Deutsch-dänische Geschichte

1920: Dänische Kronen für Bahnen und Straßen Nordschleswigs

1920: Dänenkronen für Bahnen und Straßen Nordschleswigs

1920: Dänenkronen für Bahnen und Straßen Nordschleswigs

Tondern/Tønder
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Der Bau der neuen Brücke über den Alsensund in Sonderburg war eine der bedeutendsten Investitionen des dänischen Staates in Nordschleswig nach der Abstimmung 1920. Heute dient das Bauwerk nur noch dem Straßenverkehr. Foto: Niels Jensen

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Im neuen Buch „Hjælpen til Sønderjylland“ beleuchtet Verkehrsjournalist und Autor von Bahn-Fachbüchern, Niels Jensen, die staatlichen und privaten Investitionen nach der Vereinigung des nördlichen Teils Schleswig mit dem Königreich im Jahre 1920. Am 17. Juni 1920 gab es ein Abschiedspfeifkonzert deutscher Loks in Tondern: „Geisterbahn“ nach Lügumkloster als Geschenk.

Anlässlich der Feierlichkeiten zu den 100. Jahrestagen der Volksabstimmungen und der Neuziehung der deutsch-dänischen Grenze 1920 sind zahlreiche Bücher vor allem in Dänemark erschienen, die das Geschehen im heutigen deutsch-dänischen Grenzland nach dem Ersten Weltkrieg beleuchten.

Dänische Investitionen als Willkommensgruß

Meist geht es in den Jubiläumswerken um nationale Gesinnungen, den Verlauf der in der Gegenwart auch als „Teilung Schleswigs“ gewürdigten Vorgänge als Ergebnis der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg und des Versailler Friedensvertrags von 1919. Kürzlich ist unter dem Titel „Hjælpen til Sønderjylland“ (Hilfe für Nordschleswig) ein Buch von Niels Jensen erschienen, dem langjährigen Verkehrsfachmann in der Redaktion des Wirtschaftsblattes „Børsen“ und Autor vieler Fachbücher zum Thema Eisenbahnen in Dänemark.

Die Titelseite des neuen Buches zum Thema Grenzziehung 1920 Foto: Niels Jensen

Thema in dem reich illustrierten Buch mit 240 Seiten sind die umfangreichen Investitionen vor allem des dänischen Staates in Eisenbahnen, Straßen, Elektrizitätsversorgung und andere Infrastruktur im nördlichen Teil Schleswigs, das im Juni 1920 Teil des Königreiches Dänemark geworden war. Dabei liefert der Autor detaillierte Fakten, wie groß der Aufwand Dänemarks war, den neuen Landesteil mit den Investitionen willkommen zu heißen.

Fehlinvestition „Geisterbahn“ 

Im Mittepunkt steht der Übergang von der deutschen Bahn zum dänischen Betrieb in Tondern und anderen Orten. Beleuchtet werden auch „Belohnungen“ für die Treue zu Dänemark, wie der Bau der neuen Bahnverbindung Lügumkloster-Rothenkrug (Løgumkloster-Rødekro). Diese Ost-West-Strecke, die sich an die 1888 eröffnete Bahn Lügumkloster-Bredebro anschloss, wurde 1927 eröffnet und bereits 1936  stillgelegt.

Die neue Bahn Lügumkloster-Rothenkrug, die anstelle der schmalspurigen Kleinbahn Lügumkloster-Apenrade als Verlängerung der Stichbahn Bredebro-Lügumkloster gebaut worden war, erlebte eine Betriebsdauer von gerade einmal zehn Jahren. Eine von der dänischen Kommission 1921 anvisierte Verlängerung Bredebro-Ballum kam nicht zustande. Auf dem Foto ist die neue Station Bedstedt samt „Schienenauto“ abgebildet. Foto: Niels Jensen

Es gab für diese „Geisterbahn“ im dünn besiedelten Gebiet zu wenige Passagiere und wenig Frachtaufkommen. Auch war sie technisch nicht geeignet, dem aufkommenden Autoverkehr Paroli bieten zu können. Erläutert wird auch, dass es in vielen Bereichen als Folge des Krieges Verfall und Nachholbedarf in Sachen Infrastruktur gab.  Besonders ausführlich widmet sich Jensen dabei dem Eisenbahnwesen in Nordschleswig, das als Abstimmungszone 1 am 10. Februar 1920 mit fast 75 Prozent dänischen Stimmen für eine Angliederung des seit 1864 unter preußischer und deutscher Herrschaft stehenden Gebietes an Dänemark votiert hatte.

Die mittelschleswigsche Abstimmungszone 2 wies bei der Abstimmung am 14. März 1920 nur einen dänischen Stimmenanteil von knapp 20 Prozent auf. Die gut 80 Prozent deutsche Stimmen sicherten den Verbleib des Gebietes bei Deutschland, das sich nach dem Sturz des Kaisers kurz vor Kriegsende in eine Republik verwandelt hatte.

1920 „Verschlissenes“ Nordschleswig

Im Klappentext heißt es, Dänemark habe 1920 einen „verschlissenen“ und menschlich und materiell „misshandelten“ Landesteil von Preußen übernommen. Bis 1940 sei es gelungen, Nordschleswig, was die Infrastruktur angeht, auf das Niveau des übrigen Dänemarks zu bringen. Noch heute profitiere der Landesteil, was Bahnen, Straßen, Häfen und Brücken angehe, von den Investitionen in Höhe von vielen Millionen dänischen Kronen nach 1920, die in heutiger Währung umgerechnet Milliardensummen ergeben würden.

Das ruft allerdings auch Debatten in der Gegenwart in Erinnerung. Seit Jahrzehnten ist es der dänischen Regierung nicht gelungen, den eingleisigen Engpass der inzwischen viel befahrenen Hauptstrecke Hamburg-Fredericia zwischen Pattburg (Padborg) und Tingleff (Tinglev) mit einem zweiten Gleis, wie 1920 vorhanden, auszustatten.   

Von Aarösund (Årøsund) wurde nach 1920 eine neue Fährverbindung über den Kleinen Belt nach Assens auf der Insel Fünen (Fyn) eingerichtet. Mit ihr wurden frühzeitig auch Autos transportiert sowie landwirtschaftliche Produkte wie Zuckerrüben, die aus Nordschleswig in die Zuckerfabrik Assens geliefert wurden. Foto: Niels Jensen

Auch die Entwässerung der Tonderner Marsch ab Ende der 1920er-Jahre wird als ein Willkommensgeschenk des Königreiches beschrieben.

Das Buch erinnert an viele interessante Kapitel der „Wiedervereinigung“ allerdings nur eines Teils des einstigen Herzogtums Schleswig mit Dänemark.

Grenzziehung auch mit negativen Folgen

Dabei wird nur hin und wieder auch erwähnt, dass die neue Grenze dem seit 1920 dänischen Nordschleswig ebenfalls wirtschaftliche Belastungen eingebracht hat, weil vor allem die Landwirtschaft von traditionellen Absatzgebieten in Deutschland abgeschnitten wurde. Das Buch enthält viele persönliche Schilderungen dänischer Akteure insbesondere bei der Übernahme des Eisenbahnbetriebs. Dabei fehlen allerdings weitgehend Hinweise zu den Konsequenzen des „Systemwechsels“ für einen Großteil des bisherigen deutschen Personals. Es wurde nämlich fast durchweg von dänischen Bahnbeamten aus „Reichsdänemark“ ersetzt.

Die überwiegend aus Nordschleswig scheidenden deutschen Eisenbahner, die sich am 16. Juni 1920 bei der Übergabe des Betriebs vor dem erst 1901 erbauten Sonderburger Bahnhofsgebäude gemeinsam mit ihren dänischen Nachfolgern fotografieren ließen, wurden von den deutschen Reichseisenbahnen übernommen. Auch viele gebürtige Nordschleswiger wurden von den Dänischen Staatsbahnen (DSB) nicht übernommen und arbeiteten anschließend teilweise fern der Heimat. Foto: Niels Jensen

Auch in Nordschleswig beheimatete Eisenbahner mussten mit ihren Familien nach Deutschland ziehen. Nur wenige deutschgesinnte Bahner konnten bei den Dänischen Staatsbahnen (DSB) unterkommen. Erwähnt werden sollte, dass die Bahninfrastruktur in Nordschleswig teilweise relativ neu war. So waren die Bahnen Tingleff-Törsbüll (Tørsbøl) und Pattburg-Törsbüll-Sonderburg (Sønderborg) erst 1901 eröffnet worden. Nicht alles dürfte trotz der Kriegsjahre in so kurzer Zeit marode gewesen sein. 

Strecken vor 1914 ausgebaut

Aus militärstrategischen Gründen waren die Nord-Süd-Strecken Niebüll-Tondern und Flensburg-Tingleff erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg ausgebaut und mit einem zweiten Gleis ausgestattet worden.

Am 17. Juni 1920 verließen die bisher in Tondern stationierten deutschen Lokomotiven Tondern. Sie waren geschmückt wie die abgebildete Maschine der Baureihe P4. Mit einem Pfeifkonzert rollten die Fahrzeuge über die neue Grenze davon. Als Baureihe 36 fuhren die Loks noch bis in die 1930er-Jahre mit dem Betriebswerk Flensburg als Standort. Dänemark übernahm kein rollendes Material, bezahlte aber Deutschland für die Überlassung des Schienennetzes in Nordschleswig samt technischen Anlagen und Gebäuden. Foto: Niels Jensen

Bahnexperte Niels Jensen erwähnt, dass auf der 1867 eröffneten Bahn Tingleff-Tondern noch heute die im Jahre 1909 montierten „preußischen“ Schienen liegen. Auf der 1971 im Passagierverkehr und 2002 im Güterverkehr außer Betrieb genommenen Strecke hat das „deutsche“ Erbe also noch lange durchgehalten.

Mit den Kapiteln unter anderem über Straßen-, Brücken-, Hafen- und Elektrizitätswerksbau nach 1920  dürfte das Buch nicht nur an Technikgeschichte interessierten Menschen Freude bereiten.

Kieler „Spitzmäuse“ aus einstigen Marinewerften

So stellt der Autor die in den Kieler Deutschen Werken in den 1920er-Jahren für Nordschleswig gebauten Triebwagen mit Verbrennungsmotor vor, die auf der Haderslebener Amtsbahn als Spitzmäuse bezeichnet wurden. Wegen des Schiffbauverbotes in den früheren Werften der deutschen Kriegsmarine in Kiel laut Friedensvertrag von 1919 hatte man sich dort auf den Bau ziviler Güter wie die Bahntriebwagen umgestellt.

Als „Spitzmäuse“ bezeichneten die Reisenden der Haderslebener Kleinbahn die in den 1920er-Jahren in den Deutschen Werken gefertigten Triebwagen. Das Kieler Unternehmen war im Bereich der Werften der Kaiserlichen Kriegsmarine in Kiel entstanden, die laut Friedensvertrag keine Schiffe mehr bauen durften und sich auf zivile Produkte umstellten. Dank der starken Krone konnten im inflationsgeplagten Deutschland günstig Fahrzeuge eingekauft werden, trotz der damaligen deutsch-dänischen Spannungen. Foto: Niels Jensen

Die Karosserie der „Spitzmäuse“ wies auch Ähnlichkeit mit einem Schiffbug auf.

Der Autor liefert der Leserschaft in einem gut lesbaren Stil, beispielsweise Wiedergaben von alten Fahrplänen, Gelegenheit, sich in Reiseerlebnisse vor 100 Jahren zurückzuversetzen. Dabei dürfte aber auch deutlich werden, dass mit der Grenzziehung eben auch Bahnverbindungen in den deutschen Teil Schleswigs gekappt, oder wie bei den plombierten Transitzügen Hoyerschleuse-Süderlügum, unattraktiver als im ungeteilten Schleswig wurden.

Kirchturmpolitik bei Investitionsentscheidungen

Jensen lässt durchblicken, dass die unter der Leitung des Bruders des berühmten Tonderner Amtmanns Otto Didrik Schack, Erik Hans Graf Schack, eingesetzte „Sønderjyske Jernbane-Kommission“ mit ihren Vorgaben wohl teilweise Prinzipien der Kirchturmpolitik folgen musste. Lokale Interessengruppen sind aktiv gewesen.

Diese Karte aus dem Buch Niels Jensens zeigt, wie viele Bahnprojekte nach 1920 im dänischen Nordschleswig bei der Eisenbahnkommission ausgebrütet wurden. Foto: Niels Jensen

So wurde nicht nur die „Geisterbahn“ nach Lügumkloster gebaut. Es wurden auch große Summen in die Alsener Kleinbahn gesteckt, bevor nach dem Bau der neuen Alsensundbrücke 1930 noch ein größerer Wurf mit der Vollspurbahn Sonderburg-Mummark (Mommark) gelang. Sie wurde allerdings 1962 geschlossen, weil sie als „Straßenbahn“ mitten durch Sonderburg fahren musste.

Der Fährhafen Mummark war nach der Eröffnung der neuen Alsenbrücke in Sonderburg auch an das Schienennetz der DSB angeschlossen worden. 1962 wurde die Strecke Sonderburg-Mummark geschlossen, seitdem fehlt der Insel Alsen eine attraktive öffentliche Verkehrsverbindung. Foto: Niels Jensen

Bei einer günstigeren Trassierung hätte die Bahn heute in Zeiten des Klimaschutzes sicher eine Berechtigung als Teil einer Alsen-Fünen-Verbindung.

Prototyp für neue Brücken

Interessant sind die Ausführungen zum Bau der Alsensundbrücke. Sie war nämlich für die dänische Bauwirtschaft der Prototyp für viele weitere „moderne“ Brücken der 1930er-Jahre:  über den Kleinen Belt, über den Storstrøm und über den Limfjord.  

Eisenbahner der deutschen Republik

Anzumerken ist, dass der Autor schreibt, die DSB hätten den Betrieb der Bahn in Nordschleswig von der „Königlich Preußischen Eisenbahnverwaltung“ (KPEV) übernommen. Die KPEV mit ihren preußischen Bediensteten war jedoch mit dem Kaiserreich untergegangen. Die neue Weimarer Republik hatte die Länderbahnen in Deutschland in Reichsbesitz überführt. Seit 1. April 1920 gab es die Reichseisenbahnen, einige Jahre später die Deutsche Reichsbahngesellschaft.

Die Eisenbahner hatten im nachrevolutionären Deutschland, das bereits 1918 nach dem Waffenstillstand 5.000 Lokomotiven und 150.000 Waggons an die Siegermächte abliefern musste, mit geringen Löhnen, Versorgungsengpässen sowie zeitweisen Stilllegungen des Betriebs aufgrund von Kohlenmangel zu kämpfen.

Bahnerstreik stoppte Kapp-Putsch

Während der Abstimmung in Mittelschleswig am 14. März 1920 halfen die Bahner durch Beteiligung an einem Generalstreik zur Abwehr des Kapp-Putsches, einen ersten Angriff auf die junge deutsche Republik abzuwehren. Interessant ist, dass Jensen in seinem Buch einen aus Deutschland geflohenen Kapp-Putschisten erwähnt, der in Apenrade (Aabenraa) Unterschlupf gefunden hatte.

Das Buch ist bei „Frydenlund“ erschienen, es kostet 300 Kronen und ist im Buchhandel erhältlich.   

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