Leitartikel

„Zusätzliche PS für Venstre-Traktor “

Zusätzliche PS für Venstre-Traktor

Zusätzliche PS für Venstre-Traktor

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Kopenhagen/Nordschleswig
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Noch nicht gewählt, aber Troels Lund Poulsen wird neuer Venstre-Vorsitzender. Der frühere Chefredakteur Siegfried Matlok wirft einen Blick auf den Venstre-Traktor und hofft, dass Stephanie Lose künftig nicht als blinde Passagierin im Führerhaus sitzen wird.

Der kommende Venstre-Vorsitzende Troels Lund Poulsen –  aus dem Raume Vejle stammend und seit 2015 Freizeit-Landwirt im seeländischen Tølløse –  trägt nicht nur in bäuerlichen Kreisen folgenden Spitznamen: „Traktor-Troels“, weil er auf dem Hofe gerne auf seinem grünen amerikanischen „John Deere“-Traktor posiert.

Seit seiner heutigen Kandidatur wissen wir, dass es im Führerhaus künftig Platz für zwei gibt – neben ihm am Steuer auch mit-lenkend die bisherige Regionsvorsitzende Stephanie Lose. Beide haben jetzt ihr politisches Schicksal miteinander verknüpft.

Dass der Parteitag am 18. November in Herning Troels Lund als neuen Vorsitzenden wählen, ja sogar krönen, sowie Stephanie Lose gleichzeitig überzeugend in ihrem Amt als Stellvertreterin bestätigen wird, ist ebenso wenig überraschend wie der Rücktritt von Jakob Ellemann-Jensen, hinter dem sich trotz/wegen politischer Fehlentscheidungen dennoch eine menschliche Tragödie verbirgt.  

Interessant im Spiel um die Nachfolge war die Rolle des ja eigentlich zur parteipolitischen Neutralität verpflichteten Folketingspräsidenten Søren Gade, der als Venstre-Mann schon in der Wahlnacht die Richtung angab. Als über eine angesichts der katastrophalen Wahlniederlage kaum für möglich gehaltene Venstre-Beteiligung an einer von „Erzfeindin“ Mette Frederiksen geführten Regierung über die Mitte hinweg diskutiert wurde, gab Profi Gade nur kurz die Antwort: „Was kostet das Schwein?“ Mit anderen Worten, bürgerlich-liberale Politik sei nur eine Frage des Preises.

Und während noch die Pressekonferenz mit dem Rücktritt des tragischen Ellemann-Jensen lief, da sendete Gade – wahrlich kein technischer Betriebsunfall – bereits auf Facebook die nächste richtungsweisende Nachricht: jetzt sollten Troels Lund Poulsen und Stephanie Lose die Partei führen.

Nach seinem Willen in der genannten Reihenfolge, sodass sich – auch nach den inzwischen erfolgten Wortmeldungen anderer ehemaliger Venstre-Größen wie Anders Fogh und Claus Hjort Frederiksen – der bisherige Verteidigungsminister Lund Poulsen seiner Kandidatur sicher sein konnte. Dass er sich dabei nicht nur auf sich selbst stützt, sondern die offene Partnerschaft mit Lose anstrebt, ist allemal ein kluger Schachzug, auch wenn dies natürlich wohl nicht direkt als politische Gleichberechtigung verstanden werden soll.

Mit der Berufung zum Vize-Staatsminister und als Doppel-Minister für Verteidigung und Ökonomie hatte Lund Poulsen nach dem Ellemann-Rücktritt nicht nur nach außen hin einen großen Vorsprung. Die freundlichen Traktor-Bilder sollen ihn zwar „vermenschlichen“, jedoch möge sich niemand täuschen: hier sitzt ein Machtpolitiker am Steuer, der stets – falls im harten Tagesgeschäft notwendig auch brutal – Einfluss gesucht und ausgeübt hat, seit 2001 im Folketing und 2007 erstmalig Minister unter Anders Fogh Rasmussen.

Insgesamt sogar siebenmal Minister, also eine Art Venstres Wanderpokal. Kein Zweifel, dass er auch den zunächst zögernden Ellemann-Jensen dazu gedrängt/bewogen hat, doch in eine Regierung unter der ursprünglich in Venstre-Kreisen so verhassten Mette Frederiksen einzutreten. 

Im Klartext: er trägt Mit-Verantwortung für die in den eigenen Reihen so unglaublich umstrittene Kursänderung, die allerdings nach außen hin allein Ellemann-Jensen zur Last gelegt wurde. Lund Poulsen gilt als sphinxhafter, tüchtiger Handwerker. Man sollte aber nicht vergessen, dass eine so lange politische Karriere auch eigene Schatten wirft. 

Dass die frühere Staatsministerin Helle Thorning-Schmidt ihn jetzt praktisch als Lügner darstellt, weil er als Steuerminister Gerüchte über ihren angeblich homosexuellen britischen Ehemann Stephen Kinnock an die Presse durchsickern ließ, zeigt, dass der Weg des 47-jährigen Politikers nicht nur mit Rosen gesät ist.

Dass sein Profil als „Ticketverkäufer“ auch angesichts schwacher Stimmenzahlen im eigenen Wahlkreis als sehr bedenklich eingestuft wird, gehört mit zum Gesamtbild eines Politikers, der selbst – meistens unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit – bisher die Fäden hinter den Kulissen gezogen hat und der nun plötzlich im vollen Rampenlicht stehen wird, welches auch die Kehrseiten der Medaillen schonungslos beleuchtet. Der politische „Gentleman“ Jakob Ellemann scheiterte sogar in einer ihm lange Zeit durchaus sympathisch gestimmten Medienwelt; da stehen Troels Lund noch harte Bewährungsproben bevor.

Sowohl Lund Poulsen als auch Stephanie Lose wollen – alles andere wäre ja auch ein Eigentor – erst einmal den Parteitag abwarten, bevor sie ihre Führungsrollen inhaltlich definieren und die schwergewichtigen Posten unter sich und ihren Gefolgsleuten verteilen.

Die 40-jährige Regionsvorsitzende von „Syddanmark“  gehörte bereits während der Krankheitsperiode von Ellemann-Jensen vorübergehend als Ökonomie-Ministerin der Regierung an, und auf Christiansborg wurden ihr – auch aus dem oppositionellen Lager – durchaus Minister-Qualitäten bescheinigt.

Lose, die 2015 nach dem Wechsel von Carl Holst ins damalige Verteidigungsministerium den Regions-Vorsitz übernahm, ist von den Wählern in Süddänemark mit persönlichen Traum-Ergebnissen gewählt worden; 2021 sogar mit sagenhaften 147.485 Stimmen.

Sie hat keineswegs mit der Aussage kokettiert, dieses Amt in Vejle gerne weiter wahrzunehmen. Für Venstre geht es aber in Vejle nun darum, rasch eine geeignete Nachfolge für Süddänemark zu finden, der/die bisher so souveräne Führungsrolle der Partei bei den Wahlen 2025 erfolgreich behaupten kann.

Lose hat sich logischerweise gemeinsam mit Lund Poulsen für den Karrieresprung nach Kopenhagen entschieden; bitte dabei die politischen Ambitionen dieser Frau nicht unterschätzen. Als sie erstmalig als Spitzenkandidatin bei der Regionswahl kandidierte, da meldete sie – zur Verwunderung vieler Kommentare – gleich ihren Anspruch an, auch den landesweiten Vorsitz im wichtigen Landesverband der Regionen anzustreben. Das gelang zur Überraschung vieler, und nun wird die aus Lügumkloster stammende und in Esbjerg mit der Familie lebende Lose wieder als Ökonomie-Ministerin landespolitische Verantwortung übernehmen, während sie gleichzeitig offene Flanken in der Partei absichern muss. 

Ihr großer Vorteil besteht auch Partei-intern darin, dass sie Christiansborg-unbelastet ist und vor allem über ein Kapital verfügt, das Venstre im Kampf um das eigene Überleben so dringend wie nie zuvor benötigt: Vertrauen, das sie ohne große Armbewegungen, modische Extravaganzen und mediale Talkshows auf- und ausgebaut hat. Nüchterne, ergebnisorientierte, harte Arbeit ist ihr Stil – ebenso wie die Diplomatie der Zusammenarbeit, ohne die man auf Christiansborg kaum überlebt; weder politisch noch menschlich.   

Venstre hat in den vergangenen Jahren bittere Stunden mit bösen Rück- und Tiefschlägen erlebt; die Rücktritte und Parteigründungen von Lars Løkke und Inger Støjberg haben die Partei mitten ins Herz getroffen und innerhalb weniger Jahre eine Talfahrt Richtung Abgrund eingeleitet. Daraus folgert, auch die Ära des neuen politischen Führers kann ein jähes Ende finden, wenn es ihm nicht gelingt, die desaströse Lage der Partei in den kommenden Monaten zu stabilisieren und mittelfristig zu verbessern, zumal sich Venstres Spielraum in der SVM-Regierung – im Schatten von Mette Frederiksen und Lars Løkke stehend – durch den Neuanfang grundsätzlich noch nicht verbessert hat.  

Der „John Deere“-Traktor hat offiziell 450 PS. Stephanie Lose kann dem Venstre-Traktor zusätzliche Schubkraft liefern.  

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