Deutsche Minderheit

Nach „Gomorrha“ öffnete Minderheit Herzen und Türen für Hamburger Kinder

Nach „Gomorrha“ öffnete Minderheit Herzen und Türen für Hamburger Kinder

Nach „Gomorrha“: Als die Minderheit Herzen und Türen öffnete

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Nordschleswig
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Via Bekanntmachung in der „Nordschleswigschen Zeitung“ stoppte die Volksgruppenführung die Hilfsaktion. Foto: Matlok

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Nach den tödlichen Bombenangriffen auf Hamburger im Jahr 1943 fanden viele Kinder und Frauen Unterschlupf in Nordschleswig. Doch die spontan zugesagten 5.000 Plätze scheiterten an einem Veto aus Berlin. Der ehemalige Chefredakteur Siegfried Matlok schildert die dramatischen Ereignisse von vor 80 Jahren nach der Operation „Gomorrha“.

In diesen Tagen gedenkt Hamburg der rund 35.000 Toten, die bei den vor 80 Jahren unter dem Codenamen „Gomorrha“ durchgeführten britischen und amerikanischen Luftangriffen ums Leben kamen. Ein tragisches Ereignis, das sich zwischen dem 25. und 28. Juli 1943 ereignete und die deutsche Minderheit in Nordschleswig zu einer einzigartigen Hilfsaktion aufrief.  

Auch dank eines großen Entgegenkommens dänischer Behörden wurden im August 1943 bombengeschädigte Hamburger, vor allem Kinder und Frauen, in Nordschleswig aufgenommen.

Der Wohlfahrtdienst Nordschleswig und die NS-Frauenschaft hatten die Deutschen in Nordschleswig dazu aufgerufen, angesichts der über die Stadt Hamburg gekommenen Not, „Herzen und Häuser zu öffnen, um hilfsbedürftigen Frauen und Kindern Aufnahme zu gewähren“. Das gelang in dankenswerter Weise.

„Lensnack“ und „Laimun“ für Hamburger Mädchen

In Apenrade wurden die beiden Landhäuser „Lensnack“ und „Laimun“ für diesen Zweck gemietet und eingerichtet. In jedem der beiden Häuser standen zwei große Tagungsräume für Unterricht und Essen sowie Wohn- und Schlafräume zur Verfügung.

Im Haus „Lensnack“ wurden zwei Schulklassen aus Eimsbüttel und Wandsbek untergebracht, 70 Schülerinnen von 12 bis 13 Jahren unter anderem mit zwei Lehrerinnen. Das Haus „Laimun“ war mit 50 Schülerinnen einer Volks- und Mittelschulklasse aus Harburg im Alter von 13 bis 15 Jahren belegt. Neben Lehrerinnen und der Wirtschaftsleiterin stand im Haus „Laimun“ auch eine Krankenschwester zur Verfügung.

Knabenlager in Randershof und Bredebro

Außer den beiden Mädchenheimen in Apenrade wurden in Nordschleswig noch zwei Knabenlager eingerichtet. Im Strandhotel Randershof (Rønshoved) an der Flensburger Förde wurden drei Schulklassen mit insgesamt 81 Schülern aus Hamburg untergebracht. Auch im westlichen Nordschleswig wurde eine Lagerschule eingerichtet: Im „Alten Krug“ von Bredebro fand eine Hamburger Klasse mit 34 Knaben vorübergehend Unterschlupf. 

Die Aufnahme von Hamburger Flüchtlingen war aber nicht nur eine humanitäre Tat, sie wurde auch zu einer ernsten politischen (Streit-)Frage. 

Best und Møller einig, aber Veto aus Berlin

Der deutsche Reichsbevollmächtigte in Dänemark, Dr. Werner Best, berichtete im Telegramm Nr. 896 vom 2. August (13.30 Uhr) unter „Citissime“ („sehr eilig“) dem Reichsaußenministerium in Berlin, „dass der Führer der deutschen Volksgruppe (Dr. Jens Møller) mir nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg mitgeteilt hat, dass die Volksgruppe den Wunsch habe, bombengeschädigte Familien bis zur Zahl von 1.000 bis 1.500 Köpfen vorläufig aufzunehmen“. 

„Ich habe daraufhin bei der dänischen Regierung vorsorglich sichergestellt, dass auf Antrag das dänische Konsulat in Flensburg die für die Einreise nach Dänemark erforderlichen Visen ausstellen sollte, auch wenn die Antragsteller statt ordnungsgemäßer Pässe nur behelfsmäßige Ausweise vorlegen könnten“, so Best. Er ließ die Regelung über das deutsche Konsulat in Apenrade der Polizeidirektion in Flensburg mitteilen, damit wegen der Dringlichkeit die erforderlichen behelfsmäßigen Ausweise ausgestellt werden könnten.

Doch damit waren die Probleme keineswegs gelöst, denn, wie Best erfuhr, hatten sich sowohl der Reichsaußenminister als auch der Reichsführer-SS gegen die Ausreise bombengeschädigter Familien nach Dänemark ausgesprochen.

Best „warnt“ Berlin auch vor Gerüchten

Best im Telegramm: „Ich bitte, in dieser Angelegenheit unverzüglich eine authentische Entscheidung herbeizuführen, damit einerseits die Betroffenen, die auf eine Unterbringung bei der deutschen Volksgruppe rechten, nicht unter der ungeklärten Lage zu leiden haben und damit ich andererseits der deutschen Volksgruppe in Nordschleswig einen klaren Bescheid geben kann. Ich mache darauf aufmerksam, dass ein Verbot der Ausreise als große Härte insbesondere beim Vorliegen verwandtschaftlicher oder freundschaftlicher Beziehungen empfunden würde, und dass es darüber Anlass zu Vermutungen und Gerüchten geben würde, die aus politischen Gründen nicht erwünscht wären.“ 

Best konnte sich mit diesen Argumenten aber in Berlin nicht durchsetzen. Fest steht zwar, dass danach Hamburger Flüchtlinge in Nordschleswig aufgenommen wurden, zugleich wurde jedoch von Reichsaußenminister Ribbentrop und von Reichsführer-SS Heinrich Himmler ein „Veto“ eingelegt.

Sie sahen in dieser nordschleswigschen Hilfsaktion eine Benachteiligung anderer Bombengeschädigter, und Berlin vertrat die Ansicht, dass dadurch unter Umständen sogar die Moral und der Widerstandswille der Hamburger Bevölkerung gegen die Alliierten untergraben werden würde. 

Volksgruppenführung: Keine weiteren Hamburger Volksgenossen

Dass die Aktion gestoppt wurde, geht aus einer Bekanntmachung der Volksgruppenführung hervor, die am 7. August, also nur wenige Tage nach dem Best-Telegramm an Berlin, in der „Nordschleswigschen Zeitung“ („NZ“) veröffentlicht wurde. Darin wurde „für die große Hilfsbereitschaft herzlich gedankt, spontan 5.000 Plätze für die Unterbringung von Bombengeschädigten zur Verfügung zu stellen“. Zugleich wurde jedoch mitgeteilt, „dass mit der Ankunft weiterer aus Hamburg evakuierter Volksgenossen nicht zu rechnen ist“. 

Ob die Zahl „1.000 bis 1.500 Köpfe“ erreicht oder die von Jens Møller angebotenen „5.000 Plätze“ in Anspruch genommen wurden, ist konkret nicht bekannt. Aber die „Nordschleswigsche Zeitung“ berichtete eine Woche nach dem Best-Telegramm, am 9. August, unter der Überschrift „Hamburger Kinder in Nordschleswig“ über die Hilfsaktion der deutschen Volksgruppe und darüber, „dass sich Kinder und Lehrkräfte in Nordschleswig sehr wohlfühlen“. 

Die „NZ“ bezeichnete die Hilfsaktion als „Liebeswerk“, dem 1945 mit der Aufnahme einer großen Zahl deutscher Flüchtlinge in Nordschleswig noch ein weiteres hinzugefügt wurde.

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