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Bundesverfassungsgericht setzt der Polizei Grenzen

Bundesverfassungsgericht setzt der Polizei Grenzen

Bundesverfassungsgericht setzt der Polizei Grenzen

dpa
Karlsruhe
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Das Polizei-Wappen von Mecklenburg-Vorpommern. Die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichtes erklärten etliche Vorschriften im 2020 reformierten Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) des Bundeslandes für verfassungswidrig. Foto: Danny Gohlke/dpa

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Kritiker beklagen seit Jahren, dass Bundesländer ihre Polizeigesetze immer weiter verschärfen. Jetzt beanstandet Karlsruhe etliche Vorschriften in Mecklenburg-Vorpommern - und macht strenge Vorgaben.

Das Bundesverfassungsgericht schützt Bürgerinnen und Bürger vor allzu großzügig ausgestalteten Ermittlungsbefugnissen der Polizei. Die Richterinnen und Richter erklärten etliche Vorschriften im 2020 reformierten Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) von Mecklenburg-Vorpommern für verfassungswidrig, wie sie am Mittwoch mitteilten. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die das Verfahren in Karlsruhe mit angestrengt hatte, sprach von einer Grundsatz-Entscheidung, die auch der Verschärfung von Polizeigesetzen in anderen Bundesländern rechtsstaatliche Grenzen setze.

Das Gesetz muss bis Ende des Jahres überarbeitet werden. Ein Teil der Vorschriften wurde direkt für nichtig erklärt. Andere Vorschriften bleiben mit Einschränkungen in Kraft. Hier seien nicht die Befugnisse an sich verfassungswidrig, sondern nur die Ausgestaltung.

Ein zentraler Punkt in der fast 100-seitigen Entscheidung ist der Schutz des sogenannten Kernbereichs privater Lebensgestaltung beim Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern. Ausgeschlossen ist demnach «das staatlich veranlasste Eingehen einer intimen Beziehung zum Zweck der Informationsgewinnung». Auch darf niemand als V-Person gewonnen werden, um den eigenen Ehepartner zu bespitzeln.

Mehr Schutz der Privatsphäre

Kommen im Einsatz trotzdem zu private Informationen zur Sprache, muss der verdeckte Ermittler oder die V-Person laut Gericht einen Rückzieher machen, solange er oder sie sich damit nicht in ernste Gefahr bringt - also «für Leib oder Leben». Werden doch heikle Informationen erlangt, dürfen diese nicht weitergegeben werden. In Mecklenburg-Vorpommern sind diese Punkte nicht sichergestellt.

Andere Beanstandungen betreffen längerfristige Observationen, das Ausspähen und Abhorchen von Wohnungen, Online-Durchsuchungen und die Überwachung von Telekommunikation zum Beispiel übers Handy. Hier geht es jeweils darum, dass die Maßnahme schon in einem zu frühen Stadium erlaubt ist. Nach der Karlsruher Entscheidung ist in der Regel eine konkretisierte oder sogar dringende Gefahr erforderlich.

GFF-Verfahrenskoordinator David Werdermann teilte mit, die Polizei müsse auch dann die Grundrechte achten, wenn es um die Abwehr schwerer Straftaten gehe. «Die Polizeirechtsverschärfungen in verschiedenen Bundesländern, die Überwachung weit im Vorfeld einer Gefahr zulassen, verletzen das Grundgesetz.»

Die GFF hat in Karlsruhe gegen Polizeigesetze verschiedener Länder geklagt. Nach ihrer Auskunft gibt es vor allem in Bayern und Sachsen Vorschriften, die ähnlich wie in Mecklenburg-Vorpommern eine Überwachung schon weit im Vorfeld einer konkreten Gefahr erlauben.

Für die Verfassungsbeschwerde zu Mecklenburg-Vorpommern hatte sich die GFF mit dem Bündnis «SOGenannte Sicherheit» zusammengetan. Unter den Beschwerdeführern waren eine Klimaaktivistin, eine Strafverteidigerin, ein Journalist mit den Themengebieten Extremismus und Migration und zwei Personen mit Kontakten in die Fußball-Fanszene. (Az. 1 BvR 1345/21)

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