Kriminalität

Flensburger Waffen-Fachmann Michael Klinger kritisiert Symbolpolitik

Flensburger Waffen-Fachmann Michael Klinger kritisiert Symbolpolitik

Flensburger Waffen-Fachmann kritisiert Symbolpolitik

Antje Walther, SHZ
Flensburg/Flensborg
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Michael Klinger hat unlängst sein Waffengeschäft in der Neuen Straße in Flensburg an seinen Nachfolger übergeben. Foto: Antje Walther/SHZ

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Als Jungjäger-Ausbilder und langjähriger Geschäftsinhaber beschäftigt sich Michael Klinger seit fast drei Jahrzehnten mit dem Thema Waffen. In der aktuellen Debatte ums Recht besteht aus seiner Sicht das Hauptproblem nicht im Gesetz.

Bereits im Januar hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen Entwurf für Änderungen am Waffengesetz vorgelegt. Nach der Amoktat in Hamburg bekommt die Diskussion wieder neue Nahrung.

Michael Klinger hat sich unter anderem berufsbedingt fast seit 30 Jahren mit dem Thema Waffen beschäftigt. Gerade hat der 56-jährige Betriebswirt sein Waffengeschäft in Flensburg an seinen Nachfolger übergeben. Das Wissen habe er damit nicht abgeben, sagt er lächelnd. Aus Überzeugung, sagt der Ausbilder, biete er auch weiterhin keine „Crash-Kurse“ für Jungjäger an, sondern arbeite sechs, sieben Monate mit ihnen zusammen. Das ermögliche dem Team einen umfassenderen Blick, „um Personen herauszufiltern, die primär Zugang zu Waffen suchen“.

Nach dem „zutiefst abzulehnenden Attentat in Hamburg“ sei nachvollziehbar, findet Klinger, dass Politiker, um Sicherheit zu suggerieren, „reflexartig nach einer Verschärfung des Waffenrechts“ rufen. Der Fachmann schickt vorweg, dass Deutschland eines der strengsten Waffengesetze weltweit habe.

Nach dem Attentat hält er zunächst die Frage für berechtigt, ob das Gesetz ausreichend sei, um Straftaten zu verhindern oder, „ob es sinnvoller Änderungen bedarf“. Er unterscheidet: „Sinnvolle Änderungen haben einen tatsächlichen Sicherheitsgewinn zur Folge und täuschen ihn nicht lediglich vor.“ Bei den geplanten Änderungen sei das nicht erkennbar.

Jüngste Änderungen im Waffenrecht von 2020

Die jüngsten Änderungen im Waffenrecht traten laut Bundesinnenministerium am 1. September 2020 in Kraft als eine Reaktion auf die Terroranschläge von Paris 2015. Die Änderungen betrafen laut Website unter anderem die Magazin-Kapazitäten und die „Regel-Abfrage“ der Waffenbehörde beim Verfassungsschutz.

Nancy Faeser schlägt jetzt vor, den Kreis der mit einem psychologischen Gutachten zu überprüfenden Antragsteller für eine Waffenbesitzkarte auf praktisch alle zu erweitern.

Anwendung geltenden Rechts statt Symbolpolitik

Michael Klinger hält es für „illusorisch“ zu glauben, dass man das für hunderttausende Menschen umsetzen könne und damit einen höheren Bevölkerungsschutz erwirke. „Das ist Symbolpolitik“, kritisiert er.

Betrachtet er die Anwendung geltenden Rechts, so ist er überzeugt, dass bei Amoktaten wie am Erfurter Gymnasium 2002 oder in Winnenden 2009 „zumindest der Gebrauch von Schusswaffen hätte verhindert werden können“. Während der 19-Jährige in Erfurt durch gefälschte Dokumente in den Besitz von Waffen gelangte, lag die Waffe des Vaters des Täters von Winnenden rechtswidrig frei zugänglich im Elternhaus. Beim Attentat von Halle im Jahr 2019 habe der Täter Teile seiner Waffen mittels 3D-Drucker selbst hergestellt. All das ist jetzt schon verboten.

Defizite in personeller und finanzieller Ausstattung der Behörden

Der Experte sieht Defizite deshalb nicht im Gesetz, sondern in der Anwendung. „Es mangelt an der Umsetzung des geltenden Waffenrechts und an der personellen und technischen Ausstattung der Behörden.“ Statt über Waffenrechtsänderungen zu diskutieren, gelte es zu klären, „wie versetze ich die zuständigen Behörden in die Lage, das Recht umzusetzen?“.

Schließlich ist Michael Klinger eine Unterscheidung wichtig: zwischen legalen und illegalen Schusswaffen. Auf zwei Millionen regelmäßig behördlich überprüfte Waffenbesitzer in Deutschland entfallen fünf Millionen registrierte, also legale Schusswaffen. Die Zahl der illegalen Schusswaffen werde auf zwischen 20 und 40 Millionen geschätzt. Die viel diskutierten „vollautomatischen Waffen“ seien für Jäger oder Sportschützen rechtmäßig gar nicht zugänglich.

Rasanter Anstieg Kleiner Waffenscheine in Flensburg

In Flensburg sind aktuell 423 Personen als Waffenbesitzer registriert, teilt die Pressestelle der Stadt auf Anfrage mit. Die größte Gruppe sind demnach 205 Jäger, gefolgt von 92 Sportschützen. Die kleinsten Gruppen sind drei Sammler und zehn Erben.

Die Anzahl der Kleinen Waffenscheine sei in den letzten Jahren rasant gestiegen, teilt Sprecher Christian Reimer mit. Während die Zahl Ende 2015 noch 193 betrug, gab es vor einem Jahr 727 und gibt es jetzt 857 Kleine Waffenscheine. „Der Kleine Waffenschein berechtigt zum Mitführen von nicht erlaubnispflichtigen sogenannten Schreckschusswaffen“, erklärt Reimer.

Die Zahl der Waffenbesitzkarten wuchs von 355 im Vorjahr auf jetzt 384, die Zahl der registrierten Schusswaffen bei Privatpersonen stieg von 2009 auf 2150. Verstöße beim Waffenbesitz bearbeite die Staatsanwaltschaft. Nach Erhalt des Urteils werde geprüft, ob eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen sei. In Flensburg, so berichtet Christian Reimer, sei das 2018 und 2021 jeweils einmal geschehen.

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