Leitartikel

„Affenlaute von der Tribüne: Deutschlands Problem mit dem Rassismus“

Warum jeder mit Alexander Zorniger gegen Rassismus aufstehen sollte

Affenlaute im Stadion: Deutschland und der Rassismus

Apenrade/Aabenraa
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In Deutschland vergeht gefühlt kein Wochenende, ohne dass Fußballspieler von den Rängen rassistisch beleidigt werden. Nach einem Vorfall in Halle fordert der Fürther Trainer Alexander Zorniger mehr Zivilcourage und stellt eine Verbindung zur Alternative für Deutschland (AfD) her. Die vielen Fälle zeigen, dass sich Teile der Gesellschaft wieder nach rechts bewegen, meint Journalist Gerrit Hencke.

Wie viele andere hier in der Grenzregion verfolge ich den deutschen Fußball besonders intensiv. Es ist ein Volkssport, der eigentlich für Respekt, Zusammenhalt und Gleichheit steht. Aber als Volkssport reflektiert die Fußball-Fankultur mitunter auch gesellschaftliche Tendenzen – und die missfallen mir in letzter Zeit immer mehr. Es ist nicht das viele Geld. Es ist Rassismus.  

Ich erinnere mich noch an Situationen aus den 1990er-Jahren aus dem Stadion, als Schwarze Spieler der eigenen und der Gastmannschaften von Zuschauenden mit rassistischen Rufen oder gar Fan-Gesängen beleidigt wurden. Affenlaute oder diskriminierende Kommentare mit dem N-Wort waren an den Heimspiel-Wochenenden immer wieder zu hören. Verstehen konnte ich diese rassistischen Anfeindungen schon damals nicht.

Die Geschichte vergessen?

Fast 30 Jahre später sollte man meinen, dass die Gesellschaft diese Form der offenen Diskriminierung überwunden hat. Als Grenzlandbewohner sieht man, wie die Minderheiten beiderseits der Grenze ihre deutsche oder dänische Kultur hochhalten und dabei friedlich mit der Mehrheitsbevölkerung zusammenleben. Immer im Blick ist dabei die eigene Historie. Das macht das Zusammenleben hier in der Region aus, und ohne das, wäre dieses ganz schnell dahin.

Auf den Rängen deutscher Fußballstadien scheint die eigene Geschichte oft in Vergessenheit zu geraten. Das zeigen aktuelle Rassismus-Beispiele aus Deutschland. Der Volkssport Fußball sticht hier leider besonders heraus, da er immer wieder von Eklats überschattet wird.

Affen-Emojis und -Rufe 

Da ist Mathys Tel, Spieler des FC Bayern. Die Eltern des 18-jährigen Franzosen stammen aus dem französischen Überseegebiet Guadeloupe in der Karibik. Er ist eine Person of Color (PoC). Der Begriff wird seit der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre genutzt und ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismus erfahren. Genau diesen erfuhr Tel am Wochenende nach der Niederlage seines Clubs gegen RB Leipzig im Supercup.

Das Sturmjuwel wurde in der 64. Minute ausgewechselt und hatte bis dahin zwei Großchancen liegengelassen. Auf seiner Instagram-Seite wurde er anschließend rassistisch beleidigt – mit Affen-Emojis und dem N-Wort. Er selbst erhielt Rückendeckung seines Vereins und schrieb zu den Beleidigungen: „Das ist im Kopf. Es wird nichts und niemanden erreichen“.

Richtig wütend wurde Trainer Alexander Zorniger nach dem DFB-Pokalspiel seiner Fürther gegen den Halleschen FC am Sonnabend. In der anschließenden Pressekonferenz trat der 1:0-Erfolg seines Teams in den Hintergrund. Der Coach erhob stattdessen schwere Vorwürfe gegen ein paar Zuschauende und fand deutliche Worte für die rassistischen Beleidigungen gegen seinen Spieler Julian Green. Der Sohn einer Deutschen und eines Afroamerikaners wuchs überwiegend in Oberbayern auf. Seine Hautfarbe war für die weiße Mehrheitsbevölkerung offenbar auch hier Anlass für Affenlaute von der Tribüne.

Mehr Zivilcourage gefordert

Zorniger forderte mehr Zivilcourage in einem fast ausverkauften Stadion: „Wenn jemand das dritte oder vierte Mal ,Affe' zu einem Spieler sagt, dann muss ich einfach sagen: ,Halt die Klappe! Ich kann's nicht mehr hören'.“ Man müsse Charakter zeigen, aufstehen und sagen: „So geht es nicht.“ DFB-Kampagnen gegen Rassismus können dies nicht ersetzen, ist der 55-Jährige sicher. 

Deutschland sei ein tolles Land, weshalb man sich dementsprechend auch präsentieren müsse. „Wenn wir das nicht machen, dann bekommt dieses braune Gesocks, das auch noch im Bundestag sitzt, immer mehr Oberwasser. Das darf nicht passieren“, sagte er in Anspielung auf die Alternative für Deutschland (AfD).

Viele Vorfälle in diesem Jahr

Es ist interessant, dass Zorniger zwischen den „Vollpfosten“, die im Stadion unverhohlen rassistische Beleidigungen hinausposaunen, und der AfD eine Verbindung herstellt. Sorgt die Partei mit ihrer vorgelebten Diskriminierung und ihrem Rassismus dafür, dass die offene Abneigung gegen alles Fremde wieder salonfähig wird?

Leider muss man sagen, dass es rassistische Beleidigungen in deutschen Stadien schon immer gegeben hat – auch schon vor der AfD.

Allein die bekannt gewordenen Vorfälle aus den höchsten deutschen Spielklassen in diesem Jahr geben Anlass zur Sorge. Denn es sind viele. Wie hoch die Dunkelziffer ist, ist unklar. Die Häufung lässt Rückschlüsse zu, in welche Richtung sich Teile der Gesellschaft in Deutschland wieder bewegen.

Denn es handelt sich nicht um ein Problem im Stadion allein. Die Opferberatungsstellen haben für 2022 einen Anstieg rechter, rassistischer und antisemitisch motivierter Gewalt festgestellt. In 10 von 16 Bundesländern wurden insgesamt 2.093 Angriffe registriert. Mehr als die Hälfte davon sind rassistisch motiviert. Bei rechten Gewalttaten liegt der Anstieg gegenüber dem Vorjahr bei 15 Prozent. Eine Verdreifachung ist bei Nötigungen und Bedrohungen insbesondere aus rassistischen und antisemitischen Motiven zu beobachten (2022: 653 Fälle; 2021: 197). Täglich sind in der Hälfte aller Bundesländer etwa fünf Menschen davon betroffen.

Die Mitschuld des „Braunen Gesocks“

Eine Mitschuld daran könnte die Partei tragen, die Zorniger als „braunes Gesocks“ bezeichnet. Denn tatsächlich verschiebt die AfD seit ihrer Gründung im Jahr 2015 den politischen Diskurs und die Grenzen des Sagbaren in Deutschland immer weiter nach rechts. Sollte die AfD in absehbarer Zeit Regierungsverantwortung bekommen, brechen für Minderheiten sowie Migrantinnen und Migranten düstere Zeiten südlich der Grenze an. 

Konservative verschieben Diskurs mit

Als ich damals in den 1990er-Jahren in Mecklenburg-Vorpommern im Stadion stand, glaubte ich, dass dieser Rassismus und diese Diskriminierungen in einer aufgeklärten Gesellschaft eines Tages verschwinden werden. Zwangsläufig. Dass sich die Gesellschaft in Deutschland immer wieder an die Grausamkeiten der Nazis erinnert und dass „Nie wieder“ auch wirklich „Nie wieder“ bedeutet. Dass Menschen nicht ausgeschlossen werden, weil sie in irgendeiner Form anders sind oder etwas anderes glauben. 

Mittlerweile kann man sich da nicht mehr so sicher sein, zumal auch einige der etablierten Parteien das Sagbare mit verschieben. Statt konstruktiver Oppositionspolitik schüren sie Frust und Wut auf die Regierungsparteien – insbesondere die Grünen bekommen das ab. Das ist Populismus. Und für den sind manche Bürgerinnen und Bürger mehr empfänglich als andere. Die Übernahme der politischen Agenda rechter Parteien oder auch nur von deren Vokabular durch andere Parteien ist gefährlich. Das so Gesagte wird somit normaler und in der Folge auch unangreifbarer.

Autoritärer Nationalradikalismus

Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer bezeichnet den politischen Typus von Parteien wie der AfD als „Autoritären Nationalradikalismus“. Autoritär, weil ein verändertes Ordnungsmodell der Gesellschaft angestrebt wird, traditionell, hierarchisch und spaltend („Wir gegen die“). Nationalistisch, weil es um Überlegenheitsansprüche deutscher Kultur, eine veränderte Geschichtsschreibung und Deutsch-Sein als zentralen Identitätsanker geht. Und radikal, weil ein rabiater und emotionalisierter Mobilisierungsstil damit einhergeht. Dieser Politiktypus sei laut Heitmeyer auch anschlussfähig an eine weitverbreitete „rohe Bürgerlichkeit“. Gemeint ist damit eine verachtende Haltung gegenüber Schwächeren, mit einer Ideologie, die bestimmte Gruppen von Menschen als ungleichwertig begreift und sich hinter einer glatten äußeren Fassade verbirgt.

Rassismus entschieden widersprechen

Heitmeyer sagt, dass die Zivilgesellschaft konfliktfähiger werden muss, um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken. „Immer dann, wenn Menschen Positionen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit artikulieren, muss ihnen sofort entschieden widersprochen werden.“ Das ist genau das, was Fußballtrainer Zorniger auf der Pressekonferenz von den Menschen im Stadion einforderte: aufstehen und sich dagegen positionieren. Wer das Risiko nicht eingehe, trage laut Heitmeyer an der Normalisierung und Anschlussfähigkeit der AfD eine Mitschuld.

Für diese Zivilcourage bedarf es allerdings Mut, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass der- oder diejenige selbst zur Zielscheibe wird, wie die Zahlen der Opferberatungsstellen zeigen. Am Ende muss es das Risiko wert sein.

Ein Blick durch die Grenzland-Brille würde einigen vielleicht helfen, ihre Vorurteile abzulegen. Denn es darf nie gesellschaftlich akzeptiert sein, andere Menschen rassistisch zu beleidigen oder anderweitig zu diskriminieren. Nicht im Stadion und auch nicht außerhalb.

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