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Von Flucht und Fahrrad: Zeitreise mit einem Überlebenden
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Das Publikum spürte am Montagabend den Flügelschlag der Geschichte, als Jörg Baden, Zeitzeuge und ehemaliges Flüchtlingskind, im städtischen Filmpalast von seinen Erlebnissen erzählte. Der heute 84-Jährige war einer von 200.000 deutschen Kriegsflüchtlingen in Dänemark. „Es war eine faszinierende Begegnung“, schwärmt Archivarin Sidsel von Qualen.
Volles Haus im Haderslebener „Kosmorama“: Am Montagabend hatten der Museumsverband „Historie Haderslev“ und der Archiv- und Museumsverein zu einem ganz besonderen Abend in das städtische Kino eingeladen. Dort stellten sie den Dokumentarfilm „Hitlers deutsche Flüchtlinge in Dänemark“ von Regisseur Jacob Andersen vor.
Flucht vor den Russen nach Hadersleben
Der „Star“ des Abends aber sei zweifellos Jörg Baden gewesen. Der heute 84-Jährige war 1945 mit seiner Familie vor der Roten Armee aus Rostock-Warnemünde nach Dänemark geflüchtet. „Sein Vater war Ingenieur beim Flugzeugbauer Heinkel und musste daher Repressalien durch die Russen befürchten“, erzählt Mitveranstalterin Sidsel von Qualen, Archivarin bei „Historie Haderslev“.
Schon von Berufs wegen ist sie in der Nachkriegsgeschichte bewandert, die etwa 200.000 deutsche Kriegsflüchtlinge nach Dänemark brachte. Dennoch ist sie fasziniert von der Begegnung mit einem Zeitzeugen, von denen es zusehends weniger gibt.
„Das ist etwas anderes, als nur darüber zu lesen“, sagt sie. Dem Publikum im Kinosaal sei es ebenso gegangen.
Neue Seiten der Geschichte
Auch für eine Historikerin gab es dabei Neues zu entdecken. So berichtete Jörg Baden, der heute mit seiner Familie bei Duisburg lebt, dass er in Dänemark sehr wohl ärztliche Hilfe erfahren habe: Der damals Fünfjährige verbrachte drei Monate im städtischen Krankenhaus, wo ihn dänische Ärzte wegen Diphtherie behandelten.
„Das ist einmal ein positiver Winkel der Geschichte, von dem man sonst eher wenig hört“, sagt die Archivarin.
Eine große Überraschung
Für den Ehrengast des Abends hatte das Team von „Historie Haderslev“ eine Überraschung.
„Familie Petersen aus Lille Anslet hat Badens Mutter damals ein Fahrrad geliehen, damit sie ihren kleinen Jungen im Krankenhaus besuchen konnte. Jörg Baden hatte sich immer gewünscht, diese Familie wiederzusehen“, erzählt Sidsel von Qualen.
Auch wenn die netten Menschen von Lille Anslet längst das Zeitliche gesegnet haben: Mithilfe von Hans Aage From, dem Vorsitzenden des Museumsvereins, hat sie einen Enkel der Familie gefunden – und zu der Abendveranstaltung eingeladen: „Er kam mit seiner Familie. Jörg Baden war nicht nur überrascht, sondern auch sprachlos vor Rührung. Sie wollen in Kontakt bleiben.“
Dank an die Königin
Für das deutsche Flüchtlingskind von einst waren die Jahre in Lille Anslet und später im Flüchtlingslager Oksbøl eine Erfahrung, die Jörg Baden bis heute nicht losgelassen hat: Immer wieder kommt der Historiker nach Dänemark, um hierzulande Vorträge zu halten. Als das Flüchtlingsmuseum in Oksbøl eingeweiht wurde, dankte Baden Königin Margrethe persönlich dafür, in Dänemark eine vorübergehende Heimat gefunden zu haben. Zwei seiner Töchter leben heute in Dänemark.
„So schließt sich der Kreis“, sagt Sidsel von Qualen: „Das zeigt uns, dass die Geschichte längst nicht zu Ende erzählt ist.“