Kinder und Jugendliche
Nach Selbstmord: Politiker holt aus gegen Partei und Presse
Nach Selbstmord: Politiker holt aus gegen Partei und Presse
Nach Selbstmord: Politiker holt aus gegen Partei und Presse
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Mit einer Verbalattacke reagierte der sozialdemokratische Politiker Bo Rasmussen auf der jüngsten Sitzung des Kommunalparlaments auf kritische Fragen der Einheitsliste im Kielwasser des Selbstmords eines Jugendlichen. „Es war der reinste Hohn! Ich war schockiert und musste kurz hinausgehen“, gesteht Helene Appel von „Enhedslisten" am Tag danach.
Die Sitzung des Kommunalrats am Dienstagabend begann mit einer Überraschung. Mathias Christiansen von der Haderslebener Einheitsliste hatte nach dem Selbstmord eines 17-Jährigen von seinem Bürgerrecht Gebrauch gemacht und kritische Fragen zu Verfahrensabläufen in der Familienabteilung der Kommune gestellt.
Diese wiederum hatte auf warnende Hinweise auf den Gemütszustand des jungen Mannes nicht mit entsprechender Hilfestellung reagiert. Dabei hatten eine Lehrerin des jungen Mannes, aber auch Fachleute aus der Psychiatrie wiederholt und seit Langem darauf aufmerksam gemacht, dass der 17-jährige Syrer, der seit gut einem Jahr in Hadersleben lebte, akut selbstmordgefährdet ist.
Einheitsliste: Was können wir daraus lernen?
„Was können wir aus diesem tragischen Fall lernen? Was können wir tun, damit so etwas nie wieder passiert?“, fragte Mathias Christiansen, Mitglied der Partei „Enhedslisten“ in Hadersleben, am Dienstagabend im Ratssaal.
Die Vorgeschichte: Hintergrund ist die Berichterstattung der Tageszeitung „JydskeVestkysten“. Diese hatte in Zusammenarbeit mit der Mutter des jungen Mannes anhand von dessen 476 Seiten umfassenden Journal akribisch das Versagen der kommunalen Familienabteilung dokumentiert.
Vorsitzende steht Rede und Antwort
Eine sichtlich betroffene Lene Bitsch Bierbaum (Venstre), Vorsitzende des zuständigen Sozialausschusses, stand Rede und Antwort: „Natürlich gibt uns ein solch tragischer Fall Anlass zur Reflexion, um zu verhindern, dass sich das wiederholt.“
Die Verwaltung habe bereits daraus gelernt: Kommunale Verfahrensabläufe werden zurzeit unter die Lupe genommen. Lene Bitsch Bierbaum konnte sich aus Datenschutzgründen nicht zu dem konkreten Fall äußern. So viel aber steht nach dem tragischen Tod des Jugendlichen fest: In Zukunft werden in komplizierten Fällen Expertinnen und Experten mit Kenntnissen über familiäre Beziehungen in nicht ethnischen dänischen Familien hinzugezogen, so die Politikerin.
Den Finger auf die Wunde
Die kritischen Fragen der Haderslebener Einheitsliste pressten den Finger auf eine seit Jahren klaffende Wunde in der Kommunalverwaltung. Das war offensichtlich derart schmerzhaft, dass der sozialdemokratische Politiker Bo Morthorst Rasmussen das Wort ergriff und zu einer Verbalattacke gegen die Tageszeitung und die Einheitsliste ausholte: „Damit seid ihr zu weit, weit, weit, weit gegangen“, empörte sich der Sozialdemokrat, indem er mit dem Finger auf jedes der Ratsmitglieder wies und dabei das Wort „weit“ circa 30-mal wiederholte.
Schock und Unverständnis
Helene Hellesøe Appel, die die Einheitsliste im Kommunalparlament repräsentiert, reagierte geschockt und mit Unverständnis: „Ich musste den Saal kurz verlassen, um vor der Tür tief Luft zu holen. Was will uns Bo damit sagen? Ich ahne es nicht! Ich weiß nur, dass er mit seinen Worten nicht nur die Presse, sondern auch unsere Partei verhöhnt. Wenn etwas im Argen liegt, dann ist es unsere Pflicht, kritische Fragen zu stellen. Und genau das werden wir auch in Zukunft tun!“
„Es geht um unsere Kinder!“
Fragesteller Mathias Christiansen reagierte ebenfalls überrascht – und angesichts der schweren Vorwürfe des Politikers beherrscht.
Zunächst dankte er der Vorsitzenden für ihre Antworten. Doch als er die Verbalattacke des Sozialdemokraten konterte, sah man Christiansen an, dass er um seine Beherrschung kämpfen musste.
Deckel drauf geht nicht
„Es geht um unsere Kinder und Jugendlichen – darum, dass wir darauf vertrauen können, dass auf sie aufgepasst wird“, sagte er eindringlich: „Das ist keine Grenzüberschreitung. Wir lernen nichts aus diesem Fall, wenn wir einfach den Deckel darauf tun. Hier geht es um eine Mutter, die will, dass wir daraus lernen. Sonst hätte sie keine Einsicht in die 476-seitige Akte ihres Sohnes gewährt. Das hat sie – verdammt noch mal – nicht getan, damit wir tun, als sei nichts geschehen. Sie hat es getan, damit wir daraus lernen!“
Im folgenden Video kann man den überraschenden politischen Schlagabtausch verfolgen.