Geburtstag

Anwalt mit 75: Er sieht den Menschen hinter dem Verbrecher

Anwalt mit 75: Er sieht den Menschen hinter dem Verbrecher

Anwalt mit 75: Er sieht den Menschen hinter dem Verbrecher

Sonderburg/Sønderborg
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Kjeld Christensen vor dem Sonderburger Gerichtsgebäude. Foto: Karin Riggelsen

Der Anwalt Kjeld Christensen hat im Domicilet am Ellegårdsvej seine eigene Kanzlei eingerichtet. Am Freitag wird er 75 Jahre alt.

Seit mittlerweile 50 Jahren hat Kjeld Christensen sich professionell mit dem dänischen Strafrecht befasst.

„Ich hatte noch nie Lust, aufzuhören. Ich kann nicht nur Golf spielen und Bücher lesen“, gibt der erfahrene und stets wohlgekleidete Rechtsanwalt lächelnd zu. Am Freitag, 19. Juni, wird er 75 Jahre alt – und am 1. April eröffnete er seine erste eigene Anwaltskanzlei im Domicilet am Ellegårdsvej.

„Ich bleib’ bei, bis ich keine Lust mehr habe“, so Kjeld Christensen, der mit seinem 70. Geburtstag eigentlich die Autorisation als Pflichtverteidiger verlor. Neue Regeln haben aber eine Verlängerung ermöglicht. Diese weiteren zehn Jahre hat Kjeld Christensen sofort beantragt. Seit Februar gehört er wieder zu den Pflichtverteidigern in Sonderburg.  

Zuerst Staatsanwalt und Richter

Für das Geburtstagskind begann die Karriere aber am entgegengesetzten Ende. Der junge Mann Kjeld aus gutem Hause in Hasseris in Nordjütland wurde erst Polizeibevollmächtiger, anschließend Staatsanwalt in Viborg. Dann ging es für ihn und seine Familie Richtung Nordschleswig. Von 1982 bis 1992 war er stellvertretender Staatsanwalt in Sonderburg, bevor er Richter im Westlichen Landesgericht wurde.

Nach einem Jahr wechselte er jedoch das Lager: Er begann als Anwalt und Partner in der Kanzlei „Sønderborg Advokaterne“.

Die Leute hier sind irgendwie bewusster, und sehr aufgeschlossen. Wir haben hier schnell Freunde gefunden. Für einige ist Sonderburg weit ab, aber Hamburg liegt hier ja nicht weit weg.

Kjeld Christensen, Rechtsanwalt

„Hätte ich als Richter weitermachen sollen, dann hätten wir umziehen müssen. Ich war 46 Jahre alt und mir gefiel die schöne Gegend Sonderburgs. Das wollten wir nicht. Die Leute hier sind irgendwie bewusster, und sehr aufgeschlossen. Wir haben hier schnell Freunde gefunden. Für einige ist Sonderburg weit ab, aber Hamburg liegt hier ja nicht weit weg“, schwärmt Kjeld Christensen, dessen Frau damals an der Universität, an der Handelshochschule und in der Sprachschule unterrichtete. Auch die Kinder Louise und Niels wollten lieber in Sonderburg bleiben.

Mitmenschlichkeit ist wichtig

Für den Anwalt begann ein neues Dasein. Nun war er derjenige, der den Angeklagten immer zur Seite steht. Er liebt den Kontakt zu anderen Menschen, und einige seiner Klienten hat er über Jahre hinweg sehr gut kennengelernt. Einen Mann aus Ålborg zum Beispiel, der wegen zweifachen Mordes lebenslänglich erhielt, besucht Kjeld Christensen immer noch im Gefängnis, wenn er in der Gegend unterwegs ist. Das Mitmenschliche hat für ihn immer eine sehr wichtige Rolle gespielt.

Er hat in den vergangenen Jahrzehnten Tausenden von Klienten geholfen. Er verteidigte Unschuldige, Sexualverbrecher, Mörder, Schwindler und auch Lügner. „Ich bin eigentlich nicht so skeptisch und nehme die Sachen auch nicht mit nach Hause“, meint er cool lächelnd – und muss dann doch freien Herzens etwas zugeben: „Die Leute, die Tiere und Kinder quälen, die mag ich nicht.“

Einzimmer-Büro

Sein einstiges Dasein als Staatsanwalt kam ihm als Rechtsanwalt immer wieder zugute: „Ich kann selbst große Mengen von Akten ’scannen’, und hatte auch  schon immer ein gutes Verhältnis zur Polizei. Das kommunizieren liegt mir. Was passiert in einer Sache und was sollte noch erwähnt werden“, so der Jurist. Das „scannen“ ist eine besondere Art des Lesens, wo die Seiten quasi überflogen werden.

Sein Einzimmer-Büro am Ellegårdvej 36 hat er mit einigen persönlichen Sachen eingerichtet. Über den Tischen hängen PH-Lampen, an der Wand das Erbstück, ein alter holzgerahmter Spiegel. Im Raum steht ein Schreibtisch, ein weiterer Tisch und einige Designer-Stühle, und an der einen Wand hängen unter anderem vier Zeichnungen eines französischen Satirikers, der auf seine ganz eigene witzige Weise Szenen aus dem Gericht verewigte. 

Kjeld Christensen nun in seiner eigenen Kanzlei im Domicilet. Foto: Ilse Marie Jacobsen

Kjeld Christensen spielt nie den Richter vor seinen Klienten. „Ich sehe immer den Menschen hinter dem Verbrecher. Ich sage ihnen auch immer, dass sie nach einem Urteil weiter kommen. Die Rechnung wird beglichen, und dann geht’s weiter“, so der gute Rat von Kjeld Christensen. Er selbst hält sich übrigens mit Golf und vielen Büchern fit. Die Reisen der Familie führen oft nach Italien, Portugal und Gran Canaria. Der Anwalt sitzt außerdem im Gemeinderat in Hörup, wo die Familie Christensen auch seit vielen Jahren wohnt.

Frau ebenfalls noch aktiv

Seine Frau Sysse hat  ihren Kjeld bei seinem Sprung in die Selbständigkeit voll unterstützt. Sie arbeitet nicht mehr in einer Schule, verdient aber trotzdem ihr eigenes Geld. Sie ist Übersetzerin für Spielfilme bei Viasat. „Sysse hat mich immer unterstützt. Einige unserer Freunde verstehen mich nicht. Aber ich hab auch einen anderen Bekannten, der ebenfalls keine Lust auf ein Rentnerdasein hat“, so der Anwalt. Sein heute 79-jähriger Bruder ging übrigens auch erst im vergangenen Jahr in Rente.

Zur Familie der Christensens gehörte übrigens auch schon immer ein Hund. Im Augenblick darf der Anwalt mit dem Cairn Terrier Freddie Gassi gehen.

Am Freitag wird der anstehende Geburtstag übrigens mit den Kindern, Enkeln und Freunden gefeiert. Ein größeres Fest wird es zu einem späteren Zeitpunkt geben.

 

 

 

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