Prozess

Ex-Wachmann im KZ Stutthof als Zeuge: «Es geschah Unrecht»

Ex-Wachmann im KZ Stutthof als Zeuge: «Es geschah Unrecht»

Ex-Wachmann im KZ Stutthof als Zeuge: «Es geschah Unrecht»

dpa
Itzehoe (dpa/lno) -
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Eine Statue der Justitia steht unter freiem Himmel. Foto: Arne Dedert/dpa/Symbolbild

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Was konnte eine junge Sekretärin im KZ Stutthof von den Verbrechen der SS wissen? Als Zeuge vor dem Landgericht Itzehoe kann ein ehemaliger Wachmann des Lagers nur vage Angaben zu seinem damaligen Wissen machen. Dass Unrecht geschah, sei ihm aber...

Ein wegen Beihilfe zum Mord an rund 5000 Menschen verurteilter ehemaliger SS-Wachmann hat am Dienstag zum zweiten Mal als Zeuge im Prozess gegen eine frühere Sekretärin im KZ Stutthof ausgesagt. Mehrere Nebenklägervertreter fragten den 95-Jährigen vor dem Landgericht Itzehoe, was er damals von den Verbrechen in dem Lager bei Danzig mitbekommen habe. «Es geschah Unrecht, sicher», sagte Bruno D. Ob er gewusst habe, dass Menschen getötet und vergast wurden, wollte der Zeuge nicht klar sagen. «Wir haben ganz selten oder gar nicht darüber gesprochen», sagte er über die Unterhaltungen unter Wachleuten. Im weiteren Verlauf der Befragung erklärte der 95-Jährige, dass er einmal antreten musste, um die Hinrichtung zweier Häftlinge und eines Soldaten zu beobachten.

Die angeklagte Irmgard F. soll von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers gearbeitet haben. Die Anklage wirft der 97-Jährigen vor, sie habe als Sekretärin Beihilfe zum systematischen Mord an mehr als 11.000 Gefangenen geleistet. Die Beschuldigte hat sich im Prozess bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. Für eine Verurteilung müsste das Gericht ihr nachweisen, dass sie damals von den Verbrechen der SS wusste und bei den Morden Hilfe leisten wollte.

Bruno D. ist bereits rechtskräftig wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 5000 Fällen verurteilt worden. Im Juli 2020 hatte das Landgericht Hamburg eine Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung gegen ihn verhängt. Er war nach Feststellung des Gerichts von August 1944 bis April 1945 als Wachmann in Stutthof.

Das Landgericht Itzehoe hatte ihn bereits am vergangenen 7. Juni zu seiner Dienstzeit im KZ befragt. Der angeklagten Sekretärin sei er nie begegnet, hatte er erklärt. Er habe zwar Frauen auf dem Gelände des Konzentrationslagers gesehen, aber das seien Angestellte der SS gewesen. «Zu denen haben wir nicht mal Kontakt gehabt.»

Die Nebenklagevertreter versuchten am Dienstag, an die Vernehmungen von Bruno D. vor dem Landgericht Hamburg im Jahr 2018 anzuknüpfen. Der ehemalige Wachmann, der in Begleitung seiner Tochter und seines Anwalts im Gerichtssaal erschien, konnte sich erneut an die Existenz einer Gaskammer, eines Krematoriums und eines Scheiterhaufens zur Verbrennung der vielen Leichen im Herbst 1944 erinnern. Täglich seien die Toten auf Karren geladen und zum Krematorium gebracht worden. Ob es auf dem gesamten Lagergelände nach verbranntem Menschfleisch roch - wie er es 2018 gesagt hatte -, konnte er jetzt nicht mehr bestätigen.

Gut erinnern konnte sich der 95-Jährige an eine Begegnung mit Gefangenen außerhalb des eigentlichen Lagers. Er habe einen Trupp von zehn Häftlingen bewachen sollen, die dort einen Bunker bauten. Zwei hätten ihn gefragt, ob sie ihr «Geschäft» im Wald verrichten dürften. Dabei hätten sie einen noch ziemlich frischen Pferdekadaver gefunden. Er habe den Häftlingen erlaubt, sich Fleisch davon abzuschneiden und ins Lager zu schmuggeln. Damit sei er «ein großes Risiko» für sich selbst eingegangen. «Ich hätte die gar nicht allein in den Wald gehen lassen dürfen», sagte der Zeuge.

Auch von den letzten Kriegstagen im Jahr 1945 berichtete Bruno D. detailliert. Am 26. April habe er zusammen mit anderen Wachmännern eine größere Gruppe Häftlinge auf die Halbinsel Hel gebracht. Von dort seien sie in einem Schleppkahn über die Ostsee bis nach Neustadt in Holstein gefahren. Es habe kaum Proviant gegeben, die Wachmannschaften hatten wie die Gefangenen Meerwasser getrunken. Nach der siebentägigen Fahrt seien die Wachleute von einem Schlepper an Land gebracht worden. Die Häftlinge seien danach an den Strand gekommen. Während «der Ami» schon ganz in der Nähe gewesen sei, habe er noch Leichen auf einen Lastwagen am Strand laden müssen. Von Erschießungen habe er nichts mitbekommen. Er selbst habe sein Gewehr seit seiner Ausbildung zum Soldaten nie wieder benutzt.

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