Analyse

Die Chance der Mitte

Die Chance der Mitte

Die Chance der Mitte

Hadersleben/Haderslev
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Die traditionell gewachsene Koalition im bürgerlichen Lager hat Beulen bekommen – ebenso die Fassade des neuen Rathauses, was fast schon Symbolcharakter hat. Foto: Ute Levisen

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Wer sagt denn, dass Kommunalpolitik langweilig ist? In Hadersleben haben sich in den vergangenen Wochen und Tagen die Ereignisse förmlich überstürzt. Nichts scheint unmöglich. Für die Parteien der politischen Mitte offenbaren sich dadurch Chancen. Diese aber wollen ergriffen werden.

Eigentlich hätte lokalpolitisch alles weiterlaufen können wie bisher: Man kennt seine politischen Partner – und Gegner aus dem Effeff, weiß, was man voneinander erwarten darf.
Das war einmal.

Unerträglich spannend

Die nächsten acht Monate bis zur Kommunalwahl im November 2021 werden zumindest in Hadersleben an Spannung kaum zu überbieten sein.
Am Anfang war der Parteiwechsel des markanten Lokalpolitikers Benny Bonde von der Liberalen Allianz zur neuen dänischen Rechtsaußenpartei Neue Bürgerliche (NB).

Im freien Fall

Der freie Fall der bürgerlichen Koalition hat damit begonnen. Als Erster zog Carsten Leth Schmidt von der Schleswigschen Partei (SP) die Reißleine: „Neue Bürgerliche oder Schleswigsche Partei – beides geht nicht.“ – So Leths Ansage an die inzwischen verblichene bürgerliche Koalition „Fællesgruppen“ im Stadtrat.

Politischer Kannengießer

Das SP-Ultimatum endete mit der Sprengung des bürgerlichen Lagers, da die Dänische Volkspartei einer Koalition mit NB – Konkurrenz hin oder her – nicht entsagen wollte. DF-Gruppenchef und Vorsitzender des Beschäftigungsausschusses Jon Krongaard verglich Leths Distanz-Gang gar mit dem politischen Kannengießer aus Holbergs Komödie.

 

Jon Krongaard zeigte sich amüsiert darüber, dass die SP sich von einer Zusammenarbeit mit NB distanzierte. Foto: Ute Levisen

Wer zuletzt lacht...

Nun, wer zuletzt lacht, lacht am besten. Für DF dürfte die Wahl eher traurig enden, hält der Trend an. Landespolitisch lässt die rechtspopulistische Partei Federn, und lokalpolitisch hat sie keine nennenswerten Ergebnisse für ihre Kernwähler erzielt. Im Gegenteil. Erinnert sei hier an den umstrittenen Einsatzplan im Arbeitsmarktbereich unter Vorsitz von DF-Chef Krongaard. Dafür hängt fürder auf DF-Initiative der Dannebrog im neuen Ratssaal. Immerhin.

Freude und Zwist bei Neue Bürgerliche

Die DF-Konkurrenz Neue Bürgerliche, da muss man kein Orakel sein, erntet landes- wie lokalpolitisch viel Zuspruch und darf sich auf eine fantastische Wahl freuen – nicht zuletzt dank des neuen Stimmenmagneten Bonde.

 

Benny Bonde (rechts, Neue Bürgerliche) brachte den Antrag gemeinsam mit Bent Kloster (Venstre) vor das Kommunalparlament und sorgte somit dafür, den stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Kabelka nach dessen Bekunden klüger zu machen und Fehler zu korrigieren. Foto: Ute Levisen

Überraschung bei Venstre

Apropos: Stimmenfänger! Einen solchen hat Venstre gerade verloren. Der langjährige Venstre-Mann Holger Mikkelsen, der im Rennen um die Spitzenkandidatur dem Regionspolitiker Mads Skau im Herbst denkbar knapp unterlegen war, steht für eine erneute Kandidatur nicht zur Verfügung. Das war auch für Insider eine echte Überraschung.

Ein Pragmatiker weniger

Bei Venstre hinterlässt sein Abgang eine Riesenlücke. Mikkelsen hat sich als pragmatischer Analytiker erwiesen, der sich von Fakten, nicht von Gefühlen leiten lässt und auch keine Scheu hat, zuweilen gegen die Linie der Partei zu votieren. Er selbst blickt bescheiden auf seine politischen Fingerabdrücke: „Steckt man den Finger in ein Glas mit Wasser, zieht ihn wieder hinaus und blickt ins Glas, sieht man das, was bleibt“, sagt der langjährige Politiker desillusioniert. Die in diesen weisen Worten enthaltene Verbitterung ist kaum zu überhören und durchaus nachvollziehbar.

Holger Mikkelsen, Sohn des letzten Bürgermeisters von Woyens, Nis Mikkelsen, gilt als Pragmatiker, geradliniger Politiker und genießt daher Respekt bei seinen Kollegen im Kommunalvorstand. Foto: Ute Levisen

Ungetrübter Optimismus

Dennoch zeigt sich Venstres Spitzenkandidat Mads Skau optimistisch – definitiv zu optimistisch. Er rechnet damit, die Mandatszahl seiner Partei von nunmehr neun auf zwölf (!) steigern zu können. Rechnet man die Erwartungen anderer Parteien an den Ausgang der Wahl mit, bräuchte es mehr als 40 Sitze im Kommunalparlament! Aber im neuen Ratssaal am Hafen ist ja jede Menge Platz.

An einem Strang

Und Optimismus ist schließlich nicht verboten. Ändern kann sich in den nächsten Wochen und Monaten jede Menge.

Eines aber zeichnet sich bereits jetzt ab: Agieren die kleinen Parteien der Mitte – Radikale Venstre, Konservative, Die Alternative, die Schleswigsche Partei und ihr Bündnispartner Christdemokraten – klug, auf Sicht und ziehen an einem Strang – dann könnten sie angesichts der traditionell gewachsenen und nunmehr zerrissenen Bande im bürgerlichen Block tatsächlich eine entscheidende Rolle spielen – vielleicht sogar den Bürgermeisterposten mit einem eigenen Kandidaten besetzen. Das letzte Mal ist immerhin gut drei Dekaden her – und damit schon fast nicht mehr wahr.

Blick über den Tellerrand

Der Weg der Mitte zur „Macht“ ist also geebnet – jetzt muss sie ihn „nur“ noch gehen. Doch wie es zurzeit aussieht, steht sie sich dabei selbst im Weg. Dafür müsste sie über den eigenen Tellerrand hinausschauen, persönliche und politische Befindlichkeiten der gemeinsamen Sache unterordnen, wenn sie in Zukunft wirklich etwas zu sagen haben will. Nicht zuletzt für die Schleswigsche Partei steht einiges auf dem Spiel: das Mandat mit Stimmrecht.

Überholt von rechts und links

Hier hätte diese politische Momentaufnahme eigentlich zu Ende sein sollen. Doch schon auf dem Heimweg am späten Abend werde ich – mit Blick auf die politischen Ereignisse – von links und rechts überholt: Die Rechtsaußenpartei Neue Bürgerliche hat zurzeit alle Hände voll damit zu tun, Ruhe in den Ortsverein zu bringen.

Unruhe bei Neue Bürgerliche

Der stellvertretende Parteivorsitzende Anton Kudsk aus Woyens hatte am Montagabend überraschend „hingeschmissen“. Der Mitbegründer des Parteivereins zog sich aus dem Vorstand sowie von seiner Spitzenkandidatur zur Kommunalwahl zurück – und kam damit einem Rauswurf seines Vorstands wegen „Zusammenarbeitsproblemen“ zuvor. Ihm folgte nur einen Tag später ein weiteres Vorstandsmitglied.

Und Venstre teilte am Montagabend mit, dass sich der bürgerliche Block nach dem Zerfall von „Fællesgruppen“ nun in einem „Bürgerlichen Forum“ (Borgerligt Forum) zusammengerauft hat.

Alter Wein in neuen Flaschen?

Was aber bedeutet das neue Forum konkret für die politische Zusammenarbeit? Ist es alter Wein in neuen Flaschen?
Keine Ahnung! Aber die nächsten Wochen und Monate bringen es an den Tag.

Fortsetzung folgt.

Ende gut, alles gut? Die Wogen sind mit der Bildung des Bürgerlichen Forums erst einmal geglättet – und auch die Beulen am neuen Rathaus verschwunden. Foto: Ute Levisen
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