Regierungsbildung in SH

Daniel Günther steht vor Koalitionsoptionen, die es selten oder nie gab

Daniel Günther steht vor Koalitionsoptionen, die es selten oder nie gab

Daniel Günther steht vor seltenen Koalitionsoptionen

SHZ
Kiel
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Wie entscheidet sich Daniel Günther (l.)? Der CDU-Wahlsieger würde am liebsten das Jamaika-Bündnis mit FDP-Spitzenkandidat Bernd Buchholz und Grünen-Spitzenkandidatin Monika Heinold fortsetzen – doch die wollen nur alleine mit Günther koalieren. Foto: Marcus Brandt/shz.de

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Eine zu große Koalition? Schwarz-Grün statt Schwarz-Gelb? Die CDU in Schleswig-Holstein hat die Wahl zwischen Routine und Revolution. Welche Entscheidung ein Novum in Deutschland wäre.

Obwohl der Ministerpräsident der CDU schon einen Koalitionspartner zur Bildung einer Mehrheit hat, will er auch noch die FDP als dritte Partei mit ins Boot holen. Die ziert sich erst, weil sie nicht wirklich gebraucht wird, aber macht dann doch mit.

So kann Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff im Herbst 2021 die erste schwarz-rot-gelbe „Deutschland-Koalition“ in der wiedervereinigten Bundesrepublik bilden – und seit den 50er-Jahren das erste Bündnis in den Ländern, das mehr Partner hat, als es eigentlich benötigt.

Eine „zu große Koalition“ wäre kein völliges Neuland

Es wäre also kein völliges Neuland, wenn auch Haseloffs schleswig-holsteinischer Amtskollege und Parteifreund Daniel Günther nach seinem Sieg bei der Landtagswahl seinen mehrmals bekräftigten Wunsch nach einer solchen „zu großen Koalition“ verwirklichen würde: Günther will gern weiter im Jamaika-Bündnis mit Grünen und FDP regieren, obwohl er nur noch eine der beiden Parteien braucht.

Ähnliches hatte schon sein letztlich nicht wiedergewählter SPD-Vorgänger Torsten Albig 2017 erwogen: Er hätte auch dann gern seine „Küstenampel“ mit den Grünen und dem SSW fortgeführt, wenn es mit den Grünen alleine gereicht hätte. Nichts von beidem klappte bekanntlich.

Auch Konrad Adenauer hatte mehr Bündnispartner als nötig

Auch im Bund gibt es ein Vorbild für Günthers Wunsch: CDU-Kanzler Konrad Adenauer hat 1953 in seine Bundesregierung nicht nur die FDP aufgenommen, sondern auch die Deutsche Partei und den Heimatvertriebenen-Block GB/BHE, die er für eine Mehrheit eigentlich nicht brauchte. „Überschuss-Koalitionen“ nennt der Bonner Parteienforscher Frank Decker solche Bündnisse, wie Haseloff und Adenauer sie geschmiedet haben und Günther es jetzt plant.

Allerdings unterscheidet sich Günthers Ausgangslage in Schleswig-Holstein deutlich von der Adenauers 1953 und Haseloffs 2021: Während Günther aus freien Stücken gern die erfolgreiche Arbeit mit seinen bisherigen Regierungspartnern fortsetzen würde, waren die Überschuss-Koalitionen in den anderen beiden Fällen von handfesten Zwängen bestimmt.

So wollte Adenauer sich mit der Beteiligung der beiden konservativen Parteien eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag sichern, um die Westbindung und Wiederbewaffnung durchzusetzen.

Mit den Grünen hätte Günther eine Zwei-Drittel-Mehrheit

Und in Sachsen-Anhalt misstraute CDU-Chef Haseloff Teilen seiner eigenen Fraktion, die zur AfD neigen und ihm bei der Erhöhung des Rundfunkbeitrags kurz zuvor in den Rücken gefallen waren. Daher war ihm die knappe Ein-Stimmen-Mehrheit mit der SPD zu riskant. „Da kann ja schon die Wahl des Ministerpräsidenten schiefgehen“, sagt Parteienforscher Decker. In der Tat wurde Haseloff dann selbst mit der FDP im Boot erst im zweiten Durchgang gewählt.

Das müsste Günther weder in einem Bündnis mit den Grünen noch mit der FDP befürchten. Mit beiden Parteien hätte er einen ordentlichen Vorsprung, mit den Grünen sogar eine satte Zwei-Drittel-Mehrheit, die für Verfassungsänderungen reicht, und mit beiden zusammen gar eine Drei-Viertel-Mehrheit.

„Demokratie-Gesichtspunkte sprechen für CDU-FDP-Bündnis“

Genau das aber spricht in den Augen von Politikwissenschaftler Decker gegen ein so großes Bündnis und selbst gegen eine schwarz-grüne Koalition. „Unter Demokratie-Gesichtspunkten wäre es am sinnvollsten, wenn die CDU in Schleswig-Holstein mit der FDP regiert“, sagt Decker. Dann gebe es eine starke Opposition.

Allerdings könnte im Kieler Landtag selbst eine kleine Opposition aus SPD und SSW viele Rechte durchsetzen. So reicht etwa zum Einsetzen eines Untersuchungsausschusses ein Fünftel der Stimmen – so viele hätten beide. Verfassungsänderungen dagegen könnten sie nicht verhindern.

Parteienforscher rät von Überschuss-Koalition ab

Doch wird die Opposition ja noch stärker, weil auch entweder die FDP oder die Grünen dabei sein werden: Die Spitzenleute beider Parteien haben schon erklärt, angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse nicht zu einer Fortsetzung von Jamaika bereit zu sein. Beide wollen nicht fünftes Rad am Wagen sein.

Auch Decker hält das für vernünftig: „Eine Überschuss-Koalition belastet die Regierungsarbeit eher, weil gegen einen Partner immer eine Drohkulisse aufgebaut werden kann.“

Nie hat die Union die Chance zu Schwarz-Gelb verstreichen lassen

Falls Günther die Grünen und die FDP nicht doch noch von Jamaika überzeugen kann, steht er also vor der Wahl: Schwarz-Grün oder Schwarz-Gelb. Bisher hat die Union in Bund und Ländern noch nie eine Gelegenheit verstreichen lassen, eine Koalition mit der FDP zu bilden. Parteienforscher Decker kennt jedenfalls keinen solchen Fall: „Wann immer Schwarz-Gelb möglich war, hat die Union es gemacht“, resümiert er.

Umgekehrt allerdings hat die FDP sich in der sozialliberalen Ära schon mehrmals gegen die Union und für die SPD entschieden, auf Bundesebene, aber auch in Ländern. Warum sollte die Union da nicht auch mal die Routine durchbrechen? Entscheidet sich Günther gegen die FDP und für die Grünen, wäre das also wirklich ein Novum – und eine kleine Revolution.

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