Angriffe

Buschmann: Strafrecht stoppt Gewalt gegen Politiker nicht

Buschmann: Strafrecht stoppt Gewalt gegen Politiker nicht

Buschmann: Strafrecht stoppt Gewalt gegen Politiker nicht

dpa
Venedig
Zuletzt aktualisiert um:
Die Innenminister von Bund und Ländern wollen härtere Strafen für Angriffe auf Politiker prüfen - Bundesjustizminister Marco Buschmann ist skeptisch. Foto: Anne-Beatrice Clasmann/dpa

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Wenn Kandidatinnen angespuckt und Abgeordnete geschlagen werden, gefährdet das die Demokratie, sagen die Innenminister. Der Bundesjustizminister glaubt nicht, dass die Lösung im Strafrecht liegt.

Mit härteren Strafen lässt sich die zunehmende Aggression gegen Politiker nach Überzeugung von Bundesjustizminister Marco Buschmann nicht eindämmen. «Der Versuch, das gesellschaftliche Problem einer allgemeinen Verrohung der politischen Auseinandersetzung mit dem Strafrecht allein zu lösen, wird scheitern», sagte der FDP-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Er sei gleichwohl bereit, sich Vorschläge der Länder zum Strafrecht anzusehen.

Nach dem brutalen Angriff auf den sächsischen SPD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Matthias Ecke, hatten sich die Innenminister von Bund und Ländern am Dienstag zu einer Video-Konferenz getroffen. In einem gemeinsamen Beschluss bat die Konferenz die Justizminister, möglichst bald zu prüfen, ob «das spezifische Unrecht, das in dem demokratiegefährdenden Umstand solcher Angriffe zu sehen ist», im Strafrecht heute schon ausreichend abgebildet sei. Geprüft werden solle auch, ob «die bewusste Verbreitung von Desinformationen mit dem Ziel der Wahlbeeinflussung oder Gewalteskalation strafwürdiges Unrecht» darstellen.

Zuletzt hatten sich Angriffe auf Politiker gehäuft. Am Freitag vergangener Woche wurde Ecke in Dresden beim Plakatieren krankenhausreif geschlagen. Am Dienstag schlug dann ein Mann die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) mit einem Beutel, in dem sich ein harter Gegenstand befand, und verletzte sie leicht. Noch am selben Tag wurde die Grünen-Spitzenkandidatin für den Stadtrat in Dresden, Yvonne Mosler, beim Aufhängen von Wahlplakaten angerempelt und bedroht. In Stuttgart wurden zwei AfD-Landtagsabgeordnete am Mittwoch laut Polizei von mutmaßlichen Gegnern der Partei verbal und körperlich attackiert.

Soll Politiker-Stalking bestraft werden?

Sachsen will einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einbringen, der einen neuen Straftatbestand vorsieht. Demnach soll die Beeinflussung von Amts- und Mandatsträgern durch sogenanntes politisches Stalking geahndet werden. Dabei geht es um Bedrohungssituationen wie etwa aggressive Aufmärsche vor dem Wohnhaus eines Bürgermeisters.

Der Wortlaut der Vorschläge aus Sachsen liege ihm noch nicht vor, sagte Buschmann der dpa in einem Interview auf dem Weg zum G7-Justizministertreffen in Venedig. Grundsätzlich müsse das Strafrecht besonderen Anforderungen genügen. «Das heißt, wir können nicht eine unpräzise Formulierung nutzen, die dann möglicherweise auch legitimes Verhalten kriminalisieren würde.» Auch sei die Versammlungsfreiheit ein hohes Gut. Bürgerinnen und Bürger dürften auch gemeinsam gegenüber einem Politiker Kritik zum Ausdruck bringen. «Das muss man präzise von einer nicht mehr akzeptablen Bedrohungssituation abgrenzen», betonte der Justizminister.

Es solle aber niemand so tun, als ob das deutsche Strafrecht in Fällen wie dem von Matthias Ecke blinde Flecken hätte, sagte Buschmann. Eine solch schwere Straftat könne auch jetzt schon entsprechend geahndet werden. «Auch Politiker haben ein Recht darauf, dass sie nicht beleidigt werden - und erst recht haben sie ein Recht darauf, dass sie nicht gewaltsam bedroht werden.»

Buschmann kritisiert Begriffe wie «Volksverräter»

Politiker sollten aus Sicht des Ministers vorleben, dass man auch harte Konflikte in der Sache zivilisiert austragen könne. «Natürlich trägt es zur Verrohung des Klimas auch bei, wenn Politiker von «Volksverrätern» sprechen und systematisch den Eindruck zu erwecken versuchen, dass «die Altparteien alle korrupt sind»», sagte der FDP-Politiker. Besonders perfide seien solche Strategien, die auch über soziale Medien liefen, wenn sie von «ausländischen spalterischen Mächten wie Russland mit gesteuert oder angefeuert» würden.

Der Begriff «Altparteien» gehört zum Standardvokabular der AfD, die 2017 erstmals in den Bundestag einzog. Neben den schrillen Tönen in der politischen Debatte sieht Buschmann noch weitere Ursachen für die zunehmende Gewaltneigung. In der Gesellschaft sei ein «höheres Stresslevel» zu beobachten. Dazu habe die anstrengende Phase der Corona-Pandemie beigetragen, deren Nachwirkungen - auch konjunkturell - bis heute spürbar seien. In Europa gebe es Krieg. Konflikte an anderen Orten - etwa im Nahen Osten - beeinflussten auch das Zusammenleben in Deutschland. Hinzu kämen wirtschaftliche Sorgen.

AfD-Chef gegen schärferes Strafrecht

Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla bezeichnete den Vorschlag, Attacken auf Politiker härter zu bestrafen, als «Quatsch». «Ein Politiker ist doch nichts Besseres als ein normaler Arbeitnehmer oder Arbeitgeber», erklärte er im rbb-Inforadio. Gleichzeitig betonte der AfD-Chef, dass Gewalt niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein dürfe. «Es ist einfach zu verurteilen, wenn Menschen angegriffen werden - egal aus welcher Gesinnung oder aus welcher Parteizugehörigkeit.»

Chrupalla wies auch eine Mitverantwortung seiner Partei zurück und führte die Entwicklung eher auf eine fortschreitende gesellschaftliche Spaltung zurück. Politiker von anderen Parteien benutzten mitunter ebenfalls hartes Vokabular, sagte der AfD-Vorsitzende. «Verbale Abrüstung tut uns allen gut.»

Mehr lesen