Deutsche Minderheit

Der Haderslebener, der die deutsche Spätmoderne beeinflusste

Der Haderslebener, der die deutsche Spätmoderne beeinflusste

Der Haderslebener, der die deutsche Spätmoderne beeinflusste

Hadersleben/Haderslev
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Bis Ende April ist die Ausstellung über die Bauten des berühmten Architektenduos, gestaltet auf semitransparenten Wänden, in Hadersleben zu sehen. Foto: Ute Levisen

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Der Architekt Arne Jacobsen ist bekannt im ganzen Land – sein Kompagnon Otto Weitling nicht. Zu Unrecht, sagen die Initiatoren einer deutschen Wanderausstellung. Das dänische Architekten-Duo hat mit seinen Bauten die deutsche Spätmoderne beeinflusst. Das dokumentiert die Ausstellung „Gesamtkunstwerke“, die ab sofort in der Domstadt zu sehen ist.

Jan Dimog und Hendrik Bohle haben eine Mission: Der Journalist und der Architekt holen im Paarlauf die dänischen Formgeber der deutschen Spätmoderne aus der Versenkung und verleihen ihren Bauten eine Renaissance im Bewusstsein einer breiten deutsch-dänischen Öffentlichkeit.

Kunst am Bau

 „Gesamtkunstwerke“ heißt die Ausstellung, die ab sofort in „Schaumanns Kleiderfabrik“ in Hadersleben zu sehen ist. Darin stellen die Kuratoren sieben Bauten der acht Bauwerke des legendären Duos Arne Jacobsen und Otto Weitling in Deutschland vor.

Jan Dimog (links) und Hendrik Bohle (rechts) haben die Ausstellung ins Leben gerufen. Hier sind sie mit Sidsel von Qualen von „Historie Haderslev" zu sehen. Sie und ihr Team haben die Ausstellung mit Informationsmaterial über die Familie Weitling ergänzt. Foto: Ute Levisen

Während Jacobsens Name – nicht zuletzt wegen der von ihm entworfenen Möbel und Lampen – auch heute noch in aller Munde – und somit unvergessen ist, gilt dies nicht in selbem Maße für seinen Kompagnon Otto Weitling.

Hendrik Bohle erläutert die einzelnen Bauwerke der Ausstellung. Foto: Ute Levisen

Eine Ausstellung gegen das Vergessen

Selbst in seiner Heimatstadt ist der heute 93-Jährige zumindest in der breiten Öffentlichkeit ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Zu Unrecht, betonen Jan Dimog und Hendrik Bohle: „Jacobsen und Weitling haben herausragende Bedeutung für die deutsche Nachkriegsmoderne in Deutschland gehabt.“

Das dokumentieren der Fotojournalist und der Architekt in einem gemeinsamen Buch und in der Ausstellung „Gesamtkunstwerke“.

Jan Dimog ist Autor und Journalist – und einer der beiden Kuratoren. Foto: Ute Levisen

Denn genau das seien die Bauten der dänischen Architekten: Kunstwerke: Teils bejubelt bei ihrer Einweihung, teils skeptisch beäugt, zum Teil in Vergessenheit geraten und dem Verfall preisgegeben, möchten die Kuratoren hüben wie drüben die Diskussion darüber anstoßen, wie unsere Gesellschaft mit ihrem kulturellen Erbe umgeht.

 

Arne Jacobsen (links) und Otto Weitling (rechts) haben die deutsche Spätmoderne mit ihren Bauwerken beeinflusst. Foto: Ute Levisen

Sieben Gebäude in Wort und Bild

In den sieben Bauprojekten, die sie in ihrer Ausstellung zeigen, erzählen die Initiatoren von der Entstehungsgeschichte der Gebäude und erläutern, was sich die beiden Dänen dabei gedacht haben. Einige Gebäude vom Zeichenbrett des Büros Jacobsen & Weitling erleben zurzeit eine Renaissance – etwa die HEW-Zentrale; andere wie das Mainzer Rathaus sind davon weit entfernt.
 

Die Ausstellung ist in den Städten gezeigt worden, in denen Bauwerke der beiden dänischen Architekten stehen. Sie vermittelt Einblicke in Otto Weitlings Lebenswerk. Foto: Ute Levisen

„In der Hamburger HEW-Zentrale ist man sich der Einzigartigkeit ihrer Architektur bewusst und vermarktet das Gebäude inzwischen als Arne-Jacobsen-Haus“, sagt Hendrik Bohle.

Kein Wort über Weitling. Dabei stehe dieser seinem berühmten, längst verstorbenen Berufskollegen und -partner in nichts nach, betont der Architekt.

Arne Jacobsen ist vor allem wegen der von ihm entworfenen Möbel und Lampen unvergessen im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit. Auch diesen Bereich seines Wirkens dokumentiert die Ausstellung. Foto: Ute Levisen

Der berühmte Architekt­­ – ­ unbekannter Sohn der Domstadt

Otto Weitling, der berühmte Sohn der Stadt Hadersleben, stammt aus der deutschen Minderheit. Sein Werk kennt in seiner Heimatstadt – außerhalb der Fachwelt – heute kaum jemand. Die Haderslebener Archiv- und Vermittlungsorganisation „Historie Haderslev“ hat daher die Ausstellung mit ausführlichem Informationsmaterial über die Familie Weitling ergänzt.

 

Das Geburtshaus der Familie Weitling in Hadersleben. Auch in Hadersleben gibt es Gebäude, die Otto Weitling entworfen hat, die Deutsche Schule Hadersleben und der deutsche Ruderverein sind zwei Beispiele. Das Deutsche Gymnasium für Nordschleswig hat Weitling ebenfalls gezeichnet. Auch über sein Wirken in der Domstadt berichtet die Ausstellung. Foto: Ute Levisen

93 Jahre ist Weitling, der in Kopenhagen (København) und auf der Insel Sejerø lebt. Auch er war zur Ausstellungseröffnung eingeladen worden, doch der Weg nach Nordschleswig ist weit – und Otto Weitling nicht mehr der Jüngste.

Ein Für und Wider wäre schon ein positives Zeichen, denn ein Haus, über das man nicht redet, ist meist nicht der Rede wert.

Otto Weitling, Architekt

Dänische Architekten gestalten Neuanfang

Hendrik Bohle schätzt sich daher glücklich, dass er den bekannten Architekten bei einem fachlichen Austausch kennenlernen durfte: „Er ist ein sehr freundlicher und bescheidener Mensch, dem das Gestalten am Herzen liegt“, erzählt Bohle von der persönlichen Begegnung im Hause Weitling.

Er hebt einen Kernsatz des Haderslebeners hervor, der das Wirken dieses herausragenden Gestalters bestens beschreibe: „Ein Für und Wider wäre schon ein positives Zeichen, denn ein Haus, über das man nicht redet, ist meist nicht der Rede wert.“

 

Die berühmten Jacobsen-Stühle der Serie 7, entworfen 1955, sind heute Kult und ebenfalls Teil der Ausstellung. Foto: Ute Levisen

Über die Häuser der beiden Dänen wurde in der BRD der Spätmoderne viel geredet: „Man wünschte sich dort auch in architektonischer Hinsicht einen Neuanfang – mit einladend wirkenden Gebäuden als Spiegel der neuen Demokratie“, erläutert Hendrik Bohle: „Es ging bei den Aufträgen um Rathäuser, neue Schulbauformen – und letztlich ums Prestige.“

Bis zum 24. April ist die Ausstellung in Schaumanns Kleiderfabrik in Hadersleben zu sehen. Foto: Ute Levisen

Vom Umgang mit dem kulturellen Erbe

Es herrschte Aufbruchstimmung – und das spiegelt sich auch in der Architektur wider. In den 60er- und 70er-Jahren entwarfen Jacobsen und Weitling acht imposante Gebäude bzw. Gebäudekomplexe in Deutschland – und diese unterscheiden sich mit den zugrunde liegenden Gestaltungsprinzipien, ihren reinen Linien und dem typisch skandinavischen Funktionalismus von den zuweilen barock anmutenden Gebäuden in deutschen Städten der Nachkriegszeit.

Sieben Gebäude vom Reißbrett der Dänen stellen die Kuratoren in Hadersleben vor; die meisten von ihnen sind heute öffentlich zugänglich. Platz für Notizen haben sie auf ihren Informationstafeln ebenfalls gelassen. Dort soll einst stehen, was aus der Sanierung einzelner Gebäudekomplexe geworden ist: „Denn einige von ihnen sind in keinem guten Zustand“, bedauert Autor und Journalist Jan Dimog. An den Häusern nagt der Zahn der Zeit; nicht selten fehlt das Geld für eine Instandsetzung bzw. Restaurierung, auch wenn alle Bauten heute unter Denkmalschutz stehen.

Hoffen auf eine Renaissance

Beide Kuratoren wissen das aus eigenem Erleben. Das Gästehaus vom Seebad Burgtiefe, ein riesiger Ferienhauskomplex auf Fehmarn, war eines ihrer Ausstellungsorte, erzählen die beiden Initiatoren. Dort, am Meer, entstand vor ein paar Jahren auch die Idee für die Wanderausstellung „Gesamtkunstwerke“. Dimog und Bohle hoffen und wünschen sich, dass ihre Ausstellung dort – und nicht nur dort – dazu beitragen wird, architektonische Perlen der Nachkriegsmoderne wieder schätzen zu lernen.

Gesamtkunstwerke

Die Schau ist bis zum 23. April in Schaumanns Kleiderfabrik am Simmerstedvej 1A zu sehen. Sie entstand als Hommage an das deutsch-dänische Freundschaftsjahr 2020, das von der Coronapandemie überschattet worden ist. In Deutschland waren die „Gesamtkunstwerke“ in sechs Städten zu sehen, in denen es Bauwerke der beiden dänischen Architekten gibt. Außer Hadersleben wird Rødovre die einzige Stadt in Dänemark sein, in der die Ausstellung gezeigt wird. Weitere Informationen zur Präsentation und dem dazugehörigen Buch sind unter theLink-berlin abrufbar. 

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