Häusliche Gewalt

Frauenhaus ist voll – zu wenig Hilfe für Gewaltopfer und ihre Kinder

Frauenhaus ist voll – zu wenig Hilfe für Gewaltopfer und ihre Kinder

Frauenhaus ist voll – zu wenig Hilfe für Gewaltopfer

Mira Nagar/shz.de
Flensburg/Flensborg
Zuletzt aktualisiert um:
Anne-Kathrin Scheimann, Hanna Pikowski und Adriane Weikinnis mit Hund Schweinchen auf einem Spielgerät im Hof des Frauenhauses Flensburg. Foto: Mira Nagar

Diesen Artikel vorlesen lassen.

22 Plätze für Frauen und ihre Kinder gibt es im Flensburger Frauenhaus – und immer wieder müssen die Mitarbeiterinnen Frauen absagen, die um Hilfe bitten. Die Belegungsrate war 2022 bei fast 100 Prozent.

Einen kleinen Fuchs mit Herbstbäumen hat eine Frau an die weiße Wand im Spielzimmer gemalt, so dass sie nicht mehr ganz so weiß wirkt. Ein Fenster geht zum Hof hinaus mit Rutsche, Wipptier – und einem Sichtschutz. Denn nicht alle Kinder, die hier im Flensburger Frauenhaus wohnen, können unbeschwert auf einem öffentlichen Spielplatz toben. Hier aber haben 22 Frauen und Kinder einen Ort, an dem sie ohne häusliche Gewalt leben können. Damit sind alle Flensburger Plätze belegt. So wie eigentlich jeden Tag.

Die meisten Frauen, die vor der Gewalt ihres Partners fliehen, bekommen in einem weiten Umkreis keine Notunterkunft. Da stellt Flensburg keine Ausnahme dar, wie eine Recherche von Correctiv.Lokal und dem Flensburger Tageblatt zeigt. Der Rechercheverbund Correctiv hat im Jahr 2022 täglich die Belegungsdaten aller Frauenhäuser erfasst, die auf der Karte der Webseite Frauenhaus-Suche eingetragen sind. Im Durchschnitt konnten an 303 von 365 Tagen (83 Prozent) keine Personen aufgenommen werden. In Flensburg war das Frauenhaus sogar zu 99,18 Prozent ausgelastet.

Das Land SH rechnet anders: Laut vorliegenden Zahlen sei das Frauenhaus Flensburg im Jahr 2022 im Schnitt zu rund 85 Prozent ausgelastet gewesen, teilt Fenja Hardel, Sprecherin im Sozialministerium mit. „Die Aufnahmen im Frauenhaus bzw. auch die Belegung der Zimmer wurde bedingt durch die Corona-Pandemie jedoch reduziert, wonach zumeist nur ein Haushalt pro Zimmer aufgenommen wurde.“

Die Mitarbeiterinnen im Frauenhaus können aber die bei Correctiv recherchierte Zahl bestätigen: Auf der Seite „Frauenhaus-Suche“ wird dauerhaft „belegt“ angegeben. Denn sobald jemand auszieht, wird der Platz gleich wieder neu vergeben. Eine Warteliste gibt es nicht. Die Konsequenz: Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern müssen immer wieder schutzsuchende Frauen abweisen. 112 Frauen und 78 Kinder wurden im Jahr 2021 wegen Platzmangel nicht im Flensburger Frauenhaus aufgenommen. „Das ist für uns normaler Arbeitsalltag“, sagt Mitarbeiterin Adriane Weikinnis. Acht Zimmer stehen für Schutzsuchende zur Verfügung. „Im absoluten Obernotfall können wir noch jemanden im Wohnzimmer unterbringen“, sagt Hanna Pikowski vom Flensburger Frauenhaus.

Zu wenig Plätze in ganz Schleswig-Holstein

Wohin die Frauen stattdessen geflohen sind, ist nicht bekannt. Es komme vor, dass die Polizei bedrohte Frauen zu einem Hostel bringe. Manchmal gibt es Umfeld der betroffenen Frau für eine Nacht die Möglichkeit, bei Nachbarn, Bekannten oder Freunden unterzukommen. Die nächsten anderen Frauenhäuser sind in Heide und Rendsburg. In Bredstedt gibt es eine Schutzwohnung. Doch das reicht bei Weitem nicht aus.

Der Europarat empfiehlt, dass es einen Frauenhausplatz pro 7500 Einwohnern geben soll. Correctiv.Lokal hat die Anzahl der Frauenhausplätze pro Einwohner in den Bundesländern berechnet – bundesweit fehlen derzeit rund 3470 Plätze. Tatsächlich hat das Land SH entscheiden, mehr Frauenhausplätze einzurichten. Doch der Plan scheitert an der Realität. „Seit 2018 wurden insgesamt 67 zusätzliche Frauenhausplätze dauerhaft geschaffen. 24 Plätze konnten bisher jedoch noch nicht angeboten werden, da ein neues Frauenhaus in den Kreisen Nordfriesland und Schleswig-Flensburg noch nicht in Betrieb genommen werden konnte“, erklärt Fenja Hardel.

Neues Frauenhaus scheitert am Schleswiger Wohnungsmarkt

Den Bedarf von 38 Plätzen haben die Kreise Nordfriesland und Schleswig-Flensburg berechnet und wollen daher die vom Land eingeplanten Plätze auf eigene Kosten aufstocken. Doch die Suche nach Wohnraum in Schleswig gestaltet sich schwierig. „Wir befinden uns weiterhin auf der intensiven Suche nach einer passenden Liegenschaft, was aufgrund der aktuellen Krisenzeit jedoch sehr schwierig ist“, teilt Marko Wolter, Sprecher des Kreises Schleswig-Flensburg, mit. „Viele Liegenschaften sind aufgrund ihrer Lage, baulichen Voraussetzungen, Größe oder Mietpreise nicht geeignet.“ Aktuell stehe der Träger des Frauenhauses, die Brücke Rendsburg-Eckernförde e. V., mit verschiedenen Eigentümern im Gespräch hinsichtlich der Anmietung oder eines Neubaus.

Dabei ist seit 2018 die Istanbul-Konvention, die eine geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen bekämpfen will, in deutsches Recht überführt. Sie verpflichtet Bund, Länder und Kommunen gemeinsam definierte Ziele umzusetzen. In SH sieht es sogar noch vergleichsweise gut aus: Hier schreibt das Finanzausgleichsgesetz die Förderung von Frauenhäusern vor. Das Land stellt den Kommunen und Landkreisen Geld für den Unterhalt und Betrieb zur Verfügung.

Gelder aus dem Bundesförderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ gibt es für Flensburg aber nicht. Die Ressourcen für den Aufwand der Beantragung fehlen. Dennoch: Die Landesmittel sorgen anders als in anderen Ländern für Planungssicherheit. Und: Der Aufenthalt im Frauenhaus ist für die Frauen kostenlos. 

Wohndauer im Frauenhaus Flensburg sehr unterschiedlich

Auch können die Bewohnerinnen so lange bleiben, bis sie einen neuen, sicheren Ort für sich gefunden haben. Eine durchschnittliche Wohndauer kann Hanna Pikowski daher nicht nennen. Eine Frau sei schon seit Jahren im Frauenhaus.

„Einige Frauen haben keinen eigenen, gesicherten Aufenthaltstitel“, sagt Pikowski. Das trifft dann zu, wenn beispielsweise der Aufenthalt in Deutschland vom Ehepartner abhängt – vor dem die Frau gerade geflohen ist. Eine eigene Wohnung zu finden, sei für diese Frauen schwer möglich. Der Bedarf ist seit 2017 merklich gestiegen. Insbesondere Frauen, die in ihrem Herkunftsland wenig bis keine eigenen Rechte haben, wird unter den neuen Gegebenheiten bewusst, dass sie hier durchaus eigene Rechte haben und diese auch einfordern dürfen.

Wenige Möglichkeiten auf dem Flensburger Wohnungsmarkt

Doch auch Frauen mit Aufenthaltsrecht und deutsche Frauen finden schlicht keine Wohnung auf dem Flensburger Wohnungsmarkt, berichtet Hanna Pikowski. „Es kommt auch vor, dass private Vermieter den Frauen absagen, wenn sie hören, dass sie aus dem Frauenhaus kommen“, sagt sie. „Dabei ist das Wichtigste, dass Vermieter sich öffnen und eine Wohnung anbieten. Denn es sind mutige und starke Frauen.“

So wie die Frau, die den Fuchs gemalt hat. Sie hat den Neustart in ein gewaltfreies Leben geschafft, auch mit der Starthilfe aus dem Frauenhaus.

Mehr lesen

Kommentar

Hannah Dobiaschowski
Hannah Dobiaschowski Projekte / Marketing
„Newcomer-Bandabend: Großer Erfolg und wichtige Jugendarbeit“