Südschleswig

Farbanschläge von Klima-Aktivisten – Wie soll Sylt sich schützen?

Farbanschläge von Klima-Aktivisten – Wie soll Sylt sich schützen?

Anschläge: Wie sich Sylt vor Klima-Aktivisten schützen soll

Barbara Glosemeyer/shz.de
Westerland
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Am 16. Juni war ein Luxusladen in Kampen das Ziel eines Farbanschlags der „Letzten Generation“. Foto: www.imago-images.de/shz.de

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Viermal innerhalb von zehn Tagen haben Aktivisten der „Letzten Generation“ Sylt zum Ziel ihrer Attacken gemacht. Seitdem herrscht Unruhe auf der Insel. Auf Worte sollten endlich Taten folgen, meint ein Großteil der Bevölkerung.

Hauptsaison auf Sylt: Die Fußgängerzone in der Friedrichstraße in Westerland ist gefüllt mit Menschen, die bei sommerlichen Temperaturen Entspannung in einer der zahlreichen Cafés und Bars suchen. Was sie gemeinsam haben, ist das Gesprächsthema Nummer eins: die Attacken der „Letzten Generation“ auf einen Privatjet auf dem Sylter Flughafen, das Hotel Miramar an der Westerländer Strandpromenade, den Golfplatz Budersand in Hörnum und jüngst auf Luxus-Boutiquen im Nobel-Ort Kampen.

„Es ist Sünde, was auf dieser Insel passiert“, hört man sie sagen. Und damit sprechen die Inselgäste so manchem Sylter aus tiefster Seele.

Die Stimmung ist hochgekocht auf Sylt. Seit dem jüngsten Angriff auf zwei Kampener Geschäfte fragen sich die Menschen: „Wann schlägt die ‚Letzte Generation‘ das nächste Mal zu?“ Und auch: „Warum tut niemand etwas gegen sich wiederholende Angriffe?“

Stimmen im Netz: Bürgerwehr und Selbstjustiz auf Sylt?

Dass es dringend an der Zeit ist zu handeln, zeigt ein Blick in Social-Media-Foren, zum Beispiel auf Facebook: Dort diskutieren Sylter und treue Inselgäste darüber, ob es nicht an der Zeit sei für eine Bürgerwehr, gar von Selbstjustiz ist die Rede. Nachrichtliche Beiträge diverser Medien über die „Letzte Generation“ werden ohne Kommentarfunktion geteilt – oder überhaupt nicht.

Die Wut auf die „Klima-Kleber“ geht so weit, dass am Tag des Farbangriffs in Kampen ein Boutique-Mitarbeiter beschloss, die Aktivisten mit ihren eigenen Waffen zu schlagen: Er sprühte einen der Männer am Hinterkopf mit grüner Farbe an. Das Video seiner Aktion ging viral und erregte bundesweit Aufmerksamkeit.

Für die meisten von ihnen ist es absolut unverständlich, dass diese „Kriminellen“ ihre Attacken ohne Konsequenzen begehen können. Die Attacke auf den Sylter Flughafen mag einige Insulaner noch zum Grübeln bewegt haben. Doch mit dem Farbangriff auf die Hotelbar im Generationen-Betrieb Miramar – ein Stück Sylter Geschichte – wurde eine Grenze überschritten. Mit jeder weiteren Aktion nährten die Aktivisten ab diesem Punkt die Wut der Insulaner. „Der deutsche Staat muss endlich durchgreifen und das Recht durchsetzen, wie lange soll dieses Spiel denn noch weitergehen?“, fragt sich jetzt auch der Kampener Gastronom Pius Regli („Manne Pahl“) nach dem jüngsten Angriff auf zwei Sylter Luxus-Boutiquen.

In die gleiche Kerbe schlägt Carsten Kerkamm, stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde Sylt. Auf der Generalversammlung der Sylter Bank am Dienstagabend findet er deutliche Worte zu den Farbangriffen der „Letzten Generation“.

„Unter dem Deckmantel des Klimaschutzes zerstören sie mutwillig Eigentum. Sie sind nichts anderes als kriminelle Chaoten“, sagt Kerkamm in seiner emotionalen Ansprache. Und er kündigt an, worauf viele Sylter nach nunmehr vier Attacken jetzt hoffen: Der Rechtsstaat werde „mit all seinen Mitteln dagegen vorgehen“ und „notwendige Maßnahmen treffen“.

Worum es sich dabei handelt, ließ er offen. Gegen neun der Aktivisten wurde ein 14-tägiges Inselverbot verhängt, dieses wird von der Polizei jedoch nicht kontrolliert. Weitere Maßnahmen hat es bislang nicht gegeben. Es ist fraglich, ob die Verbote allein ausreichen werden, nachdem es schon bei den ersten Verhängungen zu Wiederholungstaten mittlerweile bekannter Gesichter gekommen ist.

Erinnerungen an Punk-Sommer im Stadtpark

Kerkamms Worte wecken Erinnerungen an den vergangenen Punk-Sommer auf Sylt. Im vergangenen Jahr sorgte das 9-Euro-Ticket für einen ruhelosen Sommer auf der Nordseeinsel, in dem bereits die Grenzen des staatlichen Durchgreifens deutlich wurden. Geschäftsleute rund um den Wilhelminen-Brunnen im Westerländer Zentrum bangten um ihre Existenz, weil Punks dafür sorgten, dass die Gäste ausblieben. Und für rund sieben Wochen campten zeitweise bis zu 100 Menschen im Stadtpark vor dem Rathaus. „Bezahlbarer Wohnraum für alle“, prangte auf einem Pappschild direkt vor dem Camp. Auch hier wurden also „die Reichen“ ins Visier genommen. Ebenso bei der Demo „gegen den Wohlstandstourismus“ des Bündnisses „Wer hat, der gibt“.

„Letzte Generation“ reißt auf Sylt alte Wunden auf

Da ist es wenig verwunderlich, dass die Attacken der „Letzten Generation“ erstens alte Wunden der Sylter wieder aufreißen und sich zweitens nach der mittlerweile vierten Attacke niemand findet, der sich gegenüber shz.de mit etwas mehr Verständnis für die Ziele der „Letzten Generation“ äußert.

Dirk Erdmann, Sylter Hotelier und Vorsitzender des Dehoga-Bezirksverbands Sylt, stellt im Gespräch mit shz.de schließlich die Frage, die sicherlich allen Syltern unter den Nägeln brennt: „Was hat es mit Klimaschutz zu tun, wenn man ein 150 Jahre altes Jugendstil-Hotel wie das Miramar verwüstet?“ Nichts, meint der Hotelier. Er bezeichnet die Farbattacke als eine „wilde und undifferenzierte Inszenierung“, die die Falschen treffe, weil Deutschland und auch Sylt schon viel für Klimaschutz und Nachhaltigkeit tue.

Es sei an der Zeit für eine andere Gesetzgebung, um „diese kriminellen Aktionen“ zu stoppen, so Erdmann. Er bezeichnet es als absurd, dass immer die gleichen Verursacher ihre Attacken fahren können: „Der Staat macht sich doch lächerlich damit“. Für ihn resultiere daraus ein klarer Auftrag an die Politik in Land und Bund. „Das Regelwerk für derartige Taten muss dringend geändert werden“, fordert der Sylter Hotelier.

Viele Sylter Gastronomen halten sich mit Kommentaren zurück

So klar und deutlich wie Erdmann, Regli und Kerkamm werden jedoch längst nicht alle Akteure auf der Insel. Die Sylter Unternehmer und auch die Sylt Marketing Gesellschaft (SMG) wollen sich auf Nachfrage von shz.de nicht zu den Angriffen der „Letzten Generation“ äußern. Und auch viele Sylter Gastronomen halten sich mit Kommentaren eher zurück. Jeder, der sich kritisch gegenüber der „Letzten Generation“ äußert, könnte sich damit zum nächsten Ziel machen, fürchten sie.

Wie shz.de erfahren hat, gibt es mittlerweile eine WhatsApp-Gruppe, in der sich Gastronomen gegenseitig warnen, wenn sie meinen, bekannte Gesichter der Aktivisten in der Nähe ihrer Lokale zu sehen. Beim Keitumer Luxus-Hotel Severin‘s, wo sich Bundesfinanzminister Christian Lindner und die Journalistin Franka Lehfeldt im Sommer 2022 das Ja-Wort gaben, scheint dies bereits gefruchtet zu haben.

Dort sollen nur einen Tag nach den Farbangriffen in Kampen mehrere „Klimakleber“ gesichtet worden sein, wie in der Facebook-Gruppe „Sylter Journal“ vermeldet wurde. Polizei und Mitarbeiter seien im Einsatz gewesen und hätten so eine erneute Attacke auf Sylt verhindern können. Vier Tage sind seitdem vergangen. Doch die Angst, und mittlerweile auch die Wut, bleibt. Nikolas Häckel, Bürgermeister der Gemeinde Sylt, fasst die Situation treffend zusammen: „Das hat Sylt nicht verdient“.

Am Mittwoch äußerte sich auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zu den wiederholten Angriffen der Gruppe: „Wir alle verfolgen gemeinsam das Ziel des Klimaschutzes. Aber dessen Akzeptanz erweist die ‚Letzte Generation‘ mit ihren Straftaten einen Bärendienst. Wir werden in Schleswig-Holstein jetzt eine härtere Gangart einlegen“.

Krisengespräch auf Sylt mit der Innenministerin

Die Hoffnungen der Sylter ruhen jetzt auf dem Krisengespräch zwischen mit der schleswig-holsteinischen Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack am Donnerstag (22. Juni). Auf Einladung des Sylter CDU-Landtagsabgeordneten Manfred Uekermann wird die Ministerin mit Landrat Florian Lorenzen, Vertretern der Ordnungsämter des Kreises und der Gemeinde Sylt, der Polizei und mit dem stellvertretenden Bürgermeister der Gemeinde Sylt, Carsten Kerkamm, darüber sprechen, wie sich Sylt vor zukünftigen Attacken der „Letzten Generation“ schützen kann.

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