Nordfriesland

AfD will Windkraft stoppen: Branche hält mit Faktencheck dagegen

AfD will Windkraft stoppen: Branche hält mit Faktencheck dagegen

AfD gegen Windkraft: Branche kommt mit Faktencheck

Birger Bahlo/shz.de
Husum
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In Anlagen zur Versorgung mit Elektrizität spielt Schwefelhexafluorid als Isoliermittel eine wichtige Rolle. Foto: Hauke-Christian Dittrich/shz.de

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Schwefelhexafluorid ist ein Gas, 22.800 Mal klimaschädlicher als Kohlendioxid. Die AfD will mit dem Argument den Windkraft-Ausbau lahmlegen.

„Ist Ihnen diese Situation bekannt? Vor welchen Karren lassen wir uns spannen?“ Mit diesen dramatisch klingenden Worten leitete Karl-Hermann Abraham als Vorsitzender der AfD-Kreistagsfraktion einen Brief an Nordfrieslands Kreispräsident Manfred Uekermann (CDU) ein. Er schrieb ihn Ende August und fügte eine „Resolution für den Baustopp von Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein“ an. Das ist nicht ohne Brisanz für die ganze Branche.

AfD nimmt Nordfrieslands Windkraft ins Visier

In der Luft über Deutschland befinde sich „deutlich mehr hochgefährliches Schwefelhexafluorid (SF6) als an anderen Orten“, warnt die AfD, die im nordfriesischen Kreistag mit zwei Abgeordneten vertreten ist. Das Zeug entweiche aus Windkraftanlagen, „die nirgendwo so zahlreich stehen wie hier.“

SF6 sei laut Weltklimarat IPCC „das stärkste bekannte Treibhausgas der Welt“. Es wirke 26.087 Mal klimaschädlicher als Kohlendioxid. Die AfD bezieht sich mit ihrem Vorstoß auf ein Wissenschaftsmagazin „Trends der Zukunft“. Der IPCC gebe an, es dauere 3200 Jahre, bis sich das Gas in der Atmosphäre zersetze und so seine Wirkung verliere. Schwefelhexafluorid dürfe entsprechend einer freiwilligen Selbstverpflichtung nur verwendet werden, wenn es in geschlossene Systeme eingebracht und danach wiederverwertet oder neutralisiert werde. „Offenbar geschieht das nicht ausreichend“, schließt die AfD aus dem Bericht des Magazins.

Hier noch weitere Vorwürfe der AfD, bevor wir den Kreis Nordfriesland und Sprecher der Windenergie-Branche zur Sache zu Wort kommen lassen. In der Luft seien 50 Prozent mehr von dem Stoff, „als aktuelle Emissionsdaten suggerieren“. Kontrollen, wie viel von dem Treibhausgas aus den Windkraftanlagen in die Atmosphäre entweiche, würde es nicht geben. SF6 sei auch für den Menschen „sehr gefährlich, da es die Ausatmung von Kohlenstoffdioxid behindert. Wer Schwefelhexafluorid einatmet, riskiert einen Atemstillstand bzw. eine Kohlendioxidnarkose. Die AfD fordert abschließend einen Baustopp für Windkraftanlagen – und setzt damit ihren bundesweiten Kampf gegen Erneuerbare Energien in Nordfriesland fort.

Landrat Florian Lorenzen reagierte in der jüngsten Sitzung des Kreistages mit dem Hinweis, dass der zuständige Fachausschuss Umwelt und Energie das Thema aufgreifen und der Kreis dort verfügbare Fakten vortragen werde. Abraham zog daraufhin seinen Antrag zurück und erklärte, er wolle die wissenschaftlichen Ausführungen im zuständigen Fachausschuss abwarten. Die Pressestelle des Kreises weist auf Anfrage noch auf diesen Hintergrund hin: Genehmigungsbehörde für Windkraftanlagen sei nicht der Kreis, sondern das Land. „Wir werden nur als Träger öffentlicher Belange an den Verfahren beteiligt.“

Nun tritt der Umwelt- und Energieausschuss aber erst am Mittwoch, 26. Oktober (14 Uhr) zu seiner nächsten Sitzung zusammen. Daher fragte shz.de in der Landesgeschäftsstelle des Bundesverbandes Windenergie nach, was denn an der Sache dran ist. Das Gas gelte als Substanz mit der stärksten Treibhauswirkung.

Risiko einer Leckage „äußerst gering“

Ein Kilo SF6 wirke rund 22.800 Mal stärker als ein Kilo Kohlenstoffdioxid (CO2) heißt es gleich in den ersten Sätzen eines ausführlichen Fakten-Checks. Es werde aber nur in geschlossenen Systemen eingesetzt. Im Normalbetrieb sei das Risiko einer Leckage mit weniger als 0,1 Prozent pro Jahr laut Bundesministerium für Umwelt, Verbraucherschutz und nukleare Sicherheit (BMU) „äußerst gering“.

Einsatz als Isoliermittel

Schwefelhexafluorid werde wegen seiner „hervorragenden Isoliereigenschaften“ verwendet. Es werde in Mittel- und Hochspannungsschaltanlagen in der gesamten Elektrizitätsinfrastruktur eingesetzt. Der Gebrauch sei „Stand der Technik“ nicht nur in Anlagen zur Energieerzeugung, sondern auch Transformatoren von Ortsnetzen und Industrieanlagen. Früher sei es, heißt es im Fakten-Check des Branchenverbandes, als isolierendes Gas zwischen doppelt verglasten Fenstern verwendet worden.

Bald soll Schluss sein mit Schwefelhexafluorid

Es gelange primär durch Leckagen beim Hantieren mit dem Gas in die Atmosphäre. Um ein Entweichen des Gases zu vermeiden, werde es „beim Rückbau abgesaugt und nach einer gründlichen Reinigung im Anschluss weiterverwendet. Der Verband habe zu Recycling und Rückbau ein gesondertes Dokument geschaffen. Der Verband halte seine Mitglieder an, diese Handlungsempfehlungen auch zu beachten. Außerdem werde an Alternativen zu SF6 gearbeitet, mit einer Marktreife werde bald gerechnet.

Ohnehin soll wohl bald Schluss sein damit. Auf EU-Ebene zirkuliere aktuell der Entwurf einer Richtlinie, mit der der Einsatz von SF6 ab 2030 verboten werden soll.

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