Deutsche Minderheit

Apenrades Bürgermeister: „Minderheit fehlt es an Fingerspitzengefühl“

Apenrades Bürgermeister: „Minderheit fehlt es an Fingerspitzengefühl“

Andresen: „Minderheit fehlt Fingerspitzengefühl“

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Thomas Andresen mit Siegfried Matlok beim Fernseh-Interview, das im Apenrader Haus der Medien geführt wurde Foto: DK4

Fernseh-Interview auf DK4 mit dem Venstre-Politiker Thomas Andresen: Historischer Ballast erst 2045 überwunden.

Der Bürgermeister von Apenrade, Thomas Andresen, hat in einem Fernseh-Interview auf DK4 die Arbeit der deutschen Minderheit gewürdigt, jedoch ihre Haltung in der Diskussion um zweisprachige Ortsschilder im Jubiläumsjahr (Genforeningen) als Mangel an Fingerspitzengefühl bedauert.

Man habe leider den falschen Zeitpunkt gewählt, das müsse später kommen – auch angesichts der dunklen Perioden in der Minderheiten-Geschichte, sagt der Bürgermeister, der darauf verweist, dass viele dänische Familien noch heute mit dieser Erinnerung leben. „Zahlreiche Dänen haben sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg ihr Leben geopfert, damit dieser Boden heute dänisch ist. In irgendeiner Weise empfinde ich es als Mangel an Respekt vor diesen Menschen“, so Andresen.

Frage von Siegfried Matlok an Thomas Andresen: Warum haben die vier Bürgermeister nicht auf einen Brief des BDN-Vorsitzenden reagiert, der – nach meinen Informationen – doch vor 2020 in dieser Frage um ein Gespräch mit den Bürgermeistern gebeten hatte? Dann hätte man doch diese Polarisierung, ja, Spaltung in der Bevölkerung vielleicht verhindern können?

Thomas Andresen: „Es gibt einen deutschen Begriff – Fingerspitzengefühl. Die deutsche Minderheit hätte meiner Meinung nach so viel Fingerspitzengefühl haben müssen, diese Frage nicht ausgerechnet 2020 zu diskutieren. Nach meiner Ansicht schiebt die deutsche Minderheit den Europarat nur vor sich her, obwohl es sich doch um ihr eigenes Anliegen handelt. Und dann hätte sie sich ja 100-prozentig um eine Antwort bemühen können, wenn es ihr so wichtig gewesen wäre."

Spitze der Bedarfspyramide

„Ich meine übrigens, dass wir auch eine Antwort gegeben haben, aber die deutsche Minderheit versucht, die Kritik des Europarates wie ein Gesetz überzubewerten, doch auch nach meiner Auffassung gibt es keinen Punkt, den Dänemark befolgen muss. Und ehrlich gesagt: Wenn deutsche Ortsschilder inzwischen in der deutschen Minderheit eine so große Rolle spielen, dann haben wir wohl die Spitze der Bedarfspyramide  erreicht. Dann muss es der Minderheit offenbar so gut gehen, dass man im Großen und Ganzen nichts anderes mehr an Problemen hat.“

Nach den Worten des seit 2014 amtierenden Venstre-Bürgermeisters sind durch diese Diskussion „viele unglückliche Dinge wieder an die Oberfläche gekommen, mit denen ich und andere uns im täglichen Leben gar nicht mehr befasst haben“.  Als Beispiel nennt er Briefe von dänischen Sommerhausbesitzern, die ihm mitgeteilt haben, dass sie nun eine Grundbuch-Eintragung vorgenommen haben, wonach ihr Sommerhaus nie in deutsche Hände fallen darf. „So etwas hätte ich mir gerne erspart.“  

Auf die Frage nach einem eventuellen Haderslebener Alleingang antwortet Thomas Andresen: „Wenn es grundlegend überhaupt einen Wert haben soll, dann sollten alle vier nordschleswigschen Kommunen diese zweisprachigen Ortsschilder aufstellen. Nach meinem Empfinden ist es aber eigentlich keine Frage für die Bürgermeister, sondern eine Frage, die in einem anderen kulturellen Zusammenhang gesehen werden  muss.“ Vielleicht solle man diese Frage etwas nuancierter beurteilen – auch ausgehend von der Konvention des Europarates, die ja zweisprachige Ortsschilder dort empfiehlt, wo es einen starken Minderheiten-Anteil in der Bevölkerung gibt. 

Beispiel Ravsted/Rapstedt

„Mich beschäftigt nicht so sehr die Frage, ob Haderslev auch Hadersleben heißen soll. Wenn man zum Beispiel in Ravsted/Rapstedt jene Perspektiven an den Tag legen möchte wie in Flensburg oder Glücksburg, wenn also eine Ortsgemeinschaft dies wünscht, dann  sollte man einen Antrag stellen und dies im zuständigen Ausschuss für Technik und Milieu beraten. Im Übrigen gibt es 350 Kommunen südlich der Grenze, die keine zweisprachigen Ortsschilder haben, und hier verlangt man also, dass die vier nordschleswigschen Städte dies gleichzeitig einführen.“

Darauf hingewiesen, dass er eine Einführung zweisprachiger Ortsschilder erst 2045, also 100 Jahre nach Kriegsende in Dänemark, vorgeschlagen hat, sagt Andresen, er glaube, dass erst dann der historische Ballast überwunden ist. Die jetzige Diskussion habe nach seinen Worten leider gezeigt, „dass das Pflaster über der alten Wunde abgerissen worden ist“. Dann kommen leider immer wieder Stereotype an die Oberfläche, betont der Bürgermeister, der an folgende historische Tatsache erinnert.

„Wenn der Krieg 1945 nicht so geendet hätte, wie es der Fall war, dann hätten wir 1920 als Jahr der Wiedervereinigung doch gar nicht feiern können. Hätte Adolf Hitler damals gewonnen, dann würden wir heute nicht in Dänemark leben. Und deshalb stelle ich fest: Man kann doch nicht 100 Jahre als Minderheit feiern, wenn man als deutsche Minderheit in den 40er Jahren für etwas ganz anderes gearbeitet hat.“

Im Interview in der Sendereihe „Dansk-tysk med Matlok“ geht es auch um seinen deutsch-dänischen Familienhintergrund, um seine Aufgabe als Vorsitzender des Komitees für die gesamten Festlichkeiten 2020 und um das „Momentum“ nach den Corona-Absagen in diesem Jahr sowie um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und um die Frage nach der Zukunft einer möglichen schleswigschen Region.

Das gesamte Interview sendet DK4 am 2. Juli, 21:45 Uhr. Das Interview in voller Länge ist auch hier zu sehen:

In der DK4-Senderreihe 2020 wurden bisher Interviews mit dem Historiker Hans Schultz Hansen sowie mit den beiden Minderheiten-Vorsitzenden Gitte Hougaard-Werner und Hinrich Jürgensen gezeigt.

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