Leitartikel
„Die Zeit der offenen Grenzen ist endgültig vorbei“
Die Zeit der offenen Grenzen ist endgültig vorbei
Die Zeit der offenen Grenzen ist endgültig vorbei
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Die Ankündigung der deutschen Innenministerin, an allen Grenzen Kontrollen einzuführen, markiert den Schlusspunkt der unbegrenzten Reisefreiheit in der Europäischen Union. Darauf wird sich auch die deutsche Minderheit einstellen müssen, meint Walter Turnowsky.
Gerade mal 15 Jahre lang konnten die Menschen in Nord- und Südschleswig ungehindert den anderen Teil des einstigen Herzogtums besuchen.
Die Grenzziehung von 1920 hatte 2001 mit der Schengen-Absprache an Bedeutung verloren. Kein Wunder also, dass sich insbesondere die Minderheiten auf beiden Seiten über die offenen Grenzen freuten.
Doch am 4. Januar 2016 war es vorläufig vorbei. Die damalige Venstre-Regierung unter Lars Løkke Rasmussen führte angesichts der Bilder von Geflüchteten auf der nordschleswigschen Autobahn die Grenzkontrollen ein – temporär, wie es damals und bei sämtlichen Verlängerungen hieß.
Der 9. September 2024 ist ein weiteres einschneidendes Datum. Ab dem kann man nämlich das „temporär“ de facto streichen. Der Grund ist die Ankündigung der deutschen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), ab dem 16. September für sechs Monate Kontrollen an sämtlichen Grenzen einzuführen.
Offiziell sind die zwar auch temporär, aber im Endeffekt bedeutet die Ankündigung das Ende des freien Reisens quer durch die Europäische Union. Entscheidend ist nämlich eine andere Formulierung in Faesers Pressemitteilung: „Bis wir mit dem neuen gemeinsamen europäischen Asylsystem und weiteren Maßnahmen zu einem starken Schutz der EU-Außengrenzen kommen, erfordert das auch, dass wir an unseren nationalen Grenzen noch stärker kontrollieren.“
Ganz gleich wie stark man die Kontrollen an den Außengrenzen verstärken wird, so werden Menschen immer einen Weg finden, um in die Europäische Union zu gelangen. Solange auf anderen Kontinenten Armut herrscht, der Klimawandel wütetet und Kriege geführt werden, werden Migrantinnen und Migranten in reicheren Ländern ihr Glück suchen. Das zeigen alle historischen Erfahrungen.
Daher ist mehr als offen, wann aus Faesers Sicht der Schutz der Außengrenzen stark genug ist. Hinzu kommt, dass es bei der Frage der Grenzkontrollen nicht ausschließlich um den Schutz vor Terror und die Begrenzung der Migration geht. Es geht vornehmlich auch um das Erstarken der rechten AfD.
Das wird in der Bundesregierung kaum jemand offen einräumen. Die Sprachregelungen lauten in solchen Fällen: Wir nehmen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst. Wir schützen das Land vor drohenden Gefahren.
Wer die dänische Diskussion verfolgt hat, weiß, dass genau so für die wiederholten Verlängerungen der Kontrollen argumentiert wurde.
Und ab jetzt wird es heißen: Schließlich kontrolliert Deutschland ja auch. Das Argument, dass Deutschland gen Österreich, der Schweiz, Tschechien und Polen kontrolliere, ist bereits in der Vergangenheit von Vertreterinnen und Vertretern der dänischen Regierung verwendet worden. Es hat nun mal einmal eine immense Signalwirkung, was das größte Land der EU macht.
Selbstverständlich steht nicht fest, dass Deutschland die Kontrollen an der deutsch-dänischen Grenze nach den sechs Monaten verlängert. Es wäre jedoch überraschend, wenn die Bundesregierung die Grenzbeamtinnen und -beamten von sämtlichen Grenzen abzieht.
Es geht nämlich vornehmlich um die Signalwirkung, weniger darum, ob die Kontrollen tatsächlich den effizientesten Einsatz der Polizeikräfte darstellen. Auch das ist aus der dänischen Debatte bekannt, die die deutsche Politik jetzt nachholt. Und die dänische Regierung hat mit Faesers Ankündigung ein so starkes Argument, dass sie über eine Aufhebung der Kontrollen gar nicht erst nachdenken braucht.
Daher steht fest, dass die Zeiten der offenen Grenzen innerhalb der EU jetzt endgültig vorbei sind. Sicherlich werden die einen oder anderen Kontrollen nicht verlängert werden, aber irgendwo wird mit Sicherheit kontrolliert werden – und an der deutsch-dänischen Grenze zumindest von dänischer Seite auf alle absehbare Zeit.
Darauf werden sich die deutsche wie die dänische Minderheit einstellen müssen. Entscheidend wird daher, dafür zu streiten, dass sie für die Bewohnerinnen und Bewohner des Grenzlandes so erträglich wie möglich gestaltet werden.