Berliner Institut: Neuer Trend

Aus Stadtlust wird Landlust: Warum Schwabstedter aus Hamburg geflohen sind

Aus Stadtlust wird Landlust: Warum Schwabstedter aus Hamburg geflohen sind

Aus Stadtlust wird Landlust

Birger Bahlo
Schwabstedt
Zuletzt aktualisiert um:
Schwabstedt kann weiter wachsen. Aktuell wird ein Neubaugebiet an der Treene erschlossen. Foto: Thomas Heyse/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Eine neue Studie belegt auch für Nordfriesland den Trend, dass die Anziehungskraft von Großstädten sinkt. Aus der Stadtlust sei die Landlust geworden. Ein Paar aus Schwabstedt beschreibt, wie sich ihr Blick wandelte.

Nordfriesen sehen sich als gastfreundliche Menschen, viele leben in dieser ausgeprägten Tourismusregion auch davon und nehmen Urlauber bei sich auf. Und sie öffnen sich offenbar mehr und mehr auch Menschen, die auf Dauer hier leben wollen. So einige von diesen Neu-Nordfriesen engagieren sich auch für ihre neue Heimat und haben inzwischen sogar das Bürgermeisteramt übernommen.

Die Zahl der Zuwanderer, die sich in den idyllischen Dörfern Nordfrieslands niedergelassen haben, hat in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen. Das zeigt eine Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und einer Stiftung der Bausparkasse Wüstenrot. Gegenüber shz.de erklärte Frederick Sixtus von dem Institut, dass das aus Sicht der Forscher die neue Lust aufs Land belege.

So mancher wird noch Warnungen vor dem „Ausbluten der Dörfer“ im Ohr haben. Während zum Ende der 2000er Jahre die meisten Gemeinden in dünn besiedelten und entlegenen Regionen Einwohner durch Abwanderung verloren und vor allem die Großstädte und ihr Umland Menschen in großer Zahl lockten, zählt heute der ländliche Raum zu den Wanderungsgewinnern. Die Corona-Pandemie habe diesen Trend noch verstärkt, so Sixtus.

Die Forscher haben die Gesamtwanderungssalden aus 2008 bis 2010 mit denen aus 2018 bis 2020 verglichen. Zwei von drei Landgemeinden haben zugewonnen, im Schnitt 4,2 Menschen pro 1000 Einwohner. Vor einem Jahrzehnt sei die gleiche Zahl verloren gegangen. Allein diese paar Zahlen belegen deutlich die Trendumkehr. Große Städte sind also nicht mehr die Magneten.

Eine ähnliche Entwicklung erlebten die Kleinstädte, kommt Eckert Sixtus auf weitere Punkte der Studie zu sprechen. Auch sie profitierten von der neuen Landlust und könnten sich mittlerweile unterm Strich über einen Zuzug von fünf je tausend Einwohner freuen. Für die kleinen Gemeinden und Städte spiele es dabei kaum noch eine Rolle, ob sie in der Nähe einer Großstadt oder in der Peripherie liegen. Und auch zwischen Ost- und Westdeutschland habe sich das Wanderungsgeschehen weitgehend angeglichen.

Silke und Nahmen Möhn sind klassische Zuwanderer, wie sie die Forscher im Fokus hatten. Sie stammt aus Husum, er aus Nieblum auf Föhr, doch beide arbeiteten rund vier Jahrzehnte in Hamburg, lebten unter anderem im Stadtteil Harburg. Er unterrichtete als Gewerbelehrer an der Staatlichen Gewerbeschule Stahl- und Metallbau, nach seinem Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Politik. Seine Frau arbeitete nach dem Abschluss ihrer sozialpädagogischen Ausbildung unter anderem in Heimen. 1971 heirateten sie, Jahre später kam ihr Sohn zur Welt.

Ärger über die Großstadt

Anfangs genossen sie das vielseitige Leben in der Großstadt, doch mehr und mehr waren sie genervt. Allein diese Anonymität: „Dort grüßt keiner“, ärgert sich noch heute Nahmen Möhn, ganz im Gegensatz zum beschaulichen Schwabstedt, wo sie jetzt seit zehn Jahren leben. Sogar einen Einbruch in ihr Haus mussten sie verkraften, von hinten durch den Garten hinein. Das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit sei dahin gewesen. Er redet sich in Rage, als er von dem Kampf der Autofahrer um jeden Meter und jede Sekunde erzählt. Auf den Elbbrücken sei sein Fahrzeug sogar mal gerammt worden – und der andere habe einfach nur Gas gegeben.

Vor einem Jahrzehnt entwickelten sie ihre Checkliste für die Suche eines passenden Ortes: Kirche, Geschäfte und Friseur, Bank, Apotheke und Ärzte waren da unter anderem notiert sowie gute Nachbarschaft. Sie erzählen, wie sie fast durch ganz Schleswig-Holstein getourt seien, um sich Orte anzuschauen. „Erste Reihe direkt an der Ostsee war mein Traum“, erzählt Silke Möhn und muss lachen, weil sie schnell gemerkt hätten, dass diese Immobilien nicht mehr zu haben sind oder schlicht unbezahlbar seien.

Schwabstedt hat einiges zu bieten an Wohnqualität

Rantrum und Friedrichstadt hatten sie just noch angeschaut, bevor sie vor zehn Jahren durch Schwabstedt an der Treene im Südosten des Kreises Nordfriesland schlenderten. Sie kamen mit Nachbarn ins Gespräch und die warben prompt drauflos: Kirche? Ja, markant auf einem Hügel. Ärzte? Ja, drei Hausärzte, ein Zahnarzt. Apotheke? Ja, Geschäfte? Etliche, darunter ein Supemarkt.

Mögen die Neu-Schwabstedter sich noch so gut versorgt sehen, am Ende zählt, ob es ihnen gelingt, sich den Menschen im Dorf anzuschließen. „Wir hatten früh beschlossen, dass wir in einem Chor mitsingen wollen“, erzählt Silke Möhn. Das ist ihnen gut gelungen, wodurch sie schnell zu vielen Anschluss fanden. Und ihr Mann spielt heute am Ort Badminton, „in einer schönen Gemeinschaft“, fügt er hinzu.

Schließlich erwähnen sie noch den Reiz der von der Treene durchzogenen Landschaft. „Da sitzen wir oft am Ufer und schauen in die Ferne“. Und bei allem behalten sie zahlreiche Freunde im Blick, die sie in Hamburg zurücklassen mussten. Auch ihr Sohn lebt im Großraum Hamburg. Und schon haben sie das Neun-Euro-Ticket in der Tasche und Hamburg-Fahrten unternommen.

Mehr lesen