellschaft und die Toleranz untereinander“, sagt er. Damit die Reihenfolge in der Beschreibung seiner neuen Tätigkeit künftig noch deutlicher sichtbar wird. 

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