Leitartikel

„Ein Wort – eine Waffe “

Ein Wort – eine Waffe

Ein Wort – eine Waffe

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Kopenhagen
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Worte sind Waffen, jedenfalls in der Politik, wo ein Wort über ein Ja oder ein Nein entscheiden kann. Die Diskussion über den Stimmzettel für die Volksabstimmung am 1. Juni ist mehr als nur Kartoffel, Kartoffel – sie ist nicht ungefährlich, meint Seniorkorrespondent Siegfried Matlok.

Als Staatsministerin Mette Frederiksen in der vergangenen Woche gemeinsam mit den Parteivorsitzenden von Venstre, Konservativen, Radikale Venstre und SF die dänischen Truppen in den baltischen Staaten besuchte, wo in Lettland künftig zusätzlich ein Kampfbataillon aus Slagelse mit 800 Soldaten die Ostflanke der Nato verstärken soll, verfolgte sie damit auch ein anderes strategisches Ziel als nur die volle Nato-Solidarität angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine zu unterstreichen.

Vor den angetretenen dänischen Soldaten forderte sie in ihren jeweiligen Ansprachen dringend dazu auf, den dänischen Verteidigungsvorbehalt in der EU abzuschaffen, wie es die fünf Parteien mit der Volksabstimmung am 1. Juni planen. So sicher sie als „Commander-in-chief“ in den drei baltischen Ländern auftrat, so unsicher wirkte ihre Reaktion, als die Begleit-Presse sie auf den zu Hause umstrittenen Inhalt des Stimmzettels am 1. Juni ansprach.

Dass es einen Unterschied zwischen einem Ja und einem Nein gibt, ist uns aus allen Lebenslagen bestens bekannt, aber die Art und Weise, wie die Dänen am 1. Juni zu einem Ja überredet werden sollen, ist für manche vielleicht doch nicht so überzeugend.

Die fünf Parteien haben sich darauf geeinigt, dass die Frage bei der Volksabstimmung wie folgt lauten soll: „Stimmst du mit Ja oder Nein, ob sich Dänemark künftig an der europäischen Zusammenarbeit über Sicherheit und Verteidigung beteiligen kann?“ 

Eigentlich doch klar genug!? Nein, sagen jedoch die Nein-Sager und sind von links bis rechts empört, dass in der Fragestellung weder die EU noch Militär oder Heer auftauchen. Und vor allem irritiert jene Nein-Kräfte, dass das Wort Abschaffung („afskaffelse“) überhaupt nicht auf dem Stimmzettel zu finden ist.

Die Parteiführerin der Einheitsliste, Mai Villadsen, äußerte sogar einen Betrugs-Verdacht hinter dieser mangelnden Wortwahl, was Mette Frederiksen ebenso irritiert zurückwies, denn nach ihren Worten wissen doch alle, worum es um 1. Juni geht. 

Rational korrekt von der Staatsministerin, aber emotional wohl eher nicht, denn es gibt Meinungsumfragen, die deutlich machen, dass das Ergebnis je nach Fragestellung ausfällt.

„Tænketanken Europa“ führte im vergangenen Jahr einen interessanten EU-Test durch. Auf die Frage, ob sie für eine dänische Teilnahme an einer  Zusammenarbeit in der EU-Verteidigungspolitik, stimmen, antworteten 51 Prozent mit Ja. Aber wenn die Frage so gestellt wird, ob die Dänen einer Abschaffung des bisherigen Verteidigungsvorbehalts zustimmen, dann antworteten nur noch 31 Prozent mit Ja.

Mit anderen Worten, Zusammenarbeit gerne, aber es ist das Wörtchen „Abschaffung“, das bei den dänischen Wählern offenbar Emotionen auslöst – hin zu einer Ablehnung. Vor diesem psychologischen Hintergrund ist ja nicht unverständlich, warum die Ja-Sager dieses Pfui-Wort als Assoziation auf dem Stimmzettel vermeiden. 

Dennoch ist schon höchst erstaunlich, weil in dem Gesetz zur Volksabstimmung am 1. Juni das Wort „afskaffelse“ nicht weniger als zehnmal parlamentarisch benutzt wird – sogar ab Seite 1.  

Mette Frederiksen hat kein Verständnis für diesen, aus ihrer Sicht, unnötigen Streit um Worte, und Venstres Parteivorsitzender Jacob Ellemann-Jensen antwortete auf die Frage nach eventuellen Bedenken wegen der Wortwahl sarkastisch: „Kartoffel, Kartoffel...“

Der Text für den 1. Juni lässt sich ja nicht mehr ändern, aber wenn es irgendwie nach Manipulation riecht, wenn manche Wähler sogar das Gefühl haben „keine Hexerei, nur Behändigkeit“, dann ist höchste Vorsicht geboten. Der Däne war ja schon bei früheren EU-Volksabstimmungen unberechenbar.

Auch wenn ein Nein zum Nein zu empfehlen bleibt.

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