Energie der Zukunft

Haderslebener hat Platz an der Sonne in weltgrößtem Reaktor

Haderslebener hat Platz an der Sonne in weltgrößtem Reaktor

Haderslebener hat Platz an der Sonne in weltgrößtem Reaktor

Saint-Paul-lès-Durance/Hadersleben
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Blick auf das Herzstück des Fusionsreaktors Foto: ITER Organization

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Peter Kroul aus Hadersleben ist ein Senkrechtstarter: Als Pionier in der Informationstechnologie sorgte der gelernte Elektriker schon als Teenager für Schlagzeilen. Heute, im reifen Alter von 47, ist er einer der gefragtesten Computerexperten Europas. In dem weltweit größten Forschungszentrum „ITER“ hat Kroul seinen Arbeitsplatz an der Sonne und arbeitet mit Tausenden Menschen an der Energie der Zukunft.

Als „Wunderkind“ hat die dänische Presse Peter Kroul vor 15 Jahren bezeichnet. Inzwischen kann der Haderslebener einige Berufsbezeichnungen auf seine Visitenkarte schreiben. Betriebswirtschaft hat er studiert – und heute eine Schlüsselrolle in „ITER“, dem größten gemeinnützigen Forschungsreaktor der Welt.

Die Baustelle von oben Foto: ITER Organization

Heiße Beweise

Seit gut vier Jahren arbeitet der heute 47-Jährige am „ITER“-Standort in Saint-Paul-lès-Durance in Südfrankreich an der Energiequelle der Zukunft. Dort erforschen und testen 35 Nationen am größten Tokamak der Welt, einer Magnetfusionsanlage, die Fusion als kohlenstofffreie Energiequelle, die nach dem gleichen Prinzip funktioniert wie Sonne und Sterne.

Peter Kroul arbeitet im Datenmaschinenraum des Forschungsprojekts. Foto: Privatfoto

Meilenstein der Forschung

„Dass sich das machen lässt, ist jetzt bewiesen“, sagt Peter Kroul. Er verweist auf den Durchbruch in den USA im Dezember des Vorjahres. Damals war es einem Forscherteam gelungen, aus einem Fusionsversuch einen, wenngleich kleinen, Anteil Netto-Energie zu gewinnen. Die Fachwelt feierte dieses Ergebnis als Meilenstein der Kernfusionsforschung.
 

Auf einer Fläche von 40 Hektar entsteht der weltweit größte Kernfusionsreaktor. Foto: ITER Organization

Die Energiequelle der Zukunft

Auch wenn noch ein weiter Weg und zahllose Hürden vor den Tausenden Forschenden von „ITER“ liegen, hegt Kroul keinen Zweifel daran, dass die Kernfusion die Energiequelle der Zukunft ist: „Wenn es uns – womöglich erst in Jahrzehnten – gelingen wird, die Kernfusion in Kraftwerken praktikabel zu machen, dann wird sie potenziell alle bisher bekannten Energiequellen ersetzen. Wind- und Sonnenenergie inklusive.“

Auch nachts stehen die Arbeiten nicht still. Foto: ITER Organization

Zehnmal heißer als im Kern der Sonne

Apropos: Sonne. Die Forscherteams arbeiten in Südfrankreich mit Temperaturen, die das Zehnfache der Temperatur des Sonnenkerns ausmachen – bis zu 150 Millionen Grad Celsius, wie Kroul erläutert.

Ein Blick von oben: Diese 30 Meter tiefe Schlucht liegt im Herzen des Tokamak-Gebäudes. Foto: ITER Organization

Schlaraffenland für Computernerds

Seine Aufgabe ist es, die zahllosen Datenmengen auszuwerten, die am Standort generiert werden, aber auch Datenmengen aus den Ländern, die wie Dänemark parallel zu „ITER“ weiter an der Kernfusion forschen. Es ist eine gigantische Aufgabe und ganz nach Krouls Geschmack: „Die Arbeit hier ist ein Schlaraffenland für Computernerds“, lacht er.

Die Welt forscht gemeinsam an „ITER“

„ITER“ (lateinisch für: Weg) ist ein gemeinnütziger Forschungsreaktor, der gegenwärtig in Frankreich entsteht. Ziel ist es, wissenschaftliche und technologische Aspekte der Kernfusion zu erforschen und zu demonstrieren – mit dem Ziel, eine nachhaltige Energiequelle für die Zukunft zu erschließen. Es ist ein internationales Projekt, an dem die EU sowie weitere Länder beteiligt sind, einschließlich Frankreich, China, Indien, Japan, Russland, Südkorea und die USA.
 

 „ITER“ bezeichnet er als das größte internationale Energieprojekt und auch als das komplexeste seiner Art. Es liefert nicht nur Daten, sondern ist zugleich Garant für Vollbeschäftigung für die nächsten vielen, vielen Jahre. Fünf Jahre arbeitet Kroul inzwischen für ITER, erzählt der Haderslebener: „Wie es aussieht, wird das Kernfusionsprojekt noch bis in die 2040er-Jahre laufen.“

Die Baustelle von innen Foto: ITER Organization

Weltweit größter Tokamak zu 80 Prozent fertig

Die Arbeiten an der weltweit größten Magnetfusionsanlage sind zu etwa 80 Prozent abgeschlossen: „Als ich vor über vier Jahren herkam, sah es auf dem 40 Hektar großen Gelände noch aus wie auf einer Riesenbaustelle“, erinnert sich Peter Kroul. Heute, fast ein halbes Jahrzehnt später, wird „langsam ein Schuh“ draus, wie man so schön sagt: Der größte Tokamak der Welt nimmt Form an.

Weitere Informationen dazu im unten stehenden Video von ITER.

Die Wochenarbeitszeit am Reaktor beträgt zwar 40 Stunden, doch auch nach Feierabend kann sich Peter Kroul oft nicht losreißen von seinem „Platz an der Sonne“: „Es macht mir Spaß, mich mit der Materie zu beschäftigen, weil es einfach irre spannend ist.“

Ungeachtet eines aufregenden Alltags finden Kroul und seine Familie ein paar Mal im Jahr den Weg nach Hadersleben, dorthin, wo 1995 alles begann.

Maj-Britt Skrubel Permien gehört zu den Haderslebener Gründungsmitgliedern von „Athena“. Heute reist sie für „European Travel Magazine“ um die Welt. Unlängst hat sie Kroul am ITER-Standort besucht. Foto: Ute Levisen

Alles begann in Hadersleben

Als 19-jähriger Elektrikerlehrling gründete Kroul gemeinsam mit Partnern, unter ihnen auch die Haderslebenerin Maj-Britt Skrubel Permien, das Hosting-Unternehmen „Athena IT-Group“ und wurde damit zum Pionier im Landesteil ­– und dies in einer Zeit, als das Internet gerade seinen Durchbruch in der breiten Öffentlichkeit erfuhr.

Jahre später folgten der Börsengang – sowie unternehmerische Berg- und Talfahrten erst durch die Informationstechnologie- und später die globale Finanzkrise von 2007 bis 2008.



 

Zu Gast bei ITER Foto: Maj-Britt Skrubel Permien

2018 wechselte „Athena“ den Besitzer. Doch bereits 2013 verließ Peter Kroul das Unternehmen, legte eine Verschnaufpause vom „Big Business“ ein und machte mit seiner Frau einen Segeltörn um die halbe Welt.

„Athena ist beim Verkauf zerschlagen worden“, sagt Peter Kroul bedauernd. Heute residiert das Haderslebener Asphaltunternehmen „Arkil“ in dem einstigen Firmenhauptsitz in Hammeleff (Hammelev): „Es ist gut, dass das Gebäude immer noch genutzt wird“, findet der frühere „Athena“-Direktor.

Fortschritt statt Profit

Heute arbeitet er nicht mehr für den Profit, sondern für den Fortschritt, wie der Computerexperte sagt. Im Laufe der Jahre hat er seine Expertise so weit ausgebaut, dass er inzwischen zu den gefragtesten Experten seines Fachs zählt. In einem breiten Bewerberfeld hat er einen Platz im Sonnensystem der Zukunft ergattert – nur dass es dort zehnmal heißer ist als unter unserem richtigen Stern.

Peter Kroul glaubt fest daran, dass „ITER“ der Menschheit den Weg in eine Zukunft mit sauberer Energie bahnen wird, denn, so sagt er: „Wer nicht an die Kernfusion glaubt, der glaubt auch nicht an die Sonne.“

 

Kernfusion und Kernspaltung: Der große Unterschied

  • In Atomkraftwerken wird die Energie durch Kernspaltung von Atomkernen gewonnen, während sie in Kernfusionsreaktoren durch den Zusammenschluss von Atomkernen freigesetzt wird.
  • Brennstoffe für herkömmliche Atomkraftwerke sind radioaktive Materialien wie Uran und Plutonium. Brennstoffe für Kernfusionsreaktoren sind Deuterium und Tritium, die in Wasserstoff – und damit in unendlichen Mengen vorkommen.
  • Kernfusionsreaktoren erzeugen keine langfristig radioaktiven Abfälle, während Atomkraftwerke Abfälle erzeugen, die viele Jahre gefährliche Strahlung abgeben können.
  • Kernfusionsreaktoren werden als sicherer betrachtet als Atomkraftwerke, da sie keine riskanten Reaktionen auslösen, die zu einer nuklearen Katastrophe führen könnten.
  • Die Kosten für die Entwicklung und den Bau von Kernfusionsreaktoren sind im Vergleich zu Atomkraftwerken höher, da die Technologie nicht ausgereift ist.
  • Eine zentrale Herausforderung der Kernfusion ist die Erzeugung und Aufrechterhaltung von Plasmazuständen: Eine Fusionsreaktion kann lediglich dann stattfinden, wenn Brennstoffplasma auf hohe Temperaturen erhitzt wird, um somit die Elektronen aus den Atomkernen herauszulösen. Es ist schwierig, das Plasma aufrechtzuerhalten und zu kontrollieren, da es instabil und extrem heiß ist.
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