Justiz

Richter im Stutthof-Prozess schauen ehemaliges KZ an

Richter im Stutthof-Prozess schauen ehemaliges KZ an

Richter im Stutthof-Prozess schauen ehemaliges KZ an

dpa
Itzehoe (dpa/lno) -
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77 Jahre nach den NS-Verbrechen im KZ Stutthof verschafft sich ein deutsches Gericht einen Eindruck von dem ehemaligen Lager im heutigen Polen. Die Richter aus Itzehoe wollen wissen, was eine Sekretärin des KZ-Kommandanten damals von ihrem Arbeit...

Im Prozess gegen eine frühere Sekretärin im KZ Stutthof haben am Freitag zwei Richter das ehemalige deutsche Lager bei Danzig in Polen besucht. Der Vorsitzende der Jugendstrafkammer aus Itzehoe, Dominik Groß, und eine weitere Richterin nahmen bei ihrem Besuch vor allem die ehemalige Kommandantur in Augenschein, wie eine Gerichtssprecherin mitteilte. Ein historischer Sachverständiger, der sie begleitete, sollte ihnen die Örtlichkeiten zur Zeit der NS-Herrschaft erläutern. Auch Vertreter der 29 Nebenkläger sowie Verteidiger Wolf Molkentin waren bei der Besichtigung dabei.

Der Besuch in dem ehemaligen KZ war Teil des Prozesses gegen Irmgard F., die 1943 bis 1945 als Zivilangestellte für den damaligen KZ-Kommandanten Paul Werner Hoppe gearbeitet haben soll. Die Staatsanwaltschaft wirft der 97-Jährigen vor, als Schreibkraft Beihilfe zum systematischen Mord an mehr als 11.000 Gefangenen geleistet zu haben. Die Angeklagte hat sich bislang nicht vor Gericht geäußert. Zur Tatzeit war sie 18 bis 19 Jahre alt, darum läuft das Verfahren vor einer Jugendstrafkammer.

Bei ihrem Besuch wollten die Richter klären, welche Bereiche des Lagers die Angeklagte damals von ihrem Arbeitsplatz aus sehen konnte. Zentral für den Prozess ist die Frage, was für sie als Schreibkraft von den verübten Verbrechen wahrnehmbar war. Die Richter wollen nach Angaben der Sprecherin beim nächsten Prozesstermin am kommenden Dienstag über die Inaugenscheinnahme des ehemaligen Lagers berichten.

Offizielle Besuche von deutschen Gerichten an den Orten der NS-Verbrechen in Polen sind ungewöhnlich. Im Frankfurter Auschwitz-Prozess hatte das Gericht 1964 das ehemalige Vernichtungslager in Augenschein genommen. Auch im über fünf Jahre dauernden Majdanek-Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf (1975-1981) waren die Richter an den Tatort gereist, wie der Anwalt und ehemalige Kölner Staatsanwalt Günther Feld erklärte. In einem weiteren Prozess gegen den SS-Unterscharführer Heinrich Kühnemann begab sich das Gericht Anfang der 90er Jahre nach Auschwitz.

Im Hamburger Verfahren gegen einen Wachmann aus Stutthof hatte die Jugendkammer 2020 eine Reise in das ehemalige Lager abgelehnt. Ein Sachverständiger des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen hatte in dem Prozess erklärt, fast alle Gebäude der Gedenkstätte einschließlich des sogenannten Todestores und der Wachtürme, des Krematoriums und der Gaskammer seien rekonstruiert. Die ehemalige Kommandantur ist dagegen ein historischer Bau.

Stutthof sei ein relativ überschaubares Lager gewesen, hatte eine Richterin Ende September als Zeugin in Itzehoe gesagt. Vom zweiten Stock der Kommandantur aus habe man «einen ganz guten Überblick» gehabt. Man habe auch den Eingangsbereich des sogenannten Neuen Lagers sehen können, in dem die Gefangenen «in einem unglaublich elenden Zustand» gewesen seien, erklärte die Richterin, die nach eigenen Angaben im August 2015 die Gedenkstätte besucht hatte. Die Berliner Juristin war 2014 bis 2016 bei der Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg tätig gewesen und hatte die Vorermittlungen gegen Irmgard F. eingeleitet.

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