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Flüchtlinge auf Sylt könnten bald obdachlos werden

Flüchtlinge auf Sylt könnten bald obdachlos werden

Flüchtlinge auf Sylt könnten bald obdachlos werden

Nils Leifeld/shz.de
Westerland
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Das Hochhaus in der Danziger Straße 4 in Westerland ist Wohnort von rund 112 Flüchtlingen auf Sylt. Foto: Nils Leifeld/shz.de

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112 Flüchtlinge leben in einem Hochhaus in Westerland. Spätestens Ende 2023 müssen sie hier raus. Das Haus auf Sylt soll abgerissen werden. Genug neue Unterkünfte gibt es für die Menschen bisher nicht.

Die Wohnsituation für der Flüchtlinge auf Sylt spitzt sich zu. Wohnraum auf der Insel wird seit Jahren immer knapper. Nun steht fest: Die Tage einer der größten Flüchtlings-Unterkünfte auf Sylt sind gezählt. Das in die Jahre gekommene Gebäude in der Danziger Straße 4 in Westerland, in dem 112 Flüchtlinge leben, soll abgerissen werden und Neubauten Platz machen. Grund für den Abriss sind laut KLM-Chef Marcus Kopplin „massive bauliche Mängel“. Deswegen müssen alle Bewohner bis zum Jahresende ausziehen. Alternativen gibt es nicht. Eine bekannte Sylter Kommunalpolitikerin schlägt jetzt Alarm.

Wohin mit den Flüchtlingen auf Sylt?

„Ich persönlich bin zutiefst erschüttert, dass wir ausgerechnet den Menschen, die unsere Hilfe so sehr brauchen, die sehr viel verloren haben und die sich hier auf unserer Insel willkommen und geschützt fühlen, dass wir denen sagen müssen, dass sie die Unterkünfte verlassen müssen und sich Wohnraum und somit einen anderen Ort zum Leben suchen müssen“, sagt Ulrike Körbs (Fraktion Insulaner). Sie ist nicht nur Vorsitzende des Sozialausschusses der Gemeinde Sylt, sondern hat auch in der Geflüchteten-Begegnungsstätte „Ankerstube“ den Hut auf.

In der Sozialausschuss-Sitzung am 20. März stand das Thema „Flüchtlingsunterkünfte“ auf der Tagesordnung. Nur gab es ein kleines Problem. Die entsprechende Vorlage war erst am Tag der Sitzung, nur wenige Stunden vor Beginn des Ausschusses, von der Verwaltung herausgeschickt worden. „Wie soll man sich da adäquat vorbereiten?“, fragt Körbs und kritisiert damit indirekt die Verwaltung der Gemeinde Sylt. Mit diesem Vorwurf konfrontiert, reagiert Bürgermeister Nikolas Häckel gewohnt zugeknöpft: „Berichtsvorlagen, also Berichte ohne vorgesehene Beschlussfassung, sind bei uns stets tagesaktuell und werden am Sitzungstag veröffentlicht. Dies ist seit Jahren geübte Praxis.“

Wohnhaus in der Danziger Straße 4 soll abgerissen werden

Die Kernfrage, die mit dem absehbaren Wegfall der Danziger Straße 4 im Raum steht, lautet: Wo sollen Flüchtlinge auf Sylt künftig untergebracht werden? Laut Bürgermeister Häckel „sollen die erforderlichen Kapazitäten primär aus dem kommunalen Wohnungsbestand des KLM sichergestellt oder von Dritten angemietet oder in vorhandenen Liegenschaften auf Sylt gegebenenfalls durch Umgestaltung bereitgestellt werden“. Häckel beruft sich dabei auf einen Beschluss der Gemeindevertretung Sylt vom 15. Dezember 2022.

„An der Umsetzung dieses Beschlusses arbeiten wir in der Gemeinde Sylt, aber auch insular.“ Dass das angesichts „der mehr als angespannten Wohnraumsituation auf Sylt eine Herausforderung ist, ist klar“, schreibt Häckel. „Wir möchten ja auch die Wohnraumsituation nicht weiter verschärfen, in dem wir Dauerwohnraum zur Flüchtlingsunterbringung umwandeln.“

Neben der Danziger Straße 4 dienen insbesondere Wohnungen in der Theodor-Heuss-Straße sowie der Bahnhofstraße in List als Unterkünfte für Flüchtlinge auf Sylt. Für die Nutzung des ehemaligen Jugendaufbauwerks (JAW) Hörnum als Flüchtlingsunterkunft bestehe laut Gemeinde Sylt aktuell kein politischer Auftrag.

Gemeinde Sylt: Wir lassen Flüchtlinge nicht allein

Dem Eindruck, dass die Gemeinde die Flüchtlinge mit ihrer ungeklärten Wohnsituation allein lasse, widerspricht Häckel vehement. „Die anerkannten Flüchtlinge werden – wie in der Vergangenheit auch – bei der Wohnungssuche unterstützt und in keinem Falle alleingelassen. Die sogenannte Wohnraumbörse war in der Vergangenheit sehr erfolgreich und wird auch jetzt die anerkannten Flüchtlinge bei der Wohnungssuche unterstützen.“

Auch Ulrike Körbs will die Hoffnung nicht aufgeben, dass doch noch eine Lösung für die Menschen auf der Insel gefunden wird. Dazu wird es am Montag, 17. April, eine Sondersitzung des Sozialausschusses geben. Sie beginnt um 19 Uhr im Sitzungssaal des Rathauses. Trotzdem haben die aktuelle Situation der Flüchtlinge auf Sylt und der Umgang damit bei der engagierten Kommunalpolitikerin viele Fragezeichen und Sorgesfalten hinterlassen. „Ja, wir werden uns bemühen, Lösungen für die Zukunft zu finden, aber es wird immer nur ein Zuhause auf Zeit sein und immer nur befristete Hilfe. Zu realisieren, dass dauerhafte Lösungen in sehr weiter Ferne liegen und wir immer nur vorübergehende Gastgeber sein können, ist eine schmerzhafte Tatsache.“

Flüchtlingshilfe auf Sylt fährt weiter „auf Sicht“

Der Ernst der Lage ist auch der Gemeinde Sylt sehr wohl bewusst. In der Vorlage zur vergangenen Sozialausschusssitzung am 20. März heißt es im Sachstandsbericht zur „Auslastung der Flüchtlingsunterkünfte und den weiteren Bedarf“: „Der Auftrag aus einem politischen Beschluss vom 15. Dezember 2022 heraus, Unterkünfte für bis zu 400 Personen vorzuhalten, kann unter anderem aus den vorgenannten Gründen nicht umgesetzt werden.“ Die Flüchtlingshilfe fahre weiter „auf Sicht“, mit allen draus möglicherweise resultierenden Gefahren.

Um nicht länger völlig unvorbereitet zu sein, werde das große Ziel des laufenden Haushaltsjahres, so die Gemeinde, „die Ausweisung anerkannter Personen aus den Flüchtlingsunterkünften sein“. Die Ausweisung werde schriftlich angekündigt und verlaufe in verschiedenen Phasen über einen Zeitraum mehrerer Monate. Ausweisung bedeutet in diesem Zusammenhang laut der Gemeinde, „dass die betroffenen Personen die Flüchtlingsunterkunft verlassen und sich um eigenen Wohnraum kümmern müssen“. In der Folge sei daher mit einem erhöhten Aufkommen an Obdachlosen zu rechnen, da voraussichtlich nicht für alle Betroffenen innerhalb des gesetzlich zeitlichen Rahmens eine eigene Bleibe gefunden werde.

Politik auf Sylt muss Lösungen finden

Um eine langfristige Lösung des Wohnungsproblems für die Flüchtlinge auf Sylt zu finden, nimmt die Gemeinde die politischen Gremien in die Pflicht. Die sollen „endlich eine Entscheidung über die langfristige Unterbringung von Flüchtlingen“ treffen, zum Beispiel durch das Aufstellen von Containern oder die Anmietung, Erwerb oder Neubau von größeren Wohneinheiten. Vorsitzender des Wohnungsbauausschusses ist Gerd Nielsen (SPD). Er sieht den Druck auf dem Thema Unterkünfte für Flüchtlinge, gibt sich aber dennoch einigermaßen „gelassen“.

Es gebe auch auf Sylt noch Möglichkeiten der Unterbringung für Menschen in Not. Dabei bringt Nielsen sowohl das JAW Hörnum als auch die Obdachlosenunterkunft in Westerland ins Spiel. „Und es wird auch reichlich gebaut auf der Insel, es entstehen neue Wohnungen, da könnte man sich auch über denkbare Lösungen Gedanken machen.“

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